Wie ein Mensch sich verhält, ergibt sich aus dem, was er gelernt hat, intellektuell und emotional. Zumindest die vorläufigen Schlüsse, zu denen ein Teil der Hirnforschung gekommen ist, legt nahe, dass es mit der sachorientierten Willensbildung und "freien" Entscheidung nicht weit her sei. Und auch wenn die Anhänger dieser "Hirnschule" möglicherweise zu weitreichende Schlüsse aus ihren Beobachtungen ziehen, bleibt auch ihren Kritikern offenbar nicht viel mehr als die Annahme, der Mensch werde aus seiner individuellen Erfahrung heraus aktiv - er beginnt nicht bei jeder kleinen oder auch großen Entscheidung seines Lebens bei Null.
Wo bleibt die Entrüstung über die Internetspionage der Geheimdienste, fragt Philip Grassmann vom "Freitag" - und bezeichnet die Privatsphäre als den Rückzugsraum, ohne den freie Meinungsbildung nicht möglich sei. Fragen danach, wie weit Sicherheit auf Kosten der Freiheit (oder Freiheit auf Kosten der Sicherheit) zu haben sei, interessiere offensichtlich immer weniger Menschen.
Die Annahme, dass viele Zeitgenossen sich eine Abrutschkupplung zugelegt haben, liegt nahe. Als der damalige CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann 1987 auf Teufel-komm-raus eine Volkszählung durchführen wollte und sich in der Durchsetzungsphase einer teilweise höchst renitenten Öffentlichkeit gegenüber zunehmend lächerlich machte, war das anders. Vielleicht wären Zimmermann einige vorstellbare Dienstleistungen des britischen GCHQ von heute nicht ungelegen gekommen, denn wer Flugblätter zur Zählungsabotage bei sich führte, der galt Zimmermann offenbar als Staatsfeind.
Die Art, in der sich mancher "Saboteur" der 1980er Jahre weniger als zwanzig Jahre später auf der Seite der Staatsautorität wiederfand, wirft vielleicht die Frage auf, ob sich ein Mensch nicht eben doch in seinen Überzeugungen und Erfahrungen - auch im reifen Erwachsenenalter - noch sehr gründlich ändern kann. Joschka Fischer oder Otto Schily mögen dafür Beispiele sein. Allerdings lassen sich andere Motive ebenso wenig ausschließen - lohnte sich im Interesse der eigenen Laufbahn oder der Selbstgratifikation in den 1980ern vielleicht noch lebhafte Opposition, bot der höhere Staatsdienst in dieser Hinsicht vielleicht in den späten 1990ern mehr davon.
Tatsache ist aber auch: was Thema ist, was Menschen bewegt und Meinungen beeinflusst, hat sicherlich viel mit dem zu tun, was überhaupt thematisiert wird.
Über das, was sich gegen tatsächliche oder als solche empfundene staatliche Übergriffe tun lässt, wird aber nach meinem Eindruck heute in der etablierten Presse weniger geschrieben als damals, als es neben den Mainstream-Medien wirklich nur marginale, für den Normalverbraucher kaum erreichbare (oder erschwingliche) Alternativen gab. Die alternativen Quellen, die es heute online durchaus gibt, stoßen wiederum nur begrenzt auf Interesse.
Ich vermute - und belegen kann ich das wirklich nicht -, dass Angst das hauptsächliche Motiv für die unpolitischere Haltung von heute ist. Es ist diese Angst, die Eltern dazu veranlasst, auf den "Umgang" zu achten, die ihre Kinder pflegen. Längst nicht jedes andere Kind einer Nachbarschaft wird als zulässige Gesellschaft für das eigene Kind betrachtet. Es existiert eine Angst vor dem eigenen gesellschaftlichen Abstieg, die es vor zwanzig bis dreißig Jahren anscheinend so nicht gab. Rauchen gilt als "Unterschichtsphänomen"? Die Angst, mit einer Zigarette schlecht auszusehen, ist vermutlich für viele Raucher oder Ex-Raucher ein stärkerer Motivator zum Bruch mit der Gewohnheit als die Angst vor Lungenkrebs oder anderen Erkrankungen der Atemwege - davon einmal abgesehen, dass chronische Krankheit ebenfalls schnell zum sozialen Abstieg, zum sozialen Tod, führen kann.
Eine Ursache der Angst war und ist sicherlich die kontinuierlich steigende Arbeitslosigkeit seit den 1970ern. Die Hartz-4-Gesetze und die Art und Weise ihrer Umsetzung mögen der Zuversicht, man werde schon nicht "aus der Gesellschaft fallen", vielfach den Rest gegeben haben.
Vielleicht hilft das die Tatsache zu erklären, dass die öffentliche Antwort auf die sehr umfassende und völlig unberechenbare Überwachung, der wir uns heute gegenübersehen, so gedämpft ausfällt. Vielleicht ist das eine - nicht notwendig die einzige - Erklärung dafür, dass zwar viel über Missstände geschrieben wird, aber wenig darüber, wie ihnen abzuhelfen wäre. Viele Foristen, auch in der FC, scheinen sich und ihren Mitbürgern und Mitbürgern in dieser Hinsicht nicht viel zuzutrauen. Es liege an den "Strukturen", heißt es. Das Fußvolk verstehe zwar die Probleme, sei aber Empfänger, nicht Gestalter, politischer oder ökonomischer Entscheidungen.
Das stimmt. Passivität und Fatalismus aber sind gelernt. Sie sind Produkte von Erfahrungen, und sogar eines gesellschaftlichen Trainings. Vielleicht war die Bereitschaft, auch durchaus einmal negativ aufzufallen, eine Ausnahmeerscheinung zwischen den (dem Vernehmen nach) repressiven 1950er und 1960er Jahren und den erneut repressiven ersten knapp anderthalb Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts.
Allerdings sind Passivität und Fatalismus nicht der prägende Wesenszug des Normalverbrauchers an sich. Untereinander sind Bürgerinnen und Bürger durchaus bereit, einander auszustechen, einander zu dominieren und einander zu zeigen, "wo der Hammer hängt". Die Passivität bginnt erst da, wo die Art "Macht" beginnt, die der Normalverbraucher selbst im Regelfall nicht hat. Mir berichtete eine Mutter erst kürzlich voller stolz, wie sie einen armen Schlucker, dem sie gerade zum ersten Mal persönlich begegnet war, gedemütigt habe. Der Mann hatte den großen Fehler gemacht, ihr Kind - aus ihrer sehr subjektiven Sicht - in Gefahr gebracht zu haben. Soweit ich sie kenne, ist sie keineswegs ein Unmensch. In mancher Hinsicht ist sie wohl ein tragendes Element ihrer Nachbarschaft, ihrer lokalen Zivilgesellschaft.
Ich fragte mich, was ihre Mutter, die Großmutter des "gefährdeten" Kindes, sagen würde, wenn sie ihre längst erwachsene Tochter so reden gehört hätte. 'Würde bei der Großmutter genau der gleiche Instinkt zünden, weil es doch schließlich um ihr Enkelkind ging, oder gehörte sie einer Generation an, die es nicht nötig hatte, das an gesellschaftlich Schwächeren auszulassen?
Aber ich behielt die Frage für mich. Ich "teilte" sie nicht mit der Mutter, die immer noch stolz auf sich war, weil sie ihr Kind "geschützt" hatte. Ich hatte keinen Bock auf eine Auseinandersetzung, die wahrscheinlich niemandem genützt, mir aber ebenso wahrscheinlich einigen "unnötigen" Ärger eingebracht hätte.
Ich fragte mich am Abend, welche Schlüsse das Kind, das den peinlichen Vorgang ja miterlebt hatte, aus dem Gesehenen und Gehörten ziehen würde. Ich fragte mich, von wem mein Gegenüber es gelernt hatte, einem unbekannten Mitbürger sein Mitbürgertum in Wort und Tat abzusprechen. Und ich fragte mich, wann ich es "gelernt" hatte, solche Fragen nicht mehr laut zu stellen, an die Adresse, die sie am ehesten beantworten könnte.
So lange mich diese Frage beschäftigt, muss ich mich nicht fragen, warum ich mich über NSA oder Tempora nicht sonderlich aufrege.
You're your own man, HuffPost, 17.06.13
Return conditions, BBC 28.06.13
Kommentare 66
danke für die persöhnliche annäherung an die
"schockstarre“ * sehr gern und mit interesse gelesen * feine restnacht noch cp
Natürlich ist bei persönlicher Betroffenheit die Wahrscheinlichkeit größer, zu handeln. Aber nach meiner Erfahrung bleibt es selbst dann noch bei einer Minderheit, die sich bewegt. Angst?
Das mag manchmal so sein, wenn es sich z.B um den Arbeitsplatz handelt. Aber mir erscheint eher die Distanz zum Problemfeld für den Einzelnen zu groß, zu undurchsichtig.
Nehmen wir den aktuellen Fall Snowden: Selbst hier wird uns von der Mainstreampresse eher das Verhalten von Snowden skandalisiert, als den eigentlichen Skandal aufzugreifen! Sein Verhalten ist sicher nicht legal, aber ist es deshalb illegitim?
Eine rühmliche Ausnahme in der aktuellen Zeit auf der Titelseite: "Würden Sie diesen Mann verstecken?" Und auf Seite 3 wird im: "Sein geheimes Leben" als Fazit geschrieben: "Deshalb sollten Sie Ed Snowden die Tür aufmachen und ihm Zuflucht gewähren. Mindestens so lange, bis fest steht, dass er ein faires Verfahren bekommt". Kann es irgendeinen Zweifel daran geben, dass er kein faires Verfahren zu erwarten hat?
Vielleicht bin ich ein wenig von Thema abgekommen, aber ich sehe hier eine Verbindung zur Urteilsbildung der Bürger, die nur noch in kleineren Bereichen der Medien Unterstützung für die Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte findet.
Also bleiben es Minderheiten, die sich aufgrund besonderer Umstände das Wissen angeeignet haben, einen gewissen Idealismus besitzen oder sich das Gefühl für Gerechtigkeit erhalten haben.
Was ich aber erwarte ist, dass jeder in seiner Verantwortung in seinem Job, genau wie Snowden ggf. die Konsequenzen zieht. Risiken gibt es nur dann, wenn es wenige sind, die so handeln. Ansonsten gäbe es keine Macht, die auf Dauer dagegen bestehen könnte.
Wenn ich mein Verständnis der Teile der wissenschaftlichen Forschung zugrunde lege, die ich zu Beginn flüchtig beschrieben habe - die Links sind Empfehlungen zum Weiterlesen -, stellen sich für mich zwei alternative Sichtweisen dar.
Die eine wäre die, dass z. B. Singer (oder auch Roth mit seiner gemilderten Sicht der langfristigen Strukturierung von Wertebildung und Entscheidungsprozessen) eher falsch liegen. Dann kann man tatsächlich von jedem erwarten, dass er in seinerVerantwortung ggf. die Konsequenzen zieht, denn man kann ja davon ausgehen, dass er über die Voraussetzungen für eine unvoreingenommene, ergebnisoffene aber wertegebundene Entscheidung verfüge.
Die Ergebnisse dieser von der "Zeit" zitierten "yougov"-Umfrage ergeben aber gerade beim Verhalten von Nutzern elektronischer Medien ein sehr viel widersprüchlicheres Bild, das m. E. doch sehr für stark vorbelastete, wenn nicht gar in weiten Teilen prä-determinierte Entscheidungsprozesse spricht.
Es sind just ältere - deutsche - Nutzer "sozialer Medien", unter denen viele die Internet-Überwachung gut finden oder sich "nicht von den USA überwacht" fühlen.
Und während vor allem Angehörige der Altersgruppe 18 - 24 das nicht einmal zu einem Viertel "gut" finden, ergibt sich daraus just bei denen kaum eine Bereitschaft, auf Skype, Facebook und YouTube verzichten zu wollen - bei dieser praktischen Konsequenz sind die Älteren - eigenen Angaben nach - eher zur Zurückhaltung oder zum Ausstieg bereit.
Hier beginnt meine Interpretation: es geht den Jüngeren dabei nicht zuletzt um den sozialen Aufstieg (oder Nicht-Abstieg). Es mag sein, dass der Nutzen z. B. von Facebook in dieser Hinsicht überschätzt wird - aber viele jüngere Nutzer halten FB als Karriere-Tool für durchaus wichtig. Sie halten es auch für einen wichtigen Zugang zur Gesellschaft / zu "ihrer" Gesellschaft.
Die alten Nutzer geben sich politisch längst nicht so aufgewühlt, ziehen einen Verzicht auf FB & Co. aber offenbar eher in Betracht als die jüngeren.
Das sind aus meiner Sicht innere Widersprüche, bei denen die Medien die Öffentlichkeit geradezu "an die Hand nehmen" müssten, um zu einer engeren Verbindung zwischen Denken und Handeln zu kommen. Das aber halte ich für so wenig wünschenswert wie die Hetze, die in Teilen der Mainstream-Medien gegen Snowden Einzug gehalten hat. Rechtsempfinden oder Rechtlichkeit werden nicht über die Medien vermittelt. Und zur Bildung persönlicher Urteilsfähigkeit können sie allenfalls als Material dienen, aber nicht als Methodenträger.
Viele Bürgerinnen und Bürger wissen - verstehe ich die yougov-Umfrage korrekt - durchaus, was gut für sie selbst ist - sie ziehen daraus aber keine gesellschaftlichen Konsequenzen. Die Alten sehen sich tendenziell in einer Position zum Verzicht auf Facebook; die Jungen eher nicht. Die alten sind (meine Interpretation: eben aufgrund ihrer relativen Unabhängigkeit) weniger empört über die Überwachung; die Jüngeren (aufgrund der von ihnen empfundenen Notwendigkeit, das Internet intensiv zu nutzen), eher empört.
Das offenbart recht selbstzentrierte individuelle Beurteilungen der Berichterstattung, und daran würde sich nicht viel ändern, wenn die Presse wesentlich kritischer über die Überwachung berichtete, als sie es zur Zeit tut.
Da nicht für! Mir scheint es wichtig, nicht nur auf diejenigen zu gucken, die gemeinhin als "Entscheider" gesehen werden, sondern auch auf diejenigen, die im selben Narrativ nur (oder fast nur) als Objekte solcher Entscheidungen auftreten.
Das ergibt vielleicht kein gefälliges Bild, und ich glaube, die Presse würde das so schon darum nicht diskutieren, weil es bei der Öffentlichkeit nicht besonders gut ankäme, aber wenn man mehr Snowdens möchte, muss man sich m. E. fragen, was wenige antreibt und viele lähmt.
Den Singer können wir ausklammern. Forscher wie er werden mit der materialistischen Weltsicht das Mysterium des Geistes nie begreifen. Das philosphische Konzept des Geistes ruht nicht in einem bezugslosen Raum der Willkür. Die Kette von Ursache und Wirkung, die zu unseren Entscheidungen beiträgt oder sie bedingt wird sich nie im Detail auflösen lassen. Die Neurologen leisten zwar wichtige Arbeit, werden aber den "Geist", unser "Ich" unsere "Identität" nicht sezieren können.
"aber wenn man mehr Snowdens möchte, muss man sich m. E. fragen, was wenige antreibt und viele lähmt."
Für mich die Kernfrage! Die Komplexität der Wirklichkeit, der Informationsflut trägt sicher zur Passivität bei. Aber stärker erscheint mir der Mangel an Courage, sich den sogenannten Autoritäten, den "alternativlosen Behauptungen" zu widersetzen und zumindest Fragen zu stellen. Demokratie und Passivität vertragen sich nicht und lässt diese schnell zur leeren Hülle werden.
Technische Mittel nicht mehr zu benutzen wäre sicher keine Lösung. Aber FB und Twitter usw. sind nicht das eigentliche Problem. Wenn die neuen Medien für die demokratische Willensbildungen genutzt werden, gut! Ich beobachte aber im Alltag eher das Gegenteil. Geisttötende und zeittotschlagende Dauerkommunikation. Vielleicht sollte man lieber von Geschwätz reden. Hier ist das Medium zum Inhalt geworden. Was will man hier erwarten?
Erst mit Einsatz von Zeit lassen sich strukturierte, reflektierte Gedanken entwickeln. Die neuen Medien bieten viele Möglichkeiten, aber nur der Teil der Gesellschaft nutzt sie sinnvoll, der auch ohne diese Mittel zur kritischen Minderheit gehört.
