Aufklärung par excellence

Medien Jan Böhmermanns Hohenzollern-Coup ist gelungen. Wir ziehen die Pickelhaube
Ausgabe 47/2019
Der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II.
Der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II.

Foto: Imago Images/Photo12

Nachdem die deutschen Vertreter am 28. Juni 1919 den „Schandvertrag von Versailles“ unterschrieben hatten und einer Besetzung des Landes durch die Siegermächte zuvorgekommen waren, rief die evangelische Kirche in Preußen zum Gebet auf: „Wie man auch urteilen mag über einzelne Handlungen der Regierungunseres Kaisers: fest steht die Reinheit seines Wollens, die Makellosigkeit seines Wandels, der Ernst seines persönlichen Christentums und seines darin tief begründeten Verantwortlichkeitsgefühls.“ Mit äußeren Mitteln vermöge man ihn nicht zu schützen, daher die Bitte, „in dieser Not den Kaiser und seine schwerkranke, in den Werken christlicher Barmherzigkeitvorbildlich bewährte Gemahlin nebst unseren deutschen Führern und Helden mit dem Wall unserer Fürbitten zu umgeben“.

Eine solche Liebeserklärung an die Hohenzollern hat 100 Jahre später noch gefehlt, in Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale: ein spiritueller Schutzschild aus Zