F.I.N.D. #3 - Märtyrer

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Leider verschenkt: Märtyrer hätte das Potential, kontroverse Fragen und Antworten aufzuwerfen, verzagt aber mit einer eindimensionalen Inszenierung

Eigentlich klingt der Stoff der Inszenierung Märtyrer spannend: der adoleszente Schüler Benjamin (Bernardo Arias Porras)verirrt sich in der christlichen Bibelmoral und tyrannisiert damit seine Mitschülerinnen, Lehrer und Mutter. Er instrumentalisiert seinen Mitschüler und „Lieblingsjünger“ Georg (Moritz Gottwald) für die unbedingte Durchsetzung seiner moralische Ansprüche: Keuschheit und patriarchale Machtverteilung, gepaart mit einer Portion Antisemitismus. Und stigmatisert sich selbst als Märtyrer zum Rächer einer verkommenen Welt. Dass dem alten Testament der Stoff für eine durchaus radikale Auslegung inhärent ist, belegt die Figur des 16-Jährigen, welche das gesamte Stück ausschließlich in Bibelzitaten spricht.

Dass hier zur Abwechslung auf den christlichen Fundamentalismus statt den islamistischen abgezielt wird, könnte erfrischend sein. Stattdessen verliert die Inszenierung von Marius von Mayenbuch (der auch das Drehbuch schrieb) aber durch stark vereinfachte Charaktere an Kraft. Sie zeigt eindimensionale Figuren, deren Handlung oftmals von abgegriffenen Plattitüden gekennzeichnet ist. Der verschüchterte Anhänger und soziale Loser Georg ist eigentlich auf der Suche nach homosexueller Erotik und schließt sich der Zielstrebigkeit seines neuen Kumpanen an. Der gleichgültige Schuldirektor (Robert Bayer) geht in seiner Toleranz für Benjamin eindeutig zu weit und nutzt die Diskussionen im Lehrerzimmer vor allem für sexistische Annäherungen gegenüber seiner attraktiven Kollegin, der Vetrauens- und Biologielehrerin Frau Roth (Eva Meckbach).

Klopapier für die Satire

Sie hingegen versucht den Jungen mit pädagogischem Übereifer zu retten und bildet den rationalen Gegenpart zu ihrem Vorgesetzten. Der weltfremde Religionslehrer (Urs Jucker) versucht den religiösen Eifer des Buben für sein Christencamp zu nutzen, scheitert aber an dessen extremen Ansichten und räumt kleinlaut das Feld. Auch die Mutter (Judith Engel) zieht sich völlig überfordert zurück und serviert ihrem Sohn, dessen Verhalten sie als pubertär abtut, ein liebloses Schlemmerfilet zum Abendessen. „Kümmern Sie sich doch um den Jungen, das ist schließlich ihre Aufgabe, mit mir redet er ja eh nicht!“, schreit sie die Lehrerin vorwurfsvoll an.

Die Frage nach der Toleranz gegenüber bibeltreuer Weltauslegung im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Institutionen und der heimischen Erziehung bleibt leider im Weiteren seltsam offen. Leider greift die Inszenierung solch eigentlich spannende Fragen nur auf, ohne Stellung dazu zu beziehen und bleibt merkwürdig unentschlossen. Holzschnittartig kollidieren die Ansichten der Akteure: Benjamin verweigert die Teilnahme am Schwimmunterricht ob der freizügigen Bekleidung der Mädchen, der Direktor gibt ihm recht, die Vertrauenslehrerin rastet aus. Die Mutter versteht gar nichts mehr: „Kannst du nicht einfach die Badehose anziehen und schwimmen, wie ein normaler Mensch?“

Da hilft auch nicht ein postdramatischer Dekonstruktionsversuch nach der Hälfte des Stückes. Mit Affenmasken auf dem Kopf toben die Darsteller zu elektronischer Musik über die Bühne und werfen mit Klopapier. Das Drama soll also eine Satire sein. Aber auf was eigentlich genau? Das zeigt sich auch nicht in merkürdigen Diskursen über Weltbild und Erziehung. Die attraktive Lehrerin muss sich die provokativen Kommentare ihres Vorgesetzten gefallen lassen, als sie die Relevanz von Sexualunterricht und aufklärter Ethik vor ihrem Schüler Georg rechtfertigt. Ist das wirklich noch diskussionswürdig? Neue Fragen oder Antworten zu kontroversen Themen rund um Fanatismus, Erziehung und gesellschaftliche Verantwortung liefert Märtyrer leider nicht. Obwohl es doch, Behring Breivik zeigte es auf grausame Weise, allen Grund dazu gäbe.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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