Letztere Aussage ist natürlich eine Behauptung, die zu beweisen wäre.
Zur "Bereitschaft, auf Facebook, Skype und YouTube verzichten zu wollen" ... muss ich vehement Einspruch erheben. Damit würden wir die totale Ohnmacht demonstrieren: Wenn jemand dein Telefon abhört, dann telefoniere nicht mehr. Benutze Brieftauben wenn deine Briefe gelesen werden. Und so weiter. Wir haben Gesetze und einen Rechtsstaat, so schlecht er auch immer jetzt gerade regiert wird. Überwachung durch Konzerne muss strafrechtlich verfolgt werden und Überwachung durch den Staat muss durch die Bürger und das Bundesverfassungsgericht gestoppt werden. Wir können nicht einfach die neuen Kommunikationswege aufgeben, das käme einer Kapitulation gleich.
Ich melde mich später am Tag mit einer Antwort wieder, Pleifel, aber ...
... hier muss ich doch mal eben schnell Einspruch erheben, Ernstchen, bevor ich hier zum reinen Kurzwellenhörer deklariert werde: ich plädiere ja für keinen Rückzug vom Internet, sondern versuche, mit dem Vergleich zwischen älteren und jüngeren Nutzern und ihren Sichtweisen eine Dissonanz zwischen Weltsicht und (beabsichtigte/angekündigte) Praxis aufzuzeigen. Zugegeben - die eine Umfrage als Basis ist dünn, aber ihre Interpretation ist ein erster dünner Versuch meinerseits, um vielleicht einem konkreten Problem oder Verhaltensmuster näher auf die Spur zu kommen.
Allerdings finde ich, dass die Welt ohne Facebook nicht ärmer wäre. Facebook ist nicht das Internet - in mancher Hinsicht eher das Gegenteil davon ;-)
Dies ging an Ernstchen.
danke für den kommentar zum kommentar * dissen, bashen, unfriendly everywhere, ist n.m. e. der tatsache geschuldet "das es sich nach oben schlecht schnappt" * kurzsichtig, aber wer ist so vermessen davon auszugehen, der mensch, als eigentlich durchaus vernunftbegabtes wesen, handelt immer pfiffig (seine verantwortung immer offensiv wahrnehmend) * ich bin ja irgendwie ein entschleunigungs fan @ draufschauen am besten von oben, unten, links und rechts dann als bekennender "fan" von stéphan hessel * optimistisch bleiben, nicht durchdrehen, ausrasten, schnappatmung bekommen, sonder verantwortlich handeln - und dass kann eben dazu führen ruhig, gelassen, ent- und nicht verspannt, beherrscht zu agieren sowie Snowden ǀ Mut zur Teilnahmslosigkeit! — der Freitag wobei ich mut zur gelassenheit bevorzuge * ein lockeres "hetz mich nicht" so anti-hype auf dem medialen marktplatz * und ernsthaft wer bin ich das ich mich von einem weekly hetzen lasse? hessel hat 2012 sein buch an die empörten dieser erde untertitel vom protest zum handeln geschriebenauf seite 92 tauchen huxley und orwell als negative utopie auf da finde ich eine positive utopie ist eine echte alternative * feinen start ins wochenende cp
"occupy free internet" um mal ein label draufzupappen
Nee, den Singer will ich nicht einfach ausklammern. Er bietet so wenig eine Welterklärung wie der Dalai Lama - aber ihm kommt das Verdienst zu, in einen sehr selbstgefälligen geistlichen, gesellschaftlichen und literarischen Ballon hineingestochen zu haben, dem zu Folge der Einzelne alles und "die Masse" nichts sei. Dass Singer für bestimmte Dimensionen blind ist, disqualifiziert ihn nicht. Ich bin eben für andere Faktoren blind als er. Auch in solchen Punkten leisten Neurologen wichtige Arbeit - wenn sie versuchen, zu philosophieren.
In dem vor einigen Wochen von Ihnen angesprochenen Beitrag von Werner Seppmann ging es ja speziell um die Arbeitsplatz- und Arbeitsvertragsgestaltung - um die industrial relations und die Frage, warum auf einem Gebiet, auf dem das unmittelbare gesellschaftliche Überleben auf dem Spiel stehe, gerade diejenigen paralysiert wirken, die dieses Spiel am meisten angeht.
Prekariat - als Lebensbedingung oder auch als Befürchtung - ist m. E. auch im Zusammenhang mit PRISM, Tempora oder binnendeutscher Überwachung ein wichtiger Faktor. Das beginnt ja schon mit der irrationalen Furcht vor dem Terrorismus (und das ist möglicherweise noch kein Vergleich mit der Furcht die entsteht, wenn ein groß angelegter Terroranschlag in Deutschland einmal nicht mehr scheitert). Im einen (Arbeitnehmer-/Selbstvermarkter) Fall wie im anderen (Überwachung, Terrorismus) sieht sich eine "prekäre" Gesellschaft Mächten ausgeliefert, "an denen man nicht ändern" könne.
Seppmann liefert Erklärungen - wobei sie im ersten Teil des seinerzeit bei Ihnen verlinkten Artikel eher einen Hyperlink-Artikel auf bereits Gedachtes darstellen.
Aber manches ist auch konkret - zum Beispiel:
Von politisch progressiver Relevanz könnten sie nur im Rahmen einer umfassenden Widerstandsbewegung sein, die ihr vitales Zentrum in den Betrieben und den Gewerkschaften hat.
Seppmann geht m. E. davon aus, dass Widerstand von anderen gelernt wird. Es müsse mindestens eine Art Unterabteilung der Gesellschaft geben, in der eine widerständige Haltung als normal empfunden werde - wieder mal meine Interpretation.
Und sicherlich hilft einem verängstigten Menschen auch das Bewusstsein, Teil einer Bewegung zu sein, die so groß ist, dass die "Macht" ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht individuell herausgreift.
Aber selbst das funktioniert nicht ohne den einen oder anderen Moment der Zivilcourage, so, wie hier von Kleist dargestellt. Hier geht es nicht um "Sternstunden" - auch wenn vielleicht eine daraus wird. Es geht darum, spontan den Mund aufzumachen.
Und das nach Möglichkeit im richtigen Moment. Wenige Wochen, Tage, Minuten zuvor hätte das "Pulver", dass sich in Mirabeaus Kopf angesammelt hatte, vielleicht nicht gezündet; das der Noch-Machthaber aber durchaus.
Aber auch Mirabeau war die Summe seiner persönlichen Erfahrungen. Snowden ebenso - setze ich voraus. Den Link unter "Info" oben links habe ich mit dem Gedanken gesetzt, dass Snowden wie jeder Mensch ja auch eine Herkunft hat.
Ich bemühe mich um Gelassenheit - aber es ist eine suchende (und manchmal ungeduldige, nicht hektische) Gelassenheit. Ich versuche das zu finden, was Wolf Singer nicht sehen kann.
Vielleicht ist bei jedem Menschen der Zeitpunkt für "den richtigen Moment" ein Moment der nicht mehr hinterfragt wird, da dieses Momentum sich in klarer, verstandener Weise ausdrückt und zur Handlung drängt. Eine dabei gemessene, beobachtete Gehirnanalyse könnte zwar Kausalitäten feststellen, aber keine Erklärungen des Ergebnisses liefern, allenfalls Zuschreibungen.
Im Übrigen ist der gleiche Effekt festzustellen, die jeder Fotograf kennt: der Beobachtete befindet sich im Zustand der Beobachtung und nicht mehr im ursprünglichen Zustand. Das wissen die Physiker ja "elementar".
So verstanden ist die Ausführung dann nur noch durch den Willen gehindert, der als eine Form von Energie zur Umsetzung benötigt wird. Der Wille als Impuls zur Ausführung.
Der innere Kosmos erschließt sich dem Neurologen nicht, da er nur die Oberfläche beobachten kann. Der Komplexitätssprung zu dem was uns ausmacht, ist nicht mechanistisch zu begreifen.
Nichts gegen Singer. Als Wissenschaftler zwingt er die Philosophen (Ethiker) zu ständigen Überprüfung der Positionen. Das ist schließlich auch der Sinn von Fortschritt.
Wir stecken hier in einem der tiefsten Problemfelder der Wissenschaft (Philosophie), wo es keine endgültigen Gewissheiten gibt. Gut so, denn so bleiben wir in Bewegung!
