Find #5 - Protect me

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Abschiede sind besonders schwer, wenn es am Ende noch mal richtig schön wird. Die Inszenierung Protect me holt am letzten Abend des Festivals für Internationale Neue Dramatik in Berlin zum großen Paukenschlag aus und bietet Tanztheater mit Wow-Effekt

Am Anfang war das Unbehagen: „Irgendetwas stimmt nicht“. Es ist das Unbehagen vor den Institutionen, vor den eigenen Lebensentwürfen. Anouk van Dijk (die an diesem Abend ausnahmsweise nicht selber mitspielt) und Falk Richters Inszenierung holt aus zu einem Rundumschlag der Gesellschaftskritik: Wirtschaft, Finanzhaie, Medien, Gesundheitssystem, die Krise. Bedrohlich piept ein Signalton: dieses Stück ist eine Warnung, dass irgendwas oder vielleicht sogar alles schief läuft. „There is really no one anymore responsible for anything anymore“, heißt es zu Beginn. Gleichzeitig schafft das Stück den Spagat zu existenzialistischen Fragen, kleiner geht es nicht, der Menschheit. Wo findet der Mensch Schutz? Wo oder bei wem Rettung? Wie sollte er sein Leben Leben? Welche gesellschaftliche Verantwortung hat er? Es geht auch um die Ängste und Phantasmen der postmodernen Gesellschaft.

Das mag fatalistisch klingen. Aber die messerscharfen Beobachtungen unserer Gesellschaft werden so durchdacht und gewitzt auf den Punkt gebracht, dass weder gefühlsduseliger Pathos noch nihilistische Weltuntergangsstimmung aufkommt. Das liegt zum Großteil nicht nur an dem intelligenten Text, sondern auch an der sinnstiftenden Verbindung von Tanz und Theater im Sinne des Physical Theaters: körperliche und verbale Kommunikation werden miteinander verflochten, um sich gegenseitig zu unterstützen.

Zwischen Yoga und Algensuppe

In Protect me illustrieren tanzende Schauspieler und schauspielende Tänzer die multithematischen Textergüsse und verhelfen dem vertretbaren Maß an Abstraktion des Stückes zu genau den Emotionen, die der Text alleine nicht erwecken könnte. Sie straucheln, fallen und rutschen über die Bühne, sind ungebändigte Getriebene, knicken ein und untersuchen immer wieder ihren Körper. Bin das ich? Und wie komme ich hier raus?, scheinen sie damit zu fragen. Ein beeindruckendes Tanzsolo von Franz Rogowski und Philip Fricke zeigt ein Spiel aus Anziehung und Abweisung, Nähe und Distanz, Kontrolle und Willkür.

Das sind auch die Themen der Figur des Autors (Kay Bartholomäus Schulze), die sich wie ein roter Faden durch die Aufführung zieht. Er ist ein einsamer Mensch in dem Wellnessresort „Protect me“, in dem andere Suchende zwischen Yoga und Algensuppe, stets gefangen in den Netzen der digitalen Kommunikation, ihr Seelenheil suchen. Vergeblich. Da kann auch Skype-Therapeut Tom nicht weiterhelfen. Der Autor sucht also weiter, nach Nähe, wenigstens einer funktionierenden Beziehung, einen (Flucht)Weg zu seinem dementen Vater (genau richtig: Erhard Marggraf). Der schleudert ihm entgegen: „Du kannst doch nicht immer nur lesen und nicht handeln!“.

Sphärisch-entrückte Akrobatik

Unterbrochen werden die lose verbundenen Szenen durch die selbstreferentiellen Dialoge des Autors über das Stück, in dem er sich gerade befindet, unterbrochen. „Worum geht es in diesem Stück?“ Und „Wie soll es heißen?“. Die anderen Figuren bieten Szenarien an, die ins komisch-groteske rutschen. Judith Rosmair träumt von der „Porn-Revolution“, einer Gesellschaftsordnung, in der Frauen die mafiösen Finanzbosse zu Tode ficken, diese Vergewaltigungen auf Video aufnehmen und auf eine ins unermessliche anwachsende Internetplattform hochladen. Ja hier wird Theater gemacht, unterbricht sich die Inszenierung so immer wieder selbst. Das ist hier ausnahmsweise mal nicht nervig sondern sinnvoll. Schließlich hat dieser Autor offensichtlich eine Botschaft, die ihm zu vermitteln am Herzen liegt.

Schließlich verdient auch das Bühnenbild verdient Lob. Nach zum Standard avancierten Videoinstallationen im Großteil der Stücke der Schaubühne ist es angenehm erfrischend, sich visuell auf analogem Terrain zu bewegen. Drei große schwarze verglaste Boxen dienen als Schnittstelle zwischen Innen und Außen, Privatem und Öffentlichem und geben Raum für sphärisch-entrückte Akrobatik der Darsteller (dazu extrem gut ausgewählte Musik: Malte Beckenbach und Matthias Grübel). Daneben steht ein Wald aus Mikrofonen, der immer wieder zum Sprachrohr der Akteure wird. Sonst ist die Ausstattung minimalistisch gehalten, keine großen Kostüme, so gut wie keine Requisiten. Das braucht es auch gar nicht, um sich in den Bann dieser starken Inszenierung ziehen zu lassen. Höchst anregendes Kopfkarussell.

Einziger Wermutstropfen: die gesellschaftliche Kritik an den „ganzen unbezahlten Praktikantenfressen“ hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn die Schaubühne zahlt ihrem Hospitantenheer, ohne die sie das ganze Festival wohl gar nicht hätte stemmen können, keinen Heller.

Protect me hatte bereits am 27.10.2010 Premiere und gehört zum festen Repertoire der Schaubühne. Es beschloss am 11.03. das Festival.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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