Freitag-Salon mit Marina Weisband

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"Ich zieh es durch", sagt Marina Weisband und kommt selbstverständlich zum Freitag-Salon, obwohl sie nicht noch einmal für das Amt als politische Geschäftsführerin kandidieren wird (Foto: Jonas Ludwig Walter für der Freitag)

Es ist voll. Mit leichter Verspätung drängt sich die Menge in den kleinen Saal des Gorki-Theaters und kann schon mal einen Blick auf ein Club Mate Getränk werfen, der neben den roten Stühlen auf dem Podium steht (und von Marina Weisband nicht getrunken werden wird - wie als Absage an den mateschlürfenden Piraten-Stereotyp). Es sind etwa 140 Menschen erstaunlich breit gefächerter Altersklassen gekommen, die gespannt auf die Ankunft von Jakob Augstein und Marina Weisband warten, welche kurz darauf durch einen Seiteneingang hereinkommen. Lichter aus, es geht los.

Jakob Augstein stellt Marina Weisband vor, und fordert das zögerlich klatschende Publikum auf: „Ich denke jeder sollte seine Rolle spielen“, das Publikum lacht und begrüßt die Piratin mit einem ordentlichen Applaus. Die Stimmung ist gelöst und erwartungsvoll. Das Gespräch beginnt mit sehr grundlegenden Fragen. Macht Politik Spaß? Was bedeutet Politik für Marina Weisband? „Politik ist die Frage: Wie mache ich möglichst viele Menschen möglichst glücklich?", sagt die junge Piratin. Das klingt pragmatisch und etwas idealistisch. Aber als sie von ihren Anfängen in der Partei seit 2009 – verregneten Nachmittagen an unscheinbaren Infoständen, oder ihrem ersten Piratentreffen mit zwei Männern in einer Kneipe – erzählt, wird klar: Das ist kein hohler Politik-Slang. Weisband meint das, was sie sagt. Sie vertritt die Ideen der Piraten, weil sie unmittelbar mit ihrer Lebenswirklichkeit zusammenhängen und wirkt deshalb erfrischend authentisch. Als sie das erste Mal am Piratenstammtisch teilnahm, unterhielten sich die beiden anderen Teilnehmer darüber, woher man stärkere Laser bekommen kann. Da wusste sie: Hier ist sie richtig.

Nicht, weil sie sich brennend für Laser interessiert. Sondern weil sie merkte: Es geht den Piraten darum, wie sich Politik gegenüber einer zunehmend zur Informationsgesellschaft wandelnden Gesellschaft neu positionieren kann und muss. Das betont sie im Verlauf des weiteren Abend immer wieder: Die Piraten suchen vor allem eine Form, um Inhalte zu generieren, welche aus der Summe ihre Mitglieder und Wähler bestimmt werden. Es ist ein Experiment, was die Partei an sich selbst ausprobiert. Es handelt sich um die oft erwähnte und selten wirklich verstandene Liquid Democracy, eine Mischung aus direkter und repräsentativer Demokratie, bei der Menschen ihre Stimmen auf andere delegieren und spontan vergeben und wieder zurückziehen können. Es ermöglicht so schnellere und direkte Reaktionen auf politische Entscheidungen. Und wirklich fragt man sich wie Weisband: Wie kann es sein, dass das Netz alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beeinflusst, aber die Politik, die repräsentativen Herrschaftsformen bislang nicht verändert hat?

Notwendiger Kontrollverlust

Da die Piratin ganz Kind ihrer Zeit: Das Netz ist ihre Heimat, es ist der Ort ihrer Freiheit. Was soll das sein, die Aufteilung in eine „virtuelle“ und „reelle“ Welt? Weisband ist gegen diese Unterscheidung. Auch im Netz treffe man sich mit Freunden, könne einkaufen oder Essen bestellen, seine Mitmenschen verletzen, sich kennenlernen. Hier hängt sie ab, trifft Menschen, kommuniziert und schafft Inhalte. Was bedeutet das für sie, Freiheit, fragt Jakob Augstein. „Freiheit bedeutet, dass ich einen Raum habe, in dem ich die Freiheit Anderer nicht beschneide“, erklärt sie. So klingt also der Kant´sche Imperativ für das Netz.

Freiheit und Partizipation, das sind auch die zwei Begriffe, welche die Piratenpartei den anderen Parteien gewissermaßen „weggeschnappt“ haben, merkt Jakob Augstein an und die sie neu definieren konnten. Ja, nickt Marina Weisband zustimmend, es sind es eben diese Begriffe, über die die Piraten zu ihren Inhalten kommen. Deshalb sind sie so zentral. Jedes Mitglied hat eine Stimme, alle Augenpaare prüfen und berechtigen die Entscheidungen. Es ist ein notwendiger Kontrollverlust und ein Herrschaftsverlust, vor dem andere Parteien schlicht Angst haben, vermutet sie. Und dann schmunzeln Augstein und Weisband über den Versuch eines Online-Wahlkampfes der SPD von 2009 der à la Obama geplant war, bei dem vor lauter Kontrolle aber nichts mehr ging. Das sei eben anders bei den Piraten, erklärt die Piratin. Jeder könne twittern was er wolle, auch wenn das PR-technisch wahrscheinlich eine Katastrophe sei.