Determinismus als zwingende Schlussfolgerung auf vorliegende Fakten? Determinismus als zwingende Handlung auf vorliegende Fakten? Selbst wenn wir Gesetzmäßigkeiten feststellen (unsere Interpretation in der Zeit), haben wir keine Chance, die notwendigen Daten so vollständig zu erheben (zu messen), um die Wirkung daraus sicher voraussagen zu können. Das Wetter möge als Beispiel dienen.
Also können Singer und Kollegen gerne von Determinismus reden. Ich betrachte seine Schlussfolgerungen dann einfach als seine momentane Determiniertheit, die er für sich ggf. aufgrund neuer Fakten ändern kann. Aber dies macht die Relevanz seiner Aussagen dann auch nicht besser, wenn man seine Prämissen anlegt. Aber so will er sicher nicht verstanden werden. :-)
Hallo Pleifel, deine Geistesvorstellung wirkt doch etwas exotisch-katholisch auf mich. Dass die Neurologie mit zunehmendem Erfolg daran arbeitet, die blackbox zwischen unseren Schulterblättern zu erhellen, ist m. E. unbestreitbar. Gott sei Dank sind der Mensch und seine neuronalen Vernetzungen das Produkt jahre- und jahrzehntelangen Lernens. Sofern man keinen Menschen unter Laborbedingungen aufzieht und lernen lässt, bleiben die Probanden bei solchen Untersuchungen immer ein Rätsel. Mit zunehmender Erfahrung der Neurologen wird die Zahl der Rätsel voraussichtlich etwas kleiner, aber JEDE neuronale Verbindung wird unter rechtsstaatlichen Bedingungen nicht aufschlüsselbar werden.
Wir müssen nun mal mit Begriffen arbeiten. Was Sie für eine Vorstellung von ihrer eigenen Identität haben, liegt in ihrer Welt.
Ich habe nicht gegen die Wissenschaft geschrieben, wehre mich aber gegen die Schnellschüsse mancher Schlussfolgerungen, die sie übrigens bei den großen Physikern so nicht finden werden. Die sind im Verständnis der Natur in ihrer Unbestimmtheit und Offenheit längst ein Stück weiter.
Unbestritten geht durch jahrelanges Lernen eine Veränderung der neuronalen Vernetzung einher, was wiederum Einfluss auf das Lernen und Verstehen hat usw.. Und, was sagt das aus? Es gibt Zusammenhänge, mehr aber auch nicht. Intellektuelle Intelligenz an sich ist ein rationales Element, was nichts oder wenig über den "Wert" der Person aussagt (was in einem Wort die Integrität betrifft).
Das neuronale Netz mag möglicherweise der Sitz von dem sein, was ich jetzt ohne Bezeichnung lasse, um keine religiösen Fehlschlüsse zu assoziieren.
Mit ihrer Formulierung vom Rätsel sind wir überein.
Ich komme noch mal zu Ihrer Erwartung an Menschen und ihre professionelle Integrität - so verstand ich den Satz - zurück, Pleifel:
Was ich aber erwarte ist, dass jeder in seiner Verantwortung in seinem Job, genau wie Snowden ggf. die Konsequenzen zieht.
Das wäre just deterministisch, oder? Das wäre nicht nur die Erwartung an eine Person, stets so zu handeln, das man sie als integer betrachten könnte, sondern eine Erwartung an sehr viele, bzw. alle.
Damit bestünde allerdings das "Rätsel, von dem Sie (und Tai De) sprechen, nicht mehr. Für die (gedachte) letzte Instanz für die Bewertung von Integrität (nennen wir ihn Jesus - das haben ja schon viele getan) gäbe es dann keine Überraschungen beim "Probanden" mehr.
Geht auch an dich, Taide.
Jetzt hatte ich eine längere Antwort formuliert und das System hat mich rausgeschmissen. Neuer Versuch.
Die Idealvorstellung, integer zu handeln könnte man deterministisch nennen, wenn es eine zwingende Konsequenz wäre. Hier kommen wir in die Freiheitsdiskussion, inwieweit sie noch so genannt werden kann, wenn absolute Erkenntnis immer zum richtigen Handeln führen müsste.
Die Wertung unserer Handlungen ist nur im Bezug zu anderen Personen möglich, da wir als allein Lebende keine Bezugsebene der Wertung hätten.
Aber wie handeln wir, wenn wir plötzlich eine persönliche Erfahrung der Gewalt erleben, die einem Mitmenschen widerfährt. Warum greift der eine ein, der andere nicht? Ich kann nur vermuten, woran es liegt. Aber ich glaube schon, dass eine gewisse Grundstruktur vorhanden sein muss, damit man ungeachtet eigener Gefährdung eingreift.
Es sollte der Anspruch an uns (als Menschen) sein, im jeweiligen eigenen Verantwortungsbereich die Konsequenzen zu ziehen, wenn uns zwar die Legalität zu etwas berechtigt, aber es legitim ist, ggf. ein Gesetz zu brechen! Es gibt eine innere Logik (des Herzens), die man nicht rational begründen muss, um zu wissen, was richtig und was falsch ist.
Ob es dafür einer letzten Instanz bedarf, die das Prinzip begründet oder legitimiert, darf sicher offen gelassen werden. Ich lebe zwar nicht nach der Pascalschen Wette, aber schlechter würde die Welt sicher nicht, heute unter Ergänzung der Toleranz so zu leben.
Mir ist schon klar, dass sich nicht jeder Regeln nach eigenem Gusto machen kann. Aber ich hoffe doch, dass meine Argumentation (siehe zu Snowden) nicht missverständlich ist. Wenn ja, lege ich gerne nach.
Auch die Wahl Ihres Beispiels ist Teil einer jahrzehntelangen Konditionierung: früher (und jetzt sicher noch in dem einen oder anderen Personenkreis) hätte so gut wie jeder zu einem militärischen Beispiel gegriffen: wie viele lassen sich von einem Panzer überrollen, bis einer aufspringt und das erlernte der "Panzerbekämpfung" zur Anwendung bringt?
Heute stellen wir uns vor: der Fahrradkurier kollidiert auf der Kö mit einem Zwillingskinderwagen - RTL filmt, ob und wann jemand erste Hilfe leistet.
Es gibt eine innere Logik (des Herzens), die man nicht rational begründen muss, um zu wissen, was richtig und was falsch ist.
... OK, also protestantische Ethik im Rheinland. Eine Hörempfehlung.
Das geht auch an dich, JR.
Es sollte der Anspruch an uns (als Menschen) sein, im jeweiligen eigenen Verantwortungsbereich die Konsequenzen zu ziehen, wenn uns zwar die Legalität zu etwas berechtigt, aber es legitim ist, ggf. ein Gesetz zu brechen!
Das stimmt. Als Anspruch ist das richtig, aber die Konsequenzen, die einer daraus zieht, können sehr unterschiedlich und sehr umstritten sein.
Was Snowden aus meiner Sicht in der deutschen Öffentlichkeit nicht bekommt, ist eine kritische und faire Gesamtwürdigung, so weit sie möglich wäre.
Ich hatte ja in einem vorigen Thread schon einmal darauf hingewiesen, dass vor knapp zehn Jahren das irakische Regime für Snowden ebenfalls illegitim und der (vermutliche) Bruch des Völkerrechts ihm (anscheinend) egal oder von untergeordneter Bedeutung war.
Aus unterschiedlichen Gründen sind weder die "Welt" / bestimmte Deutschlandfunk-Kommentaristen noch "linke" Medien darauf aus, den Antrieb Snowdens herauszuarbeiten, oder es doch wenigstens zu versuchen. Der "Guardian" immerhin hat das getan - Snowden gab ja auch Auskunft dazu.
Ich finde, zur Integrität des Informationsempfängers gehört es, Snowden ernst zu nehmen - und nicht nur das Heiligenabziehbild, das vielfach gern aus ihm gemacht wird. Snowden also auch da ernst zu nehmen, wo er unsere Begriffe von Freiheit in Frage stellt.
Das finde ich übrigens an seiner Argumentation auffallend integer: er will allem Anschein nach keine Fans. Er will es im Zweifel niemandem recht machen, außer sich selbst. Wer Snowden verstehen will - immer noch in dem Sinne, was wenige antreibt und viele lähmt -, muss jede Information aufnehmen, die Snowden bereitstellt.
Entweder in meinem alten Deutschbuch selbst oder in einer Enzyklopädie fand ich als Schüler den Hinweis, dass C. F. Meyer in geistiger Umnachtung gestorben sei, Taide. Danach war ich einigermaßen beruhigt.
Aber mit deinem Kinderwagen-Beispiel sagst du etwas ganz Großes und Bedeutendes: Gewalt wird bei uns derart tabuisiert, dass an Snowden - sofern er positiv dargestellt werden soll - bestimmte Aspekte schlichtweg ignoriert werden. Er wartet eben nicht auf "den größten König".
Und wo wir schon bei der militärischen Gewalt sind, addiere ich noch unser Pionier Klinke zur Diskussion.
Snowden ist alles andere als ein "Held" der Staatsmacht. Aber an den Mechanismen der "Heldenbildung" - nicht notwendigerweise der Legendenbildung - scheint sich nur wenig geändert zu haben. Fontane hieße in diesem Falle Greenwald, wobei der wesentlich akkurater arbeiten dürfte als seinerzeit Fontane.
Allerdings lässt Snowden der Berichterstattung in dieser Hinsicht auch kaum eine Wahl - er kann ja noch mitreden. Oder etwa nicht?
Wollen wir uns nicht in Konditionierungsfragen verlieren. Ich hätte nie ein Kriegsbeispiel genannt, da sich dort alles im Umfeld von Gewalt abspielt und die "Normalität" aufgehoben ist.
Mich interessieren Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Alltag und dem Berufsleben. Ich hätte dutzende andere Beispiele nennen können, auch und vor allem aus dem Bankbereich. Aber die Schnittmenge der "vorgestellten" Gemeinsamkeiten wäre dann sehr klein gewesen.
Mir ist es völlig egal, aus welcher Motivation Sie heraus ihre Handlungen leiten lassen. Aber mit Beobachtern oder Kritikastern kann ich nichts anfangen, die die Zusammenhänge durchschauen und darauf warten, das Andere die Misstände erledigen.
Ich vermute mal, Sie gehören nicht dazu.
Es gibt bei jedem von uns Entwicklungen, die manche Entscheidungen rückblickend anders werten würden. Das ist normal. Aber normalerweise wünscht man sich eine Konstante, die sich wie ein roter Faden da durchzieht. Deshalb kann ich mich nur wundern, wie es vor allem auffallend bei SPD-Politikern zu beobachten war, wie Grundüberzeugungen abgelegt und das Gegenteil auf einmal richtig war. Aber vielleicht habe ich da vorher nicht genau genug hingeschaut.
Bei Snowden war sicher zu einem bestimmten Zeitpunkt das Maß voll. Dieses Maß haben wir alle auf verschiedenem Niveau.
Ein wichtiger Punkt dabei: nehme ich Snowdens Aussage at face value, wertet er heute nicht seine Entscheidung zur Kriegsteilnahme anders, sondern die Motivation vieler, wenn nicht aller seiner Armeekameraden. Die Kriegsentscheidung an sich stellt er nicht in Frage.Offenbar war es sowohl Greenwald und seinen Kollegen als auch Snowden wichtig genug, das zu sagen und zu publizieren. Ich würde das nicht leicht nehmen.Das stellt m. E. weder Snowdens Integrität sonderlich in Frage, noch meine (oder Ihre, setze ich voraus) Kritik am staatlichen und unternehmerischen Machtmissbrauch, den der Irak-Krieg darstellte. Aber darauf gründet meine Skepsis an der Integrität, die Sie bei Leuten in bestimmten Jobs voraussetzen. Snowden hat eine Entwicklung, eine Geschichte, die zu beachten sich lohnt. Seine Haltung zum Irak-Krieg muss kein konstitutiver Teil dieser Entwicklung sein - sie kann es aber sein. Und ganz offensichtlich besteht zwischen beidem kein Widerspruch, bei dem die eine Position die andere ausschließen würde.Das ist doch Denkfutter, oder?
Ja sicher.
Es gibt herausragende Beispiele, nehmen wir Oppenheimer oder vielleicht auch Klaus Fuchs. Die Tragweite ihrer "Beteiligung" ist ihnen erst im Verlauf klar geworden und hat zum Wandel, bzw. zum handeln geführt. Die Amerikaner hatten keine Skrupel, zweimal die Bombe als Massenvernichtungswaffe einzusetzten.
Wer konnte daraufhin vertrauen, dass sie es "ungestraft" nicht wieder tun würden. In Korea hätte sich McArther fasst durchgesetzt.
Es sind offensichtlich die Außenseiter (oft Landesverräter genannt), die Veränderungen initiieren. Snowden kann aus Überzeugung für den Irakkrieg gewesen sein (hat er die Lügen geglaubt?). Aber er handelt nach seinen Überzeugungen, für die er bereit ist, große Risiken einzugehen. Dafür hat er meinen Respekt.
Ist es für Sie undenkbar, dass Snowden den Irakkrieg heute noch für genauso gerechtfertigt hält wie damals, Pleifel? Öffentlich kritisiert hat er jedenfalls lt. "Guardian" nicht den Krieg, sondern die Einstellung (vieler) seiner damaligen Kameraden.
Undenkbar nicht JR, aber ich würde mich da gerne mit ihm unterhalten, wie man es zumindest heute noch so sehen kann.
Aus der Zeit: "Der Moment der Bürger".
Hat die "Zeit" ihre Zielgruppe geändert, ohne dass ich etwas davon mitbekommen habe?
War die "Zeit" nicht das Blatt, das deinen Leserartikel über den Umgang mit Mitarbeitern bei der DW nicht haben wollte, JR?
Da Joffe bekanntlich ein Atlantiker ist und Schmidt immer noch eine dicke Freundschaft mit Kissinger pflegt, bin ich auch überrascht und erfreut, dass die Zeit sich hier "Amerika kritisch zeigt". Es gibt noch mehr Artikel in der Hinsicht.
Es gab in der jungen Welt einen Bericht über eine Studie über die großen Deutschen Zeitungen, wie sie zur Wirtschaftskrise schreiben und über politische Sichtweisen. Dabei hatte die Zeit am besten abgeschnitten. Daraufhin habe ich mir ein Probeabo genommen (ich war mal ein alter Zeitleser) und bin positiv überrascht worden.
Was mir gefällt, ist auch der Vorteil einer Wochenbetrachtung, die sich wohltuend von der täglichen Infoflut absetzt.
Jedenfalls stelle ich fest, dass ich wesentlich länger brauche die Zeit zu lesen, weil es eben ´ne Menge guter Texte gibt. Ich beziehe mich mal im Vergleich auf die Süddeutsche, FAZ, TAZ und die Zeitungen aus der Dumont-Gruppe. Solange es so bleibt, werde ich die Zeit lesen.
Das soll die "Zeit" erstmal fünf Jahre durchhalten, mit oder ohne Joffe und di Lorenzo. Übrigens kam von Schmidt schon 2001 die Ansage, dass Europa den amerikanischen Hegemonismus zwar aushalten, aber nicht mitmachen müsse, so ungefähr. Und Kissingers kommende Weltmacht heißt China.
Die sanfte USA-Kritik der "Zeit" ist lediglich ein wohlfeiler Versuch, verlorengegangene Linksliberale wie mich zurückzuholen. Das Problem ist nur, das Blatt hat sich in den letzten zehn Jahren so sehr in den Wind des Neoliberalismus hineingehängt, dass es mir nicht mehr ins Haus kommt, übrigens auch nicht als Online-Ausgabe. Als ich als "Entscheider von Morgen" zu irgendeiner kostenpflichtigen Veranstaltung eingeladen wurde, war für mich Schluss mit der Lorenzo-Schmidt-Combo.
Aber vielleicht hat der Planet Speersort ja Glück und es gibt noch mehr dankbare zukünftige Leser.
"Dabei hatte die Zeit am besten abgeschnitten."
Hätte der Economist bei denen auch, wenn sie ihn besprochen hätten. Nichts gegen die "Junge Welt", aber die jungen Leute haben eben kein langes Gedächtnis. Und klar doch: das profitable Arrangement muss bleiben, also muss es sich etwas netter gewanden. Dass die Brüder in Hamburg ein bisschen schlauer sind als die FAZ oder die "Welt", ist doch klar, oder?
pleifel 29.06.2013 | 13:32@JR's China Blog
Undenkbar nicht JR, aber ich würde mich da gerne mit ihm unterhalten, wie man es zumindest heute noch so sehen kann.
________
Umpf. Ihren Kommentar einzuklappen hatte ich nicht vor. Kann man ihn auch wieder ausklappen? --- JR
Hat sich erledigt - Minuten später erschien ein "Aufklapp"-Button.
Angenommen, er würde sagen, es sei ein im nationalen Interesse "stupid war", aber gleichwohl ein legitimer Krieg zur Durchsetzung lange zuvor verabschiedeter UN-Resolutionen gewesen: würde das seine Verdienste in der NSA-/Tempora-Affäre schmälern, oder ihn weniger integer erscheinen lassen als mit einer Position, die den Irakkrieg verurteilt?
Dann würde ich ihn Fragen, warum er nicht den gleichen Maßstab bei den Israelresolutionen anlegt, die auch nicht beachtet werden, aber keine Konsequenzen haben.
Ein heißes Thema, ist mir klar. Er müsste mir schon mit besseren Argumenten kommen.
Mir geht es um die Annahme (das Szenario), dass Snowdens Argumente für den Irak-Krieg - wenn sie denn fortbestehen (um keine Legenden zu bilden) - womöglich nicht klug oder integer sind. Was bedeutet das für seine persönliche Integrität insgesamt? Mindert sie diese? Oder kommt es darauf an, dass einer der Logik des Herzens folgt, die er selber hat?
Was soll ich darauf antworten?
Nehmen wir die FAZ. Im Feuilleton findet man die Artikel, die man im Politik- Wirtschaftsteil sehen müsste, bzw. als Schlagzeile. Jemand schrieb, warum er die FAZ liest, etwa so: "Mich erfüllt es mit Befriedigung, wenn ich die Todesanzeigen lese und sehe, dass auch der Feind Verluste erleidet".
Es reicht ja nicht aus, sich nur in dem Metier zu bewegen, wo man sich bereits selbst befindet. Gedanken schärfen erfordert Widerspruch und Gegensatz. Man muss zumindest wissen, was sich auf der anderen Seite tut.
Also, gibt es bei Ihnen noch eine Printlektüre, die dann für Sie übrig bleibt?
Kleine Aufzählung: Hintergrund, junge Welt, Le Monde diplomatique, Ossietzky, Prokla, Wildcat, ISW-München, Lunapark21.
Irrtumslosigkeit gibt es nicht! Aber die Integrität muss sich schon nach gewissen Prinzipien überprüfen lassen.
Die Diskussion entwickelt sich jetzt aber vielschichtig, da ich auf verschiedenen Ebenen argumentiern müsste. Er kann eine für sich völlig plausible Überzeugung haben, aber in vielerlei Hinsicht falsch liegen. Bei uns kann es ebenso sein.
Wir müssen uns aber auf Basiswerte verständigen können, die unumstößlich sind, wie die menschliche Würde, die mit Inhalt ausgefüllt werden muss.
Darüber hinaus gilt es abgeleitete Handlungsoptionen zu entwickeln, die nicht gegen diese Prinzipien verstoßen. Aber gegen viele Rechte wird heute ständig verstoßen, obwohl es Grundkonventionen der UNO dazu gibt. Wir wissen es.
Es darf aber keine unterschiedlichen Maßstäbe geben, wie sie immer noch durch die Dominanz der großen Staaten ausgeübt wird.
Ich kann ihre Frage also zu Snowden nicht konkret beantworten, weil ich zu wenig von Snowden weiß. Klärung wäre nur in einem Gespräch möglich.
War sie. Ich gehe allerdings davon aus, dass es anderswo auch nicht besser gelaufen wäre. Die Story stand lange vorher über den EPD zur Verfügung - epd medien. Auch daraus wollte sich, soweit ich sehe, kein Medium bedienen - mit Ausnahme von Radio Berlin-Brandenburg.
Ich kann ihre Frage also zu Snowden nicht konkret beantworten,
Kann ich nachvollziehen. Bedauerlich finde ich nur, dass das in der allgemeinen Debatte so untergegangen ist, und sich da für uns bisher kein klareres Bild ergeben kann.
Auch in den amerikanischen Medien habe ich nichts gesehen, wo Snowdens Äußerungen zum Irak-Krieg ausdrücklich notiert worden wären - vielleicht, weil man sie dort als recht normal empfand.
Aber unterschwellig gehe ich davon aus, dass sie ihre Wirkung hatten: es fiel Teilen der politischen Rechten in Amerika nicht schwer, Snowden zu ihrem "Helden" zu machen, obwohl sie gegen das "big government" der Bush-Regierung auf diesem Feld überwiegend keine Einwände zu haben schienen. Mit diesem Lagerdenken erklärt sich wohl auch, dass viele nominell "Liberale" Snowden vom ersten Tag an fallenließen wie eine heiße Kartoffel.
Ich hätte kein Problem damit, wenn Snowdens Aversion gegen das irakische Ba'ath-Regime auf das gleiche Motiv zurückzuführen wäre wie seine Leaks von heute. Ein Mann hat seine Geschichte. Es ist in jedem Fall seine, nicht meine. Aber wenn ich wissen will, was einen Snowden motiviert, muss ich mich für das, mit dem ich nicht übereinstimme, ebenso interessieren wie für das, was er aus meiner Sicht zu Recht tut.
Sonst finde ich nicht heraus, wie seine Art Widerstand entsteht.
"Aber wenn ich wissen will, was einen Snowden motiviert, muss ich mich für das, mit dem ich nicht übereinstimme, ebenso interessieren wie für das, was er aus meiner Sicht zu Recht tut.Sonst finde ich nicht heraus, wie seine Art Widerstand entsteht."
Ok, aber er macht es sicher nicht, um sich zu bereichern, um für China oder Russland zu arbeiten, um sich als "Narziss" zu zeigen. Er zeigt auf, was wir vermutet haben, aber in dem Ausmaß nicht wussten. Eine unverblümte, dreiste Überwachung, wahrscheinlich weit jenseits der Gesetzeslage. Hier hat sich etwas verselbständigt, was dringend wieder unter Kontrolle gebracht werden muss.
Wie sich das mit Snowdens Haltung zum Irakkrieg verträgt, ist mir erstmal ziemlich egal. Er könnte auch überzeugter Zeuge Jehovas sein, soll er. Aber was er gemacht hat, überzeugt mich!
Mit Verlaub, meine Herren:
es ist Samstagabend, und somit an der Zeit, sich einfachen Vergnügungen wie Havanas, Single Malts und/oder schönen Frauen zu widmen.
Sent by autoresponder, Blackberry, äh, teletyper... morgen mehr.
Dem schließe ich mich an. Im WDR läuft die Knebel-Nacht-25 Jahre-Jubiläum.
Ein Mann hat seine Geschichte. Es ist in jedem Fall seine, nicht meine. Aber wenn ich wissen will, was einen Snowden motiviert, muss ich mich für das, mit dem ich nicht übereinstimme, ebenso interessieren wie für das, was er aus meiner Sicht zu Recht tut.
Es ist doch völlig egal, WARUM etwas aufgedeckt wird, interessant ist doch nur, WAS aufgedeckt wird.
Die Frage nach dem WARUM ist ein klassisches Ablenkungsmanöver, um von den Täter - den Verursachern des WAS - abzulenken.
Wenn wir herausfinden wollen was wenige antreibt und viele lähmt, kann mir die Koexistenz zweier Positionen wie die zur NSA und zum Irak-Krieg keineswegs egal sein, Pleifel. Mir zumindest fällt es auf, dass gerade diejenigen in Amerika ihn als "Narzissten" bezeichnen, die sich für "liberal" halten. Es kommt offenbar nur darauf an, ob einer Bush oder Obama querkommt. Diesen "Weltbild"-Aspekt will ich nicht vernachlässigen. Ich glaube, damit komme ich nirgendwohin.
Mit Verlaub, Taide - ich war längst weg ...
Ist es denn so wichtig zu wissen, was die tiefsten Gründe sind? Reicht es denn nicht aus, nach der Handlung zu urteilen? Was jemand sagt und was er dabei denkt, bleibt mir doch eh verschlossen.
Und eigentlich sollten wir ausblenden können, was man uns aus durchsichtigen Gründen anhängen will. Ich muss meine Handlungen vor mir selbst verantworten können. Was früher legal war ist heute ein Verbrechen. Was heute legal ist, ist morgen ein Verbrechen.
Gibt es etwas, was jenseits der kulturellen Entwicklung liegt und uns mehr Sicherheit gibt? Da sehe ich nur die "Vernunft des Herzens", die unabhängig von weltlicher Logik Handlungen ausführt. Das macht für mich den Menschen aus, wenn er es zulässt.
Bitte um Nachsicht, hätte aber gerne einen Hinweis über Printmedien, die nach ihren Kriterien lesenswert sind. Lassen wir den Freitag dabei mal außen vor.
Ist es denn so wichtig zu wissen, was die tiefsten Gründe sind?
Die tiefsten Gründe wären Definitionssache - spricht man dabei von einer bestimmten Person, überschreitet man dabei auch leicht Grenzen hin zu Gebieten, die nur die Person selbst etwas angehen.
Nun gibt Snowden aber ja durchaus Auskunft über sich - z. B., er sei neither traitor nor hero. I'm an American. Auch wenn man einmal davon absieht, dass er nicht in einer Lage ist, in der er entspannt und frei nach Schnauze über sich Auskunft geben kann, sind das immerhin Aussagen.
Und wenn wir uns fragen, was viele lähmt und wenige motiviert, und wenn wir uns fragen, ob sich von Snowden lernen lässt, spielt das durchaus eine Rolle. Vielleicht besteht die Logik seines Herzens ja darin, Amerikaner zu sein.
Was sind wir, bevor wir bereit sind, einen hohen Preis zu zahlen? (Er muss ja nicht gleich so hoch sein wie der, den Snowden zahlt.)
Euch allen, liebe Brüder und Schwestern, und ganz besonders den Brüdern und Schwestern in der SBZ, wünsche ich einen schönen Sonntag.
Wenn ich mich richtig entsinne, sprachen wir über Printmedien im Abo, die Ihr oder mein GELD wert sind, Pleifel.
Neben diversen Verbandszeitschriften, die zumeist die Bäume nicht wert sind, die für sie sterben mussten, halte ich lediglich den Economist im Abo. Davon unbenommen schaue ich mir die FAZ oder die Zeit oder die Süddeutsche gelegentlich mal auf der Arbeit oder im Café an.
Aber billigend ein Abo für die Zeit abzuschließen, weil sie doch weniger schlimm oder besser sei als andere, halte ich für keine brauchbare Maßnahme zur Pflege der medialen Landschaft.
Ich gebe zu, dass die Zeit sich für MICH mehr und mehr zu einem roten Tuch entwickelt: es ist ein Blatt, das mit einem Lächeln und freundlichen Worten ausgesprochen radikale (neoliberale und neo-feudale) Positionen einnimmt, und wenn die Redaktion dann merkt, in welche Richtung der Wind in ihrer aussterbenden ursprünglichen Zielgruppe bläst, gerne mal ein Minderheitenvotum in ihrer Redaktion zulässt. Joffe und Schmidt müssen dann eben ausnahmsweise mal schweigen oder sich über andere Themen auslassen. (Ich wüsste zu gerne, was Schmidt intern über Snowden sagt - ach nein, ich glaube, das will ich gar nicht wissen. Man muss nicht aus jeder Pfütze trinken.)
http://www.berliner-zeitung.de/image/view/2011/11/6/11271406,8522169,highRes,maxh,480,maxw,480,30-07%252371-27649848.JPG_Tue+Dec+06+17%253A03%253A34+CET+2011.jpg
Bitte Bild klicken.
Danke für die Antwort TAI DE.
Über das Guttenberg-Interview habe ich mich sehr geärgert und nicht vergessen, welche Rolle Di Lorenzo dabei gespielt hat.
Welche Information (Daten) sind so aufbereitet, dass sie nicht schon von der Wahrnehmung an, "subjektiv verseucht sind"? Unsere Wahrnehmung wiederum bewertet wieder mit eigenen Filtern.
Ich rede hier nicht dem Relativismus das Wort, aber ich versuche mal über eine Textstelle aus dem Kursbuch 170, die Problematik anzudeuten (aus "Ein Anfang" von Armin Nassehi und Peter Felixberger):
"Das neue Kursbuch wird deshalb auf der Suche nach einem neuen Typus von Intellektuellen sein. Die neue Intellektualität des neuen Kursbuchs wird eine Intellektualität sein, die sich auf die Perspektivendifferenz der modernen Gesellschaft einlässt. Sie wird nicht versuchen, die Differenzen einer Gesellschaft der Gegenwart zu heilen; sie empfindet diese Differenzen weder als Chancen noch als defekt, sondern als schlichte Realität der Moderne - ob wir wollen oder nicht. Insofern ist Perspektivendifferenz auch kein Programm, keine Heilsidee, keine Zauberformel, sondern ein empirischer Fall, mit dem gerechnet werden muss.
Es geht uns um ein Denken, das nicht elitär immer schon weiß, was zu tun ist. Es geht um Formen des Denkens, die in der Lage sind, sich darauf einzulassen, die entscheidenden Fragen gerade aus der Perspektive anderer, konkurrierender L.ogiken zu verstehen. usw.."
In dem Text steckt für mich Brisanz, denn die jetzigen Perspektiven sind doch nichts anderes als die Folgen der Handlungen eben der Menschen, die konkrete Vorstellungen von der Gesellschaft hatten (idealisiert betrachtet).
Aber nehmen wir den Text mal so, wie er gemeint ist, bedeutet es doch, dass eine (versuchte) vorurteilslose ständige Analyse der Gesellschaft versucht wird, möglichst ohne Wertung, um dem Leser diese zu überlassen.
Oder wiederum irgendwie mit einer Art Redaktionsstatut eine Leitlinie aushandeln, die von den Redakteuren als "Grundwertekanon" beachtet wird. Hier wird dann z.B. linksliberal geschrieben (sozial verstanden und nicht die Marktliberalität der FDP).
Wenn ich aber den Eindruck habe, dass eine Zeitung teilweise "Pseudopositionen" verkauft um sich einen Alibi-Status zu verschaffen (Lesergruppe), dann hoffe ich doch, dass ich es rechtzeitig bemerke.
Keine Ursache.
Werden Interpretations-Fragen nicht IMMER aus der Perspektive des Fragenden gestellt? Ist es nicht Grundlage jeder Wissenschaftlichkeit, Fragen aus anderen Perspektiven zuzulassen? Mich persönlich langweilt eine werkimmanente Deutung von Kleists Verlobung in Santo Domingo. Historische Ansätze sehe ich hingegen mit Interesse, und vor mehr als zwei Jahrzehnten kam ich in den Genuss einer ausgezeichneten marxistischen Werkdeutung.
"Aber nehmen wir den Text mal so, wie er gemeint ist, bedeutet es doch, dass eine (versuchte) vorurteilslose ständige Analyse der Gesellschaft versucht wird, möglichst ohne Wertung, um dem Leser diese zu überlassen."
Der Anspruch an eine Analyse ist derjenige der Vorurteilslosigkeit - das kann besser oder schlechter gelingen. Insoweit es die Quelle, die zeitliche Einordnung usw. betrifft, SOLLTE der Anspruch der Vorurteilslosigkeit aber - aller unvermeidlichen Vorbelastung des Verfassers zum Trotz! - keine Überforderung darstellen (in den Massenmedien ist eine solche Analyse dessen ungeachtet leider nur in Ausnahmefällen gegeben).
Perspektiven werden in der Auseinandersetzung mit einer Materie durch die Leitfragen eingebracht, das heißt durch den Schritt der Interpretation, welche aber der Vorarbeit durch die Analyse bedarf. Die abschließende Stellungnahme ist geprägt von den eigenen Wertvorstellungen. Diese drei aufeinanderfolgenden Prozesse muss man auseinanderhalten.
"Oder wiederum irgendwie mit einer Art Redaktionsstatut eine Leitlinie aushandeln, die von den Redakteuren als "Grundwertekanon" beachtet wird. Hier wird dann z.B. linksliberal geschrieben (sozial verstanden und nicht die Marktliberalität der FDP)."
Schön wärs. Warum sollten Holtzbrinck, Bertelsmann, Bauer usw. sich darauf einlassen? Ich verweise auf JRs Berichterstattung (mein Wissensstand) zum Thema Tendenzbetriebe. Wenn der Herausgeber und der Chefredakteur in die gleiche Kerbe hauen, dann muss der Redakteur dem folgen. Mehr ist dazu meines Erachtens nicht zu sagen.
Damit, so denke ich, sind wir wieder bei der Frage dieses Beitrags.
Nur wenige - vielleicht gehört Snowden dazu - ticken offenbar anders. Für ihre Gewissensentscheidung gibt es kein Kursbuch.
Ich lasse in meinen Überlegungen die Machtfrage in den Medien einmal kurz beiseite, Taide. Ich gehe davon aus, dass es neben dem zunächst einmal darum ging, Snowdens Insider-Info zu Beginn möglichst viel mediale Durchschlagskraft zu geben. Das ist ihm, Greenwald und dem "Guardian" insgesamt sehr gut gelungen.
Dem allerdings hätten wirklich Analysen folgen müssen - und ich habe den Verdacht, dass die deutsche Presse diesem Gedanken in den 1970ern stärker verpflichtet gewesen wäre als heute - das mag sowohl mit anderen professionellen Begriffen als auch mit dem Publikumsgeschmack als auch mit den objektiv vorhanden Fähigkeiten der Redakteure zu tun haben.
Nehmen wir Peter Scholl-Latour - allerdings ein Ausnahme-Berichterstatter, sowohl aufgrund seiner Herkunft als auch aufgrund seines Werdegangs: es konnten nach meiner Erinnerung Wochen und Monate vergehen, bevor man einen Eindruck davon erhielt, welche Position er eigentlich selbst zu einem Sachverhalt einnahm.
Äußerte er dann tatsächlich eine Meinung - und die Figur Scholl-Latour und die anderer Nachrichtenleute mögen in meiner fernen Erinnerung ineinander übergehen -, reagierten z. B. Angehörige meiner Großelterngeneration überrascht: so sieht der das?
Diese Überraschungsmomente scheinen heute zu fehlen, weil von vornherein das Meiste Meinung ist. Das führt neben vielen anderen Mängeln auch zur Langeweile.
Es wurde berichtet, und den Zuschauern wurde es überlassen, das Material zu deuten - in den Jahren des "Kalten Krieges".
Das ergäbe auch heute noch eine respektable "Tagesschau". Die Einordnung nach "Gut" und "Böse" überließen die Hamburger seinerzeit der "Stimme der DDR".
Kurz Leseempfehlung:
Nicht nur Snowden hat ein Problem, sondern mittlerweile auch Glenn Greenwald. Anmerkungen von Ed2Murrow.
Im Grunde liefen Kampagnen gegen Greenwald vom ersten Tag an - dieser Blog (der Verfasser hegt offenbar selbst eine tiefe Abneigung gegen Greenwald) stellt eine recht interessante Sammlung "liberaler" Links dar, die sich vielfach recht ominös im Ton vergreifen. Mittlerweile ist allerdings von einer Debatte über Greenwalds journalistische Integrität eine über seine ganze persönliche Integrität geworden - nachdem die journalistischen Vorwürfe wohl nicht hinreichend an ihm hängenblieben.
Zwischen Teilen der US-Liberalen und der US-Rechten findet die Debatte vor allem in dem Sinne statt, dass die einen ("Liberalen") ihren Präsidenten unter Druck sehen, und die andern (Rechten) den Präsidenten der anderen unter Druck sehen (also so oder so Obama). Das definiert die Debatte wohl stärker als die eigentliche Sachlage.
JR, was in diesen Diskussionen, von "Wo bleibt die Entrüstung" bis zu deinem Beitrag weitgehend unberücksichtigt bleibt, ist die Verantwortung, welche die Bundesregierung und die ihr in dieser Sache unterstellten Behörden für die informationelle Selbstbestimmung hiesiger Staatsbürger und sonstiger Einwohner haben. Die Aussagen der Bundesregierung (eine Erklärung wird verlangt), die Aussage Oppermanns (SPD), so etwas täten Freunde untereinander nicht oder auch die Washingtons (man werde Erklärungen auf diplomatischen Kanälen liefern) deuten schon an, wie weit man bereit ist zu gehen: keinen Schritt.
Entrüstung über Amerika ist gar nicht zielführend. Amerika ist, was es ist. Es läge an der EU, and Deutschland, an Frankreich und sogar am Vatikanstaat, dem amerikanischen Bündnispartner da Einhalt zu gebieten, wo es zunächst technisch und verwaltungstechnisch möglich ist, und dann auch da, wo Vertragsverlängerungen bzw. -kündigungen anstehen.
Bevor der Anti-Amerikanismus mal wieder eine Party feiert, kümmere man sich um die Regierungen, die unmittelbar ihren Bürgern verantwortlich sind. Es soll ja auch Amerikaner geben, die sich um IHRE kümmern. Zumindest habe ich von Weitem so etwas gehört.
Entrüstung ist eine natürliche erste Reaktion - bzw. sie wäre eine. Wir sollten nicht den Fehler machen, die Empörung auf den FC-Seiten mit der öffentlichen Meinung in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern zu verwechseln, Taide. Schon die erste Stufe einer denkbaren Eskalation - eben die Entrüstung - fehlt hier. Insofern sage ich nichts gegen Entrüstung.
Das Problem damit sehe ich aber auch in anderen Punkten. Neben der Tatsache, dass die "Sicherheits"-Bürokratie ein Monstrum ist, zu dessen Überwindung zumindest eine starke, entschlossene Minderheit erforderlich ist, die eine Bewegung in Gang setzt, steht Obama tatsächlich vor dem Problem, dass bei einem Abbau der Überwachung auf ein rechtsstaatlich nachvollziehbares Maß jeder weitere erfolgreiche Terroranschlag von den Medien und seinen Gegnern auf seine Kappe gelenkt würde.
Und das Problem haben auch hiesige Regierungen und Gesetzgeber. Ein "Rucksackbomber", fünfzehn Tote und dreißig Schwerverletzte als Folge davon, und die Empörung über NSA wäre vergessen. Wer weniger "Sicherheit" will, muss sich klarmachen, dass er dann nicht für jeden erfolgreichen Terroranschlag die Behörden verantwortlich machen darf - er dürfte lediglich eine Untersuchung verlangen, aber nicht den Verdacht aussprechen, es sei nicht "alles getan" worden, um Tote und Verletzte zu vermeiden.
Denn natürlich kann man nicht "alles" tun, wenn man rechtsstaatlich handeln will. Wer den Rechtsstaat will, braucht ein etwas längeres Gedächtnis, als wir es zur Zeit haben.
Zwei Leseempfehlungen, bevor ich mich einstweilen ausklinke:
"Sansibar oder der letzte Grund" von Alfred Andersch, und Ed2Murrows Beitrag und Links zu Greenwalds Vortrag in Chicago (zugeschaltet), vorigen Freitag.
In "Sansibar" ist jede Entscheidung einsam und gleichsam "privat", obwohl sie öffentliche Angelegenheiten betrifft.
Das kommt Snowdens Entscheidung, glaube ich, ziemlich nahe.
Und zweitens: soviel Mut wie Snowden, Helander (Sansibar) oder Knudsen (ebda) braucht hierzulande gar keiner. Es würde genügen, wenn sich die Deutschen einen Spaß daraus machten, einander auf Basis ihrer Fon-Flatrate möglichst lange Sätze mit möglichst vielen verfänglichen Begriffen zuzumurmeln.
Aber dann fiele ja womöglich die nächste USA-Reise - dienstlich (und damit wäre ich wieder bei meinem Beitrag und der Angst als Grundstimmung) oder privat - ins Wasser.
In den 1980ern machten sich die Deutschen einen solchen Kopf noch nicht - man kann füglich sagen: es war eine andere Zeit.
Hier noch etwas für JR (Zufall):
Widerspruch 56
Vielen Dank für den Link - demnächst mehr auf dieser Welle.
Hier habe ich die Untersuchung der Zeitungen gefunden:
"Portionierte Armut" als Auszug.
Es gibt die ganze Studie und Analysen zu den einzelnen Zeitungen auf der Stiftungsseite.