Bildung: Ethisch ist, was Sparen hilft

Ethikunterricht. Artikel 7 GG erlaube es den Kirchen, Inhalte und Ausgestaltung des Religionsunterrichts zu bestimmen", so Achtermann. Warum sollte es beim Ethikunterricht anders sein?

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Eine Replik auf Achtermann

von JR und Tai De

In einem Nutzerbeitrag » am vorigen Sonntag setzte sich Achtermann aus der Perspektive eines Vaters mit den Alternativen zum Religionsunterricht auseinander. Er stellte fest, dass der konfessionsgebundene Religionsunterricht in Deutschland privilegiert sei.

http://justrecently.files.wordpress.com/2011/06/on_the_shining_path_of_protestant_virtue.jpg?w=205&h=324Geht es auch etwas unauffälliger, Frau Kässmann?

Die Forderung

Ob nun Werte- und Normen oder Ethik, nicht wenige Eltern und Kinder ziehen in einer zunehmend säkular geprägten Gesellschaft die Alternativen zum Religionsunterricht vor.

Die auch in Norddeutschland immer mehr ausfernde Mode des Einschulungsgottesdienstes oder sogar der Umschulungs- oder Übertrittgottesdienste verursachen nicht wenigen Menschen ein ungutes Gefühl. Je stärker der Eindruck einer Manipulation wird, desto verärgerter sind die Menschen und versuchen gegen diese Form der Beeinflussung Stellung zu nehmen oder auch zu klagen. Die Erfolgsaussichten bleiben jedoch gering.

Achtermann verweist auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Darin wird dem Staat eine Gestaltungsfreiheit zuerkannt, die über die Vorstellung mancher Eltern hinausgeht. So wie Klägerin jetzt das Bundesverfassungsgericht anruft, um den Ersatzunterricht für ihre Kinder durchzusetzen, so möchten in Deutschland viele Eltern ihre Kinder aus dem Religionsunterricht herausnehmen und im Fach Philosophie, Werte und Normen usw. unterrichten lassen. Sie versprechen sich davon eine ethische Erziehung ohne die Schwerpunktfestlegung auf die christliche Religion.

Der Wunsch vieler Eltern nach einem religionsunabhängigen Ethikunterricht ist gewiss nachvollziehbar. Aber wenn die Landespolitik ein Schulfach wie zum Beispiel Ethik oder Werte und Normen einrichtet, wird sie zur Erstellung der Grundlagen dieses Faches und seiner Lehrpläne eine oder mehrere Kommissionen einrichten, die besetzt sind mit Mitgliedern der gesellschaftlich relevanten Gruppen. Und jetzt rate der Leser einmal, wer da wohl sitzen wird.

Ethikunterricht als Sockenpuppe

Die Manipulation endet nicht, nur weil manche Unterrichtende das Kreuz weniger offensiv vor sich hertragen als bisher.

Glaubt irgendjemand, dass die in diese Kommissionen berufenen Vertreter der Gewerkschaften, des DRK, des ZK der deutschen Katholiken, der hannoverschen Landeskirche usw usf nicht auf die mehr oder auch weniger bewährten Konzepte und Inhalte des Religionsunterrichts – zum Beispiel hier, Seite 56 – zurückgreifen?

Natürlich erhalten religionskritische Eltern solche Hintergründe nicht im Fettdruck – Symbolpolitik reicht zumeist vollkommen hin.

Also noch einmal: Eltern wünschen sich Ethik-Unterricht, klagen sogar bis sonstwohin, damit die Kinder diesen Unterricht bekommen, um dann von LehrerInnen unterrichtet zu werden, die ihrerseits von kirchlichen Einrichtungen aus- und fortgebildet wurden.

