Syrien und der Rest der Welt (4)

Rauchende Colts. Die beste Pressestory ist die, welche uns die Welt so erklärt, dass sie in unsere Vorurteile passt. Investigativer Journalismus tut manchmal auch das Gegenteil.

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Von JR

LCP Television ist ein französischer Fernsehsender, der vor allem Parlamentsdebatten überträgt - in Deutschland gibt es dazu kein direktes Gegenstück.
Da aber auch in Frankreich nicht 24 Stunden lang Plenarsitzungen stattfinden, überträgt das LCP-Programm außerdem Hintergrunddiskussionen im Talkshow-Format.

Am 10. Juni wurde zum Beispiel Syrien diskutiert, in einer Diskussionsreihe namens "Das geht Sie an". Ein Diskussionsteilnehmer war der frühere sozialistische Außenminister Roland Dumas (1985, 1988 - 1993), und mindestens einer seiner Diskussionsbeiträge hatte Nachrichtenwert.

Dumas: Es ist schwierig, die Fakten zusammenzubekommen, selbstverständlich, weil die ganze Welt dort [in Syrien] ist. Aber grundlegend ist dies: zwei Lager stehen einander gegenüber. Ich sag' Ihnen mal etwas. Ich war vor knapp zwei Jahren, vor dem Beginn der Feindseligkeiten, in Syrien, in England. Dass ich dort war, hatte überhaupt nichts mit Syrien zu tun. Ich traf einige britische Verantwortliche - einige Freunde darunter -, und die legten mir offen, dass sich in Syrien etwas anbahne. Großbritannien bereite eine Invasion von Rebellen nach Syrien vor. Man fragte mich sogar, unter dem Vorwand, dass ich früherer Außenminister war, ob ich mich in dieser Weise an dieser ... Natürlich sagte ich, im Gegenteil. Ich bin Franzose, das interessiert mich nicht. Was ich damit sagen will: diese Operation läuft seit langem. Sie wurde vorbereitet, entworfen...

Zwischenfrage: Entschuldigen Sie - zu welchem Zweck?

Dumas: zu welchem Zweck? Zu einem ganz einfachen Zweck. Um die syrische Regierung abzusetzen, denn in der Region ist es wichtig, dass das Regime anti-israelische Absichten hat, und weil folglich sich alles in der Region darum dreht. Ich habe das Vertrauen des israelischen Premierministers, den ich seit langem kenne, und der mir sagte: "Wir versuchen mit dem Premierminister [Fragezeichen - JR] unseren Nachbarn auszukommen. Aber diejenigen, mit denen es keine Verständigung gibt, ist fällig. Das ist ein Geschichtsverständnis – und warum auch nicht? – aber das muss man wissen.

Die Zweckbeschreibung nach der Zwischenfrage sieht nach einer Interpretation des früheren Außenministers aus – der Moderator fragte jedenfalls nicht nach, ob Dumas‘ britische Gesprächspartner ihm die Motivation ihrer Kriegsvorbereitungen so beschrieben hätten. Gegenargumente zu dieser Zweckbeschreibung könnten lauten, Assad sei zwar ein Feind Israels, aber just der Feind in Syrien, mit dem Israel noch am ehesten klarkam, verglichen mit denen, die jetzt nach der Regierungsmacht streben. Ich spekuliere außerdem, das Israel-Argument sei Dumas für sein Publikum oder angesichts der kurzen Redezeit gerade gut genug gewesen (es ist ja gängige Praxis, Probleme mit einer angeblichen israelischen Urheberschaft zu erklären). Eine generelle Schwäche vieler Erklärungen des Krieges scheint mir darin zu bestehen, dass sie immer nur „den einen Grund“ sehen wollen - sei es Israel, sei es eine Pipeline, die Katar über syrisches Territorium zur Türkei und nach Europaverlegen möchte, sei es der komplementäre europäische Wunsch nach Alternativen zur Energieversorgung aus Russland, sei es der Wunsch eines libanesischen Clans nach Blutrache. All das können Motive sein, müssen es aber nicht - und "das eine" Motiv gibt es so gut wie nie. Für jeden Beteiligten oder Akteur gibt es Zielhierarchien, die er selbst besser kennt als jeder Beobachter. Und die Zielhierarchien der Akteure sind selbstredend nicht identisch – es gibt nur Interessenüberschneidungen, und daraus ergibt sich eine neue, kollektive Zielhierarchie.

Dumas' erste Bemerkung, vor der Zwischenfrage, ist eine Behauptung. Hier kann man ihm entweder glauben, oder eben auch nicht. Trifft Dumas' Darstellung zu - und wer seine Gesprächspartner waren, sagte er begreiflicherweise nicht -, dann haben britische "Verantwortliche" in etwa wenige Wochen nach dem Beginn der innersyrischen Konflikte im März 2011 mit Überlegungen begonnen, wie man diese Konflikte beeinflussen oder steuern könne. Unplausibel ist das jedenfalls nicht. Die Frage, wie man mit einer sich anbahnenden Herausforderung - oder auch "Chance" - umgeht, beantwortet eine Regierung - oder sonstige Organisation - sich möglichst frühzeitig.

Die geschäftsbasierten Verbindungen zwischen den britischen Eliten, denen Amerikas, Saudi-Arabiens, Katars oder Kontinentaleuropas, sind sicherlich treibende Motive der Politik. Strategische staatliche Interessen sind weitere. Aber auch kulturelles Bewusstsein zählt. Es ist kaum Zufall, dass tiefreligiöse politische Führer Amerikas, Großbritanniens, der Türkei und der arabischen Welt für eine Verständigung untereinander kaum länger brauchen als die Dauer eines Gebetsfrühstücks. Steht ein Beteiligter dieser Kreise vor einem scheinbar unlösbarem Problem, findet sich in der internationalen politischen Klasse oder im internationalen Jetset so gut wie immer ein Mittelsmann, wie zum Beispiel Adnan Kashoggi in der Iran-Contra-Affäre der Reagan-Administration. Auch im Vorlauf zur Irak-Invasion 2003 soll Kashoggi eine Rolle gespielt haben, aber jene Story kann auch als Warnung davor gelten, Ereignisse zu schnell an einem einzelnen, mutmaßlichen Motiv festzumachen.

Seymour Hersh's Story zu Richard Perle's saudischen Kontakten kurz vor Ausbruch des Krieges stellt dar, wie jene Kontakte zu Schein-Sensationen aufgesext wurden, um die Verbindung zwischen Geld und amerikanischer Politik besonders eindrucksvoll anhand eines amerikanischen Geschäftsmanns-Politikers darzustellen. Dem Plot zufolge bot Washington einen Kriegsverzicht an, unter der Bedingung, dass Saddam ins Exil gehe. Perle hatte – angeblich – mit saudischen Geschäftsleuten Gespräche über beträchtliche saudische Aufträge für ein Unternehmen geführt, an dem er beteiligt war, und, beim selben Lunch in Marseille - über die mögliche Vermeidung eines Irakkriegs, ein Thema, das einem seiner Gesprächsteilnehmer sehr am Herzen gelegen haben soll. Der Bericht einer von Saudis betriebenen Zeitung in London, „Al Hayat“, und die anschließende Berichterstattung einer Beiruter Zeitung, „Al Safir“, schlug erhebliche Wellen.

Und es wäre ja auch eine saftige Story gewesen, wenn Perle sich für einen "Friedensdeal" aufgeschlossen gezeigt hätte, aber laut Hersh traf das überhaupt nicht zu, denn eins könne man Perle glauben: er wollte den Irakkrieg, ohne Wenn und Aber.

Wäre die Geschichte allerdings wahr gewesen, hätte sie Hersh, einer Supermacht unter den investigativen Journalisten Amerikas, sicherlich gut gefallen. Denn natürlich gibt es Verbindungen zwischen Geld und politischer Macht, und Amerikas Soziotop aus Regierungsstellen, halboffiziellen Beratungsgremien, „Denkfabriken“ und den Persönlichkeiten, die häufig sowohl Geschäftsleute als auch Politiker sind, schaffen inländische und internationale Beziehungsgeflechte, gegen die „unpolitische“ Unternehmen kaum anstinken können.

Fortsetzung » hier.

Links zum Thema:

» Syrien und der Rest der Welt (3), 01.09.13

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Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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