Fauler Kompromiss

Asylprotest Die Politik ist einen Schritt auf die Hungerstreikenden am Brandenburger Tor zugegangen, der Protest wurde ausgesetzt. Viel wert sind die Zugeständnisse vermutlich nicht
Das Minimalziel haben die Hungerstreikenden bereits erreicht: Gehör in der Gesellschaft zu finden
Das Minimalziel haben die Hungerstreikenden bereits erreicht: Gehör in der Gesellschaft zu finden

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

„Erschöpft aber fröhlich“ seien die Hungerstreikenden gewesen, schreibt die taz nach dem Wochenende, an dem nun der Protests vor dem Brandenburger Tor zwischenzeitlich beendet wurde. Zehn Tage lang hatten sie am Pariser Platz ausgeharrt, zuletzt auch kein Wasser mehr zu sich genommen, immer wieder mussten sie von Notärzten medizinisch versorgt und ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Zustand einiger Aktivisten war zuletzt lebensbedrohlich.

Nun wurde die Notbremse gezogen. Nachdem der Protest die vorangegangenen zehn Tage von den verantwortlichen Politikern konsequent ignoriert wurde, kamen am Samstag Berlins Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat (SPD), der migrationspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rüdiger Veit und Vizepräsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Michael Griesbeck, zum vierstündigen Gespräch. Der Deal: Die Flüchtlinge setzen ihren Protest für drei Monate aus, werden vorübergehend in einer Kirche untergebracht und ihre Asylanträge geprüft. Die SPD möchte ihre Forderungen in die Koalitionsverhandlungen einbringen.

Man darf skeptisch sein, wie viel dieses Versprechen wert ist. Dass sich während des gesamten Protestes keiner der verantwortlichen Politiker am Potsdamer Platz blicken ließ, entspricht dem asylpolitischen Fahrplan: keine Zugeständnisse. Maria Böhmer (CDU), die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, war anders als im vergangenen Jahr, zu keinerlei Gesprächen bereit. Sie kennt die Forderungen der Aktivisten inzwischen sehr gut. Und hat offenbar beschlossen, dass diese nicht erfüllt werden sollen oder können.

Die Bundesregierung weiß genau, dass sie sich, käme sie den Forderungen der Flüchtlinge nach, einen Präzedenzfall schaffen würde. Änderungen am geltenden Asylverfahren sind aber nicht vorgesehen. Im Wahlprogramm der CDU heißt es stattdessen: "Eine Zuwanderung, die darauf gerichtet ist, die europäi­sche Freizügigkeit zu missbrauchen und die sozialen Si­cherungssysteme unseres Landes auszunutzen, lehnen wir ab." Von einer Partei, die Flüchtlingen potenziell Missbrauch des Sozialsystems unterstellt und Zuwanderung nur nach ökonomischen Kriterien beurteilt, ist keine Liberalisierung der Flüchtlingspolitik zu erwarten. Hans-Peter Friedrich von der Schwesterpartei CSU ist mit seinem heraufbeschworenen Drohszenario einer Überschwemmung durch Flüchtlinge das Sinnbild dieser Politik.

Angst und Gegenwind

Die Angst scheint größer zu werden, je deutlicher sich die Dringlichkeit einer reformierten Asylpolitik an Katastrophen wie Lampedusa offenbart. Und je lauter die öffentlichen Proteste, desto schärfer auch der Gegenwind. Besonders deutlich kann man dies derzeit in Hamburg beobachten. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) reagiert mit massiven Polizeikontrollen auf die immer selbstbewusster agierenden Flüchtlinge, welche sich ihren Protest nicht verbieten lassen. Dass hier aberwitzigerweise überlebende Lampedusa-Flüchtlinge abgeschoben werden sollen, scheint nicht als Widerspruch zu den öffentlichen Beileidsbekundungen über ertrunkene Flüchtende empfunden zu werden. Geholfen werden soll anderswo, nicht hinter der eigenen Haustür. Am besten weit entfernt davon.

Einfacher wird es also, darüber muss man sich trotz der vorläufigen Einigung am Brandenburger Tor keine Illusionen machen, nicht. Auch vergangenes Jahr hatte ein vergleichbarer Hungerstreik der Aktivisten des Oraniencamps außer einem enttäuschenden Gespräch nichts bewirkt, von einer sehr kurzfristigen Befriedung der Proteste abgesehen. Die Residenzpflicht, deren Abschaffung eines der wichtigsten Ziele der Flüchtlingsproteste ist, wurde seitdem in keinem Bundesland uneingeschränkt aufgehoben. Von einem generellen Abschiebestopp, eine weitere Forderung der Flüchtlinge, ist man so weit entfernt wie jeher.

Die SPD wird als Juniorpartner in einer möglichen Großen Koalition kaum zentrale Forderungen durchsetzen können. Und die immerhin lobenswerten Versuche wie jüngst der Grünen, den Flüchtlingen mehr Gehör zu verschaffen, werden vor allem über die schmale Oppostionsbank laufen. Immerhin: Das Thema Asylpolitik scheint auf der politischen Agenda angekommen. Bewegt sich nichts, werden sich ab Mitte Januar wieder Hungerstreikende vor den Augen des Bundestags am Brandenburger Tor sammeln.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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