Bildung aber kommt von billig, jedenfalls in der Landespolitik, also da, wo sie laut GG weitgehend hingehört. So wie Landespolitik auf bewährte Konzepte z. B. der katholischen oder evangelischen Kirchen setzt, so bevorzugt sie auch andere erfolgreiche Dienstleister und Kooperationspartner – sei es im Unterricht für die Kinder, sei es für die Ausbildung der LehrerInnen. Niedersachsen zum Beispiel ist besonders stolz auf seine Kooperationen mit den chinesischen Hanban-Instituten („Konfuzius-Institut“). Das heißt: ein totalitäres Regime finanziert Lehrstühle und die deutsche Seite tut so, als gebe es so etwas wie ein „free lunch“ in der Politik. Ethisch ist, was beim Sparen hilft.

Aber zurück zur Religion. So geboten die Worte Christian Wulffs – der Islam gehört zu Deutschland – auch waren, so sollte man über die Intention der Einführung des islamischen Unterrichts an niedersächsischen Schulen auch kritisch nachdenken. Denn die größten Verbündeten der Befürworter eines islamischen Religionsunterrichts sind in der niedersächsischen EKD zu finden.

Das ist aus evangelisch-kirchlicher Perspektive auch durchaus verständlich, denn eine zunehmend säkulare Gesellschaft wäre für den evangelischen Religionsunterricht irgendwann fast zwangsläufig das Ende. Wenn sich hingegen der islamische Religionsunterricht fest etabliert, steigen auch die Überlebenschancen für das Fach evangelische Religion in Niedersachsen.

Zum einen lohnt sich dieser dann nämlich auch auf einer schmaleren zahlenmäßigen Basis. Zum anderen aber entsteht unter säkularisierten christlichen „Karteileichen“ – oder sogar unter denen, die ihre Kirchen bereits hinter sich gelassen haben – ein ganz anderes Abgrenzungsbedürfnis als zuvor. Anekdotisch dazu: die Verfasser haben bereits mehrmals mit eigenen Ohren gehört, wie sich Ex-Kirchenchristen oder Menschen "mit wenig am Hut mit Religion" gegenüber Moslems in verschiedener Weise auf ihren christlichen Höchsten - oder doch zumindest sein Erbe - beriefen.

Ein weiterer positiver Effekt der Einführung eines „dritten“ Religionsunterrichts ist natürlich, dass dem Fach Ethik die SchülerInnen mit islamischen Hintergrund entzogen werden und so die Diskussion um die Inhalte des Faches auch aus diesem Grund weiterhin unter „ferner liefen“ verbucht werden dürfen.

Fächer und Unterrichtsinhalte spiegeln das – von der Politik interpretierte oder prognostizierte – Wählerverhalten in den Bundesländern. Die Einflussmöglichkeiten auf den Religionsunterricht und den Ethikunterricht sind für geneigte gesellschaftliche Gruppen beträchtlich. Aber beide Fächer sind nichts weiter als Kurzfächer, die die SchülerInnen mit der linken Arschbacke abreißen können.

Ethikunterricht beginnt zu Hause

Selbst wenn - gegen die Wahrscheinlichkeit - die Schulen auf ein festes Angebot eines Ethik-Unterrichts verpflichtet werden, würde sich, wie oben dargestellt, am Nährwert des Unterrichts nicht viel ändern.

Viel interessanter als das, was in der Schule passiert, wären die politischen Einflussnahmen hinter den Kulissen. Eltern und ihre Kinder stehen in erster Linie Sockenpuppen gegenüber, die von den gleichen Akteuren bedient werden.

Es greift zu kurz, sich an "seine" Abgeordneten oder auch an die Gerichte zu wenden. Der Staat folgt allenfalls bereits vorhandenen Entwicklungen in der Bevölkerung. Er hilft aber keiner Bevölkerungsgruppe dabei, sich gegen wesentliche Teile des Establishments durchzusetzen.

Geschwächt werden die Kirchen keinesfalls durch die vordergründige Einschränkung ihrer schulischen Einflussmöglichkeiten, sondern lediglich durch den Verlust zahlender Mitglieder.

Der Ethikunterricht beginnt mithin zu Hause, nicht in der Schule. Ohnehin wird diese Stätte öffentlicher Bildung viel öfter zum Schauplatz dessen, was man gesellschaftlich gerne hätte, als es der Vermittlung grundlegender Kulturtechniken dienlich ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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