Konsequenterweise kommen deshalb jedoch auch Meinungen vor, für die man sich eigentlich keine Plattform wünscht, schon gar keine Politische. Stichwort Bodo Thiesen mit seinen rechtsradikalen Äußerungen. „Ich kotz im Strahl!“, kommentiert die Piratin trocken. Wie kann verhindert werden, dass die erwünschte Vielstimmigkeit solche Ausfälle reguliert? Die einzige Möglichkeit, sollte der rechtliche vom Parteiengesetz bestimmte Weg scheitern, sei eine Atmosphäre zu erzeugen, in der Nazis sich nicht wohlfühlen. Zustimmendes Klatschen aus dem Publikum. „Gleiches erzeugt Gleiches“, hofft Weisband. Wirklich befriedigend ist die Antwort aber nicht. Reicht die Selbstregulierung einer Gemeinde wirklich aus um Missbrauch zu vermeiden?

Pathetisch und unkonkret?

Gegen Ende wird es noch mal persönlich: Die obligatorische Rücktrittsfrage. Natürlich ist das merkwürdig, genau jetzt wo die Piratenpartei boomt das Schiff zu verlassen, gibt sie zu. Und nein, es sei keine politische Masche keine zweite Amtszeit als politische Geschäftsführerin anzutreten. Die Antwort ist denkbar einfach. Sie ist jung und hat noch keine abgeschlossene Ausbildung, auf einen ewigen Politikerposten will sie sich nicht verlassen. Sie möchte stattdessen ihr Studium beenden und das muss bis 2013 passieren. Das hat sie in den Medien bereits mehrfach gesagt. Aber wie sie es an diesem Abend erklärt, zeigt wieder: Das sind keine Floskeln, das ist kein Machtkalkül. Es ist die Konsequenz ihrer persönlichen Interessen und deshalb einleuchtend, nachvollziehbar, authentisch. „Die meisten Leute mit denen ich in Talkshows sitze, sind ihrer Partei beigetreten, bevor ich geboren wurde“, sagt sie. Das Publikum lacht. Ihre eloquente und schlagfertige Art macht es einem einfach, ihr junges Alter (24) zu vergessen. Gut, dass sie daran erinnert. Zeit für politische Arbeit – sollte sie ihre Arbeit vermissen und nach ihrem Abschluss wieder aufnehmen wollen – sei nach ihrer Psychologie-Diplomarbeit noch genug. Wenn nicht, werde sie eben Psychologin, plaudert sie unbefangen. Das wäre ein echter Verlust.

Was sie sagt klingt visionär, obwohl sie reflektiert spricht ist man ist geneigt zu sagen, naiv. Andererseits sind es die „großen“ Fragen der Zeit, welche vor dem Hintergrund der Vernetzung durch das Internets als einem der weitreichensten Veränderungen unserer Epoche neu gestellt und verhandelt werden müssen. Wie wollen wir leben? Was bedeutet Freiheit? Wie können wir unser Leben gestalten? Und wie soll sich Politik als Instrument dieser Gestaltung zu uns verhalten? Es sind die Fragen, die sich zumindest meine Generation unablässig stellt und die sie gleichzeitig im luftleeren Raum zurücklässt, weil es zu wenige befriedigende Antworten darauf gibt. Ein Experiment zu starten, dass Antworten auf diese Fragen nicht nur sucht, sondern ausprobiert ist spannend, wie Jakob Augstein mehrfach bemerkt. Es ist auch mutig.

Es mag vielleicht pathetisch klingen und unkonkret. Das findet auch Blogger Jan Best, der, nachdem die Lichter angehen und die Zuschauerdiskussion eröffnet wird, seinem Unmut Luft macht. „Seicht“, sei dieses ganze Gerede, vielleicht spaßig, aber wieso gebe es immer noch keine Antwort zur Afghanistan-Frage? Nochmal erklärt die Piratin, es gehe zunächst mehr um das prozessuale Moment, um die Entwicklung eines neues Konzepts für Inhalte statt um die Inhalte selber. Der protoypenhafte Charakter des Konzepts stört die Wähler offensichtlich nicht. Hauptsache, es bietet sich eine Aussicht auf Veränderung. So erklärt sich Weisband auch den Zulauf der vielen Nicht-Wähler, bei denen sie sicherlich einen Vertrauensvorschuss genieße. Frei nach dem Motto „Es kann nur besser werden“. Diese Wir-probieren-es-jetzt-mal Haltung, gepaart mit einer Portion Wir-glauben-dass-es-klappen-kann macht möglicherweise den bestechenden Charme der Partei und Marina Weisbands aus.

Das aufgezeichnete Gespräch erscheint in der kommenden Ausgabe des Freitag mit den weitere Themen des Abends wie z.B. der Urheberrechtsdebatte

Zum Weiterlesen: Blog von Daniel Martienssen

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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