Syrien und der Rest der Welt (3)

Milch und Decken Ist vom libanesisch-syrischen Verhältnis die Rede, gilt der Libanon häufig als ein von Syrien halbkolonialisierter Staat. Aber Einfluss wird wechselseitig ausgeübt.

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Syrien und der Rest der Welt (3)

Foto: Anwar Amro/AFP/Getty Images

Von JR und Tai De

Am 14.2.2005 zerfetzte die Detonation einer Sprengfalle den Konvoi des libanesischen Politikers Hariri („Ein Schock für die ganze Welt“, so eine belgisch-deutsch-saudische Fernsehproduktion unter saudischer Federführung, 2010 von der ARD ausgestrahlt). Die amtlichen Zahlen nennen mit Hariri 23 Todesopfer und mehr als 100 Verletzte des Anschlags.

Unmittelbar danach wurden Stimmen laut, die das Attentat syrischen Diensten und pro-syrischen Libanesen zur Last legten. Der Umgang der libanesischen Sicherheitskräfte mit dem Explosionsort und die ausgesprochen zurückhaltende Aufklärungsarbeit der Libanesen veranlassten UN-Generalsekretär Kofi Anan in der Folgezeit zwei international besetzte Kommissionen zu einzurichten, die das Attentat und seine Hintergründe aufklären sollten.

Im Sommer 2005 wurden schließlich vier prosyrische libanesische Offiziere in Untersuchungshaft genommen. Im April 2009 entschied das Sonderttribunal für den Libanon in Leidschendam-Voorburg, dass das vorliegende Beweismaterial für Anklagen nicht ausreiche.

Die Angehörigen der Familie Hariri gehören nicht nur zu den Superreichen der Forbesliste, die Familie stellt auch ein Gelenkstück innerhalb des Beziehungsgeflechts der USA, der Saudis und ihrer Interessen in der Levante, auch in Syrien, dar. Geradezu spiegelbildlich verdeutlicht diese Gemengelage die Vita von Hariris Sohn Saad, der in den Folgejahren selbst für eine Weile Ministerpräsident des Libanon war und auch in der oben genannten saudisch-europäischen Fernsehproduktion das Wort erhält.

Geboren wurde er in Riyadh, Saudi Arabien, als Sohn Rafiq al-Hariris und dessen erster Frau, einer Irakerin. Offenbar mit Sondergenehmigung der saudischen Herrscher besitzt er, wie zuvor auch sein Vater, nicht nur die libanesische, sondern auch die saudische Staatsbürgerschaft.

Womit Libanons Tycoons ihr Geld verdienen, gilt mitunter als undurchsichtig. Oder andersherum formuliert: wer die Anteilseigner zum Beispiel der Solidere-AG (Société Libanaise pour le développement et la reconstruction s.a.l.) sind, die laut Achim Nuhr in einem Feature für den Deutschlandfunk (ausgestrahlt im Dezember 2011) federführend den Wiederaufbau der Beiruter Innenstadt betreibt, blieb zur Zeit der Nuhrschen Dokumentation weitgehend unklar. Allerdings war oder ist eine Hariri-Stiftung beteiligt. Und andererseits sind die Verbindungen zwischen der Solidere und der libanesischen Regierung offenbar so eng, dass Rechenschaftspflichten des im Regierungsauftrag handelnden Unternehmens eher theoretischer Natur sind. Wer Nuhrs Feature über Beiruts Kriegs- und Nachkriegsgeschichte liest, mit der angeblichen Rolle Hariris in den Bulldozings, die den Solidere-Aktivitäten zur Wiederherstellung der Beiruter Innenstadt vorausgingen, dem drängt sich womöglich die Frage auf, warum Rafiq al-Hariri erst 2005 ermordet wurde – Menschen, die ihm den Tod wünschten, wird es genug gegeben haben. Und wer gesellschaftlich zu den unteren Schichten gehört und – zum Beispiel – in der Nuhrs Doku zufolge unter Hezballah-Regie recht erfolgreich und unter sozialen Kriterien entwickelten „südlichen Vorstadt“ Beiruts lebt, braucht nicht unbedingt weltpolitische oder religiöse Gründe, um pro-Hezballah und, nolens volens, auch „pro-syrisch“ zu sein.

Wenn schon Aktiengesellschaften als wenig transparent gelten, gibt es wenig Grund zu glauben, dass Investitionen libanesischer Geschäftsleute oder Politiker in den syrischen Aufstand – wenn es sie denn gibt – nachvollziehbarer zu Tage gebracht werden können. Vorwürfe in diese Richtung allerdings gibt es spätestens seit Anfang Dezember 2012, als Okab Sakr auf der Basis von Lauschangriffen vorgeworfen wurde, er sei an Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen beteiligt. Sakr, ein Saad al-Hariri nahestehender Unterstützer der 14.-März-Allianz, bestritt die Vorwürfe. Die Mitschnitte seien gefälscht: „Sie können sie von jedem Labor der Welt auf ihre Echtheit überprüfen lassen“, erklärte er. Offenbar seit Anfang Januar beschäftigt sich die libanesische Generalstaatsanwaltschaft mit den Mitschnitten. Allerdings soll sich Sakr bei der Freien Syrischen Armee seither mit eigenmächtigen Entscheidungen unbeliebt gemacht haben. Einem im Juni von Al-Manar, einem pro-Hezballah-Sender zitierten Bericht zufolge verlangte die FSA in einem Brief an Hariri, er solle „die Mission Sakrs in der Syriensache beenden“ und ihn ersetzen. Die meisten Führer der syrischen Opposition – Islamisten und Laizisten gleichermaßen – seien „wütend“ auf Sakr, der eigenmächtige Entscheidungen getroffen habe, insbesondere, indem er Einfluss auf die Bildung von Revolutionskomitees in der Türkei genommen und einen Oberst der FSA, Abdel Jabbar Akidi, in seinen Operationen in Syrien behindert habe, ohne dafür plausible Gründe zu nennen.

Die syrischen Behörden stellten wenige Tage nach Auftauchen der ersten Vorwürfe Haftbefehle nicht nur gegen Sakr, sondern auch gegen Saad al-Hariri aus, aufgrund des Verdachts, sie bewaffneten und finanzierten syrische Rebellen. Während allerdings keiner der Verdächtigten die Vorwürfe aus Damaskus bestätigte und Sakr auf einer Pressekonferenz erklärte, Hariri und saudische Amtspersonen hätten lediglich Milch und Decken geliefert, ließ Hariri, der 2009 als libanesischer Premierminister mit Assad zusammengetroffen war, keinen Zweifel an seiner Sicht des syrischen Präsidenten: „Bashar al-Assad hat alle Eigenschaften eines Monsters.“ Dieser habe „die moralische, humanitäre und politische Autorität [zur Herrschaft] verloren und wird sich früher oder später der Gerechtigkeit stellen müssen, die vom syrischen Volk gewollt ist.“

Die libanesische Regierung – im Amt von Juni 2011 bis März Juni 2013 – sympathisiere mit Damaskus, so die ägyptische Zeitung "Al-Ahram" online seinerzeit, im Dezember 2012. Aber die vom Westen und von Saudi-Arabien unterstützte libanesische Opposition stehe dem syrischen Regime „unerbittlich ablehnend“ gegenüber. Der Nachfolgekandidat Tammam Salam, der die 2013 zurückgetretene Regierung Najib Mikati ablöste, war sowohl für die Hezballah als auch die 14.-März-Allianz zumindest grundsätzlich diskutabel. Er amtiert seit April 2013.

Politik und Geschichte sind in den libanesisch-syrischen Beziehungen sicherlich keine Nebensache – das beginnt schon damit, dass Syrien den Libanon als einen Teil des syrischen Territoriums betrachtet. Aber wer Aufschlüsse über die Motive sucht, welche die Konflikte innerhalb des Libanons und über die libanesisch-syrische Grenze hinweg sucht, kommt um eine Untersuchung auch der sozialen Hintergründe kaum herum.

Fortsetzung folgt, voraussichtlich kommendes Wochenende.

Fortsetzung hier.

Links zum Thema:

» Syrien und der Rest der Welt (2), 01.09.13

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