Siebzig Jahre nach Weltkriegsende

Beijing siegt Taiwans Präsident bevorzugt die stille Diplomatie. Aber die Deutungshoheit über den 70. Jahrestag des Sieges über Japan will er nicht der KP Chinas alleine überlassen.

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China habe hart für den Sieg über Japan gekämpft, so Chinas Botschafter in Deutschland, Shi Mingde, in einem heute veröffentlichten Gespräch mit "Junge Welt". Zur japanischen Aufrüstung sagte er, es werde "von den asiatischen Nachbarländern und der internationalen Gemeinschaft immer höchst aufmerksam verfolgt, wenn sich in Japan in militärischer Hinsicht etwas bewegt." Dies rufe Besorgnis in den Nachbarländern hervor.

Aber die aalglatte Übernahme des chinesischen Siegs über das japanische Imperium durch die KP Chinas stößt auch auf Widerspruch. Der taiwanische Präsident Ma Ying-jeou wies auf die Erinnerung seiner KMT-Partei hin, die bis 1949 weite Teile Chinas als international anerkannte Regierungspartei beherrscht hatte:

Festlandchinesische Berichte, so Ma Ying-jeou in einer Rede Anfang Juli, betonten - und das nicht zum erstenmal - eine Führung der KP Chinas im chinesischen Widerstandskampf gegen die japanische Besatzung bis 1945.

Wir können das nicht akzeptieren, im Licht der Opfer, die so viele Offiziere und Soldaten brachten. Man darf das nicht so weit treiben, dass dies zu einer unrichtigen Darstellung der [damaligen] Situation führt.

Es war eine ungewöhnlich scharfe und direkte Kritik des taiwanischen Präsidenten an die chinesische Führung, der gegenüber er seit 2008 mehr als jeder seiner Amtsvorgänger auf Taiwan eine Politik der Entspannung verfolgt hatte (und vermutlich bis zum Ende seiner Amtszeit 2016 weiter verfolgen wird).

Ende August sprach sich die taiwanische Regierung gegen jegliche Teilnahme an von Festlandchina organisierten Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges aus. Auslöser der Stellungnahme war ein Beschluss des früheren taiwanischen Vizepräsidenten Lien Chans, zur Militärparade nach Beijing zu reisen. Noch deutlicher als die Administration wurde erneut der chinapolitisch sonst so geräuschlose Präsident Ma: die Reise Liens nach Beijing sei unangebracht.

Das aber fand sein Amtskollege in Beijing, Xi Jinping, überhaupt nicht. Der chinesische Staats- und Parteichef empfing am Dienstag den früheren Vizepräsident der Republik China - so die amtliche staatliche Bezeichnung Taiwans. Immerhin: Xi erinnerte bei der Gelegenheit an die zweite Einheitsfront zwischen KMT und KP Chinas. China und Taiwan bildeten eine Schicksalsgemeinschaft, so Xi laut der europäischen Ausgabe der "Sing Tao Daily" (Hong Kong) vom Mittwoch.

Botschafter Shi Mingdes Äußerungen im Interview mit der "Jungen Welt", der zufolge Japans Aufrüstung seine Nachbarländer beunruhige, dürfte in erster Linie auf Südkorea zutreffen: die Kritik an Japans Umgang mit seiner Geschichte fällt in Südkorea oft relativ ähnlich aus wie in China. Anders in Vietnam oder den Philippinen, die in einen langjährigen Streit mit China um das Südchinesische Meer verwickelt sind. Vietnam allerdings entsandte - wie auch Südkorea - sein Staatsoberhaupt; Indonesien, Malaysia, the Philippinen und Singapur beließen es bei weniger hochrangigen Vertretern. Dafür wurden die Vereinten Nationen von ihrem Generalsekretär Ban Ki-moon vertreten. Japans Regierung äußerte dazu ihr "Missfallen".

So wie Taiwan von einem Vizepräsidenten im Ruhestand, wurden die Philippinen von einem früheren Präsidenten vertreten: Joseph Estrada, Präsident von 1998 bis 2001 und seit 2012 Bürgermeister der Hauptstadt Manila, wird sich voraussichtlich bis Sonntag in China aufhalten. Die chinesischen und philippinischen Hauptstädte sind Partnerstädte.

Tokio hätte sich seine Kommentare zu Ban Ki-moons Besuch in Beijing besser gespart - und sei es auch nur einer besseren Außenwirkung wegen, wenn schon nicht anstandshalber. Dass Japan heute von vielen Nachbarn weit weniger gefürchtet wird als China, bedeutet nicht, dass man sich in Ostasien an den japanischen Krieg nicht mehr erinnern würde.

Geschichtsoptimierung allerdings ist keine ausschließlich japanische Spezialität. Die chinesische Geschichtsschreibung ihrerseits versteht sich nur zu gut darauf, die Verdienste der von ihr 1949 vom Festland nach Taiwan vertriebenen Kuomintang kommentarlos zu erben. Auch wer vor über siebzig Jahren unter Führung "Nationalchinas", also der heute nur noch auf Taiwan existierende Republik China kämpfte, dankt heute der KP Chinas für ihre Fürsorge.

Der Sieger ist immer der Sieger.

» Diskussionshinweis, 14.08.15

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