Der AFD-Wähler, das scheue Reh

Teufel & Beelzebub Wo bleibt die linke Selbstkritik?

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Ein beliebter Eröffnungszug bei Debatten, in denen Verantwortung für das eigene Tun und Lassen politisch profitabel verschoben werden soll, geht etwa so:

Der AFD-Wähler, das scheue Reh, ist ja gar nicht so. Er kann nur nicht anders, weil ihn die Linken so diskriminieren, weil die Linken in ihrer Parallelwelt leben, weil die Linken nicht auf Sahra Wagenknecht hören wollen, weil die Linken poststrukturalistisch sind, weil die Linken nur noch auf Nebenwidersprüche achten (um sich merkbefreit*) dem Neoliberalismus an den Hals werfen zu können), oder weil - so eine Aussage ist dann aber schon ziemlich gefährlich, weil man damit potenzielle AFD-Wähler beleidigen und erst recht in den schwarzbraunen Wald vertreiben kann ... aber OK, ich sag's einfach: weil die elektronisch-kapitalistischen Medien den AFD-Wähler (soweit er die AFD gegen sein eigenes ökonomisches Interesse wählt) verblödet haben. Puh, jetzt ist es raus - aber nur als eine Art Zitat!

Kehrt um und besinnt euch ...

Wenn es die Linken sind, wegen denen der AFD-Wähler AFD wählt, wird es allerdings Zeit, dass die Linken sich umstellen. Sie müssen anfangen, Forderungen zu stellen wie die AFD. Zumindest ein bisschen, damit der AFD-Wähler merkt, dass die Linken ihn respektieren und nicht verhöhnen.

Wem das als Linken zu schnell geht, der kann ja erstmal bei der CSU abschreiben. Das macht seine Position dann zwar nicht nur zur AFD-Kopie, sondern zur Kopie einer AFD-Kopie, aber irgendwie passt das ja auch. In dieser linksneoliberaltotalitären Republik kann man ja gar nicht mehr frei seine Meinung sagen, sondern muss verrauschte informelle Kopien austauschen.

Erstaunlich ist an dieser Art der Argumentation aber, dass sie sich - von links her - zur Realpolitik at its worst bekennt: sie erklärt AFD-Wähler - wie Wähler überhaupt - zu manipulierbaren Objekten. Und natürlich - das liegt in der Natur der Sache, wenn man kein Meister seines Faches ist - manipuliert man sich als Manipulateur gleich selber mit.

Vielleicht sollten die Befürworter behutsamer Umgangsformen, die zur Achtsamkeit gegenüber den Gefühlen des AFD-Wählers mahnen, sich selbst mal ehrlich machen.

... denn die linksneolibreraltotalitäre Republik ist nah!

Denn diese linksneoliberaltotalitären Linken, die Verrat an der eigenen Sache üben und den AFD-Wähler, das scheue Reh, ins AFD-Lager vertreiben, sind doch selbst nur scheue Rehe, die dem Hauptwiderspruch nicht ins Gesicht sehen können! Wenn man sie achtlos und unsensibel als das bezeichnet, was sie sind, werden sie doch nur weiter radikalisiert! Da muss man doch mal auf sie zugehen! Man muss ja nicht unbedingt gleich da anfangen, wo die wahnwitzige Alice-Salomon-Hochschule schon steht. Man könnte ja vielmehr schon mal vorsichtig damit anfangen, wie Göring-Eckardt zu sprechen, oder wenigstens wie Riexinger. Der hat immerhin schon mal finanzgetriebener Kapitalismus neoliberaler Ausprägung gesagt. Also, nur Mut. Da kann man doch wohl andocken, um das Schlimmste zu vermeiden, oder?

Sonst kommt die linksneoliberaltotalitäre Republik nicht nur - dann bleibt sie auch, und #metoo wird zum ständigen Bundestagsausschuss. Um das zu vermeiden, müssen wahre Linke auch mal ein paar Schritte auf das Böse zugehen.

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*) oder in böser Absicht, weil sie in Wirklichkeit gefährliche, linksliberale U-Boote sind, aber wir wollen ja nicht gleich das Schlimmste annehmen - das wirkliche Gegenteil von gut ist bekanntlich nicht böse, sondern gut gemeint

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JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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