Syrien und der Rest der Welt (8)

Momentaufnahme. Wer ist die "Friedensmacht" der Stunde?

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Von JR

"Kriegsmüdigkeit" gibt es nicht nur in Europa. Auch die amerikanische Öffentlichkeit will offenbar mehrheitlich keinen Krieg gegen Syrien. Diejenigen Mitglieder des Kongresses, die sich im kommenden Jahr Wahlen stellen müssen, werden das in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Eine parlamentarische Zustimmung zum offenen Krieg - oder einer Kriegsoption - ist der Obama-Administration nicht sicher. Allerdings kann sie grundsätzlich auch ohne eine solche Zustimmung Krieg führen - und sollten die Mitglieder des Kongresses sich mehrheitlich zu einer Ablehnung entscheiden, dann vielleicht auch, um ihre Hände in Unschuld zu waschen.

Denn innerhalb der von der War Powers Resolution gesetzten Regeln hätte Obama - wenn er will - recht viel Raum für Militäraktionen. Falls er sein Land ohne parlamentarische Unterstützung engagieren und von "einmaligen Schlägen" zu wachsendem militärischen Engagement übergehen würde, müsste er vermutlich früher oder später Budgetanträge an den Kongress stellen, und es wäre unwahrscheinlich, dass dieser die Administration finanziell auf dem Trockenen sitzenließe.


Nun wird auch in Deutschland um die Deutungshoheit über die Ereignisse der letzten Tage gerungen: U.S.-Außenminister John Kerrys "Angebot" aus London, auf eine Militäraktion gegen Syrien zu verzichten, sofern das Regime seine Chemiewaffen aufgebe, dem russischen Vorschlag, Syrien möge genau das tun, und der syrischen Annahme des russischen Vorschlags.

Mal soll Obama im August vorigen Jahres aus Versehen von einer "roten Linie" (einem Chemiewaffeneinsatz in Syrien) gesprochen haben, mal soll Kerry aus Versehen versucht haben, Amerika mit seinem Angebot aus London hinter die "rote Linie" zurückzuschieben, mal soll die Drohkulisse funktioniert haben, undsoweiter.

Relativ vermutbar ist allenfalls, dass "die Drohkulisse funktioniert habe - sei es nun von langer Hand geplant, sei es aus Versehen.

Das erste Opfer, wenn der Krieg kommt, ist die Wahrheit, soll - unter anderen, so oder ähnlich - der amerikanische Senator Hiram Johnson gesagt haben. Das stimmt. Es trifft allerdings nicht nur auf die Kriegspropaganda zu, sondern auf jede Propaganda, und auch auf manchen in redlicher Absicht unternommenen Versuch, über einen Krieg zu berichten. Selbst Journalismus oder Reportage vor Ort, mit dem Ziel, objektiv zu sein, ist nicht vor Irrtümern gefeit; in einem Kriegsgebiet gibt es keinen Gesamtüberblick, sondern bestenfalls die Augenzeugenschaft eines Reporters oder einer Reporterin in einem konkreten Fall.

Das macht das Spin-doctoring darüber, wer nun die friedenswilligen Parteien eines Konfliktes seien, und wer die blutdürstigen oder profitgierigen Mörder, bisher ziemlich sinnfrei. Offenbar fanden die westlichen Regierungen die Aussicht auf einen Fall des Regimes in Damaskus - jedenfalls bis vor einigen Monaten - überaus attraktiv, und sie taten, was sie im Rahmen ihrer jeweiligen Gesetze und politischen Möglichkeiten (oder auch darüber hinaus) konnten, um den Sturz der Baathisten voranzutreiben.

Und nicht zuletzt Vorurteile oder Erfahrungen mit den beteiligten auswärtigen Mächten - da wähle jeder selbst seinen bevorzugten Begriff - prägen die Einschätzungen der internationalen Abläufe.

Aber ein Regime wie das syrische, das auch eine moderate Opposition jahrzehntelang niederhielt - mit vereinzelter oder massiver Gewalt, wie immer es ihm erforderlich erschien -, ist eine Kriegspartei, und ebenfalls keine Partei des Friedens. Und dass Syrer, die aktiv an einer Befriedung ihres Landes mitwirken wollen, sich anscheinend vielfach nur noch zwischen bewaffnete Baathisten und bewaffnete oppositionelle Extremisten gestellt sehen, ist durchaus kein Grund zur Freude. Wer sich in den letzten Tagen darüber innerlich die Hände gerieben hat - da müsste sich jeder selbst prüfen - ist wahrlich kein friedliebender Mensch.

Auch wer den Frieden wirklich will (und ihn bei sich zu Hause immer wieder sucht), kann sich "verwählen". Information ist häufig auf allen Seiten das Letzte, worauf im Ringen um Meinungen wirklich gesetzt wird. Und es ist denkwürdig, dass sich dieses spin-doctoring nicht nur in der politischen Klasse, sondern auch in alltäglichen politischen Diskussionen zwischen Normalbürgern recht erfolgreich etabliert hat.

Fortsetzung folgt.

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» Netzschau/Chinesische Presse, 10.09.13

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