Auf dem Weg zum Discounter hörte ich im Rundfunk, Karl Lagerfeld sei vermutlich gestorben. Auf dem Weg vom Discounter hörte ich die Meldung, Karl Lagerfeld sei tatsächlich gestorben. Der allgegenwärtige Soziologe Heinz Bude kommentierte die bestätigte Nachricht: Lagerfeld sei eine Heinrich-Heine-Figur, ein junger Mann aus der deutschen Provinz, der in Paris sein Glück sucht – beeindruckend kreativer Mann, dessen Erfolg „etwas über die Gesellschaft“ aussage. Was das sei, hörte ich nicht mehr, denn ich war zuhause angekommen.
Dort erinnerte ich mich daran, dass Volker Braun in den 80er/90er Jahren ein Gedicht geschrieben hatte, in dem Lagerfeld als Symbolfigur der, wie Braun glaubt, im dritten Jahrtausend aufziehenden Barbarei gedeutet wird:
LAGERFELD
…
Lagerfeld oder Die Gelassenheit Er
Liebt nicht die Schönen, die er haben kann Sein Herz
Sucht die Schönheit überall Die Schönheit
Ist ein Sohn der Gosse Sie ist vorbestraft
Sehn Sie den Steckbrief, schwarze Haut
Ich genieße den Luxus, ausgestoßen zu sein
Ein Idiot im 3. Jahrtausend Ein Bürger der Welt
Helena Christensen verläßt den Laufsteg
Warum soll ich Mode werden
In der Wegwerfgesellschaft
Das Stadion voll letzter Schreie Ideen
Roms letzte Epoche des Unernsts
Sehn sie nun das Finale ICH ODER ICH
Salute, Barbaren
Ob kosmopolitische Leitfigur, ob Symbol einer „letzte(n) Epoche des Unernsts“ oder zynischer Akteur und Kommentator seiner Gegenwart – die Nachrufe des Feuilletons haben einiges zu besprechen. Dachte ich und begann den Imbiss vorzubereiten.
Auszug aus: Tumulus. Frankfurt/M. 1998
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