Adieu, Heinz!

Der Tod eines Freundes „Schaut nur nicht so bedeppert in diese Grube. / Nur immer rein in die gute Stube. / Paar Schaufeln Erde, und wir haben / ein Jammertal hinter uns zugegraben.“ (Peter Rühmkorf)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wir lernten ihn Ende der 60 Jahre im Historischen Seminar der Universität Münster kennen. Ein seltsamer Kommilitone: kurze Haare, strenger Scheitel, Schlips, Reserveoffizier, Sozialdemokrat, auf die Seminarsitzungen immer gut vorbereitet. Für uns langhaarige Revoluzzer war er eine dubiose Figur.. Das gemeinsame Interesse an moderner Sozialgeschichte, die Liebe zu den Arminen und zum Doppelkopf überwanden die wechselseitige Skepsis.Es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen uns und unseren Familien, die ein halbes Jahrhundert andauerte: Wir machten gemeinsam Urlaub, wurden Paten unserer Kinder, gingen zur Alm und trafen uns immer wieder mal zum Essen, am liebsten Lachs, Herforder und Aquavit.

Vor Weihnachen ist Heinz. gestorben.

Eine Woche vor seinem Tod konnten wir ihn in der Klinik besuchen. Er war dorthin überführt worden, nachdem er nach gescheiterten Hüftoperationen eine Lungenentzündung bekommen hatte, die nicht zu kontrollieren war. Verkabelt, intubiert und von blinkenden Maschinen umstellt, lag er hilflos in seinem Intensivbett. Er erkannte uns, wollte reden, brachte aber nur Laute hervor, die sich nicht zu Wörtern und Sätzen fügten. Wir erzählten, was ihn vielleicht interessierte: Arminia hat nicht verloren, Konzept der Verkehrsberuhigung der Altstadt im Stadtrat gescheitert, Scholz zum Bundeskanzler gewählt...Als wir uns nach einer Viertelstunde verabschiedeten, folgten uns seine Blicke.

Ende Januar die Trauerfeier im Bestattungshaus.

Zwanzig Trauergäste, alle 2G+ und maskiert, einer der Söhne skizziert sein Leben: Sohn eines Schreiners, der ihn allein erzieht; mit Glück aufs Gymnasium; zwei Jahre Bundeswehr; Heirat mit 20, nachdem die Eltern der Freundin bei einem Unfall getötet worden waren; Studium im Schnelldurchgang; Karriere im Schulsystem und in der SPD - 22 Jahre Leiter eines Gymnasiums, Stadtrat; lange Jahre schul- und kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion; nach Pensionierung Ausstieg aus der Politik; engagierter Opa seiner Enkelinnen; nach dem plötzlichen Tod seiner Frau im Frühjahr Depressionen; Sturz im Bad, misslungene Hüftoperationen, langes Sterben in der Lungenklinik.“Wir vermissen ihn.“ Vom Band eine Strophe von Hannes Wader:

Und wenn ich sterbe, oh ihr Genossen
Bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
Wenn ich sterbe, oh ihr Genossen
Bringt mich dann zur letzten Ruh'
Wenn ich sterbe, oh ihr Genossen
Bringt mich dann zur letzten Ruh'

Draußen wartet im Regen der Posaunenchor seiner Schule. Während wir eine Rose in das Urnengrab werfen, blasen die Posaunen eine leicht verfremdete Version von „Ich hatt' einen Kameraden“.

Nach der Zeremonie Erbsensuppe, Bier und Wacholder in der benachbarten Gaststätte. Adieu, Heinz!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden