Abschied von Hanna

All die Toten Trauerfeier, Dichter und Rotwein am Jahresende

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Das Begräbnis von Hanna (94), die dement und einsam am Heiligabend im Pflegeheim gestorben war, führte die Familie auf dem Friedhof in R. für die Dauer der coronabedingt kurzen Trauerfeier wieder zusammen. Der junge Pastor, der die Tote nicht gekannt hatte, machte es kurz:

Allmächtiger Gott.
Du bist Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft.
In Deine Arme haben wir nun
Hanna K. gelegt.
Wir können nichts mehr für sie tun.
Uns bleibt nur die Hoffnung,
dass Du für sie da bist,
dass Du deine Arme
weit öffnest und rufst:
Komm wieder Menschenkind. Amen.

Wir, die Trauernden, hatten uns auch nach all den Jahren des Schweigens nicht viel zu sagen und zerstreuten uns rasch, als Regen und Wind aufkamen. Auf dem Weg zum Parkplatz ging ich an den verwitterten Grabsteinen der Brüder meines Vaters vorbei:

Erich, Oberfeldwebel des Heeres, der wenige Wochen vor meiner Geburt bei einem Luftangriff gestorben war;

Heinz, der in den letzten Monaten vor Kriegsende zur Waffen-SS eingezogen worden und im Sommer 1946 an einer Thrombose gestorben war:

Hermann, Hannas Mann, der den Hof geerbt hatte, erst Anfang der 50er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen war und der bei Familienfeiern nach dem Essen im Raucherzimmer, während die Frauen den Abwasch erledigten, bei Bier und Wacholder vom Iwan und vom Bolschewismus zu erzählen pflegte.

Ich begann zu frieren, lief zum Auto und drehte Radio und Heizung auf. Während der Fahrt fiel mir ein, dass Rühmkorf in seinem Tagebuch von einem Besuch auf dem Friedhof seiner Mutter berichtete.Zuhause fand ich den Text:

1.Januar 1991. Zum Grab der Mutter nach Warstade-Hemmoor, vom Vertragsgärtner für den Winter eingedeckt: kleiner fröstelnder Feldstein im bissigen Wind; immergrüne Efeuherzen, hypernervös hin- und herzuckend ; ein schlenkriger Rosenzweig wie ein geistesgestörter Generaldirigent drüberweg .Schlurften, weil mir auf einmal danach war, noch kurz an den Gräbern der frühen Jahre vorbei, den Nachgeborenen und Vorweggestorbenen, Lehrern, Geliebten, Spielgefährten, der Konfirmandenstunde, der Schulbank, dem HJ-Dienst, der Fahrschülerzeit, ziemlich weit weg das alles und auf eine klamm-anhängliche Weise immer noch anwesend: goldene Jugendzeit / braune Nazizeit, die frühen Jahre, als ein Butterbrot noch etwas wert war und ein Menschenleben bald nichts mehr galt.

Bevor ich in düsteren Gedanken und Selbstmitleid versinken konnte, machte B., die es abgelehnt hatte, an Hannas Begräbnis teilzunehmen, den Vorschlag, eine Flasche Rotwein zu öffnen und in den Mediatheken nach einem Film zu suchen, der die Stimmung heben konnte.

So kam es, dass wir am Abend des Tages, an dem Hanna K. begraben wurde, eine Komödie von Billy Wilder („Eins, zwei, drei“) sahen und uns vornahmen, optimistisch ins neue Jahr zu schauen.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

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