Taiwan: Brieftaubenflug an der Ionosphäre

Medium Kurzwelle Der ferne Osten verzichtet ohnehin nicht im westlichen oder russischen Umfang auf Kurzwellensender. Aber für Taiwan gibt es noch einen Grund mehr, an ihnen festzuhalten.

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Taiwan gehört nicht zu den bekanntesten Ländern der Welt, und wird gerne mit Thailand verwechselt. Ursache dafür sind vermutlich vor allem deutsche Urlaubsgewohnheiten. Vom wirtschaftlichen Gewicht her aber dürfte Taiwan (oder, mit vollem amtlichen Namen, die Republik China) deutlich vor Thailand liegen, und das sowohl in absoluten Zahlen, als auch pro Kopf.

Bis vor kurzem erhielt Taiwan, das von China für einen Teil des eigenen Territoriums gehalten wird, weltweit relativ wenig Aufmerksamkeit. Dazu mag im Westen ein schlechtes Gewissen beigetragen haben, denn aufgrund chinesischen Drucks muss die taiwanische Inseldemokratie bei internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation WTO unter skurrilen Fantasieflaggen segeln, und bei der World Health Organisation hat man nicht einmal Beobachterstatus. (Eine UN-Mitgliedschaft kann man sich ohnehin abschminken.) Taiwans Botschaften heißen denn auch nicht Botschaften, sondern - deutsches Beispiel - "Taipeh-Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland", oder - britisches Beispiel - "Taipei Representative Office in the U.K." Und damit ist Taiwan noch gut bedient: als Nigeria 2017 die diplomatischen Beziehungen mit Taipei abbrach und mit Beijing aufnahm, relegierte es die Taiwaner Vertretung auch noch gleich von der Hauptstadt Abuja in die Ex-Hauptstadt Lagos, und verfügte eine Reduzierung des Personals.

Das heißt freilich nicht, dass es keine taiwanisch-chinesischen Beziehungen gebe - unter einem komplizierten Protokoll und mit Hilfe konjunkturgesteuerter historischer Sichtweisen tut man auf beiden Seiten so, als existiere die Gegenseite eigentlich nur ökonomisch. Aus Beijinger Sicht allerdings darf dieser Status Quo nicht unbefristet andauern.

Internationale Aufmerksamkeit erhielt Taiwan in den letzten Wochen durch ein offenbar sehr erfolgreiches COVID-19-Krisenmanagement. Die Ironie, als Outcast - als Nicht-WHO-Mitglied - so viel besser durch die Zeit zu kommen als ein Großteil der industrialisierten Welt, erwies sich als guter Aufhänger für taiwanische Bemühungen, vielleicht zumindest einen Beobachterstatus bei der WHO zu erhalten.

Aber auch medial arbeitet das Land an seiner internationalen Wahrnehmbarkeit. Der Radioauslandsdienst RTI zum Beispiel ist im eigenen Land wenig bekannt, auf chinesischer Seite aber mit seinem Chinesischdienst häufig gehört oder, wo möglich, auch online gelesen. Immerhin "nachweisbar" waren laut dem RBB-"Medienmagazin" im Spätsommer 2019 auch deutsche und russische Hörer-Reaktionen auf Kurzwellenübertragungen, während man französisch- und spanischsprachige Kurzwellenhörer im Frühjahr 2018 mit leichter Hand abschrieb - in Afrika, Europa, und in Lateinamerika.

Radiohörer sind häufig weit weniger mitteilsam als Internetnutzer - das liegt in der Natur des weniger interaktiven Mediums. Aber möglicherweise gab es die zuvor nicht wahrgenommene "Hörerresonanz" nach der Beendigung der französisch- und spanischsprachigen Analogprogramme. Hinzu kam im vergangenen Sommer ein neuer RTI-Direktor namens Chang Cheng, der offenbar ein Fan traditioneller Übertragungswege ist und dessen Lob für das alte Medium an Poesie grenzt.

Wenn das Signal einmal an die Kurzwellensender übertragen sei, beginne die eigentliche Arbeit, so Chang:

Die Hochleistungssender und alle Arten aufgehängter Antennen tragen das Signal aus Taiwan hinaus, auf Kurzwelle.

Warum der Aufstand? Im Internetzeitalter bringst du deine Stimme ins Internet, und fertig? Nicht unbedingt (wir zeigen ohne Kommentar nach Westen). So kommt uns dieser Brieftaubenflug, das historische Fernradio, reflektierend an der Ionosphäre, gerade recht.

Eine zusätzliche Erklärung lieferte im Februar das Hörerbriefprogramm des französischsprachigen RTI-Dienstes selbst: das Management sei zu dem Schluss gekommen, dass Taiwan alle verfügbaren Kommunikationskanäle nutzen solle - auf französisch- und spanischsprachige Kurzwellensendungen wolle man mithin nicht mehr verzichten.

Französischprogramme sind seit vorigem Monat allabendlich auf 6005 kHz um 21 Uhr MESZ zu hören; spanischsprachige gibt es ab Montag bzw. Dienstag früh wieder, ab Mitternacht auf 7780 kHz.

Von China über Japan und Korea (Nord und Süd) spielt das Kurzwellenradio immer noch eine weitaus wichtigere Rolle als für Russland, die EU-Staaten oder für Nordamerika. Aber dass ein Land die Streichung von KW-Sendezeiten zurücknimmt, dürfte ein Novum sein.

Radio Taiwan International auf Deutsch täglich ab 21 Uhr MESZ auf 5900 kHz über Kostinbrod/Bulgarien
Online: https://de.rti.org.tw/

Technische Informationen zu den Taiwaner Sendeanlagen ("Facebook"-Videos)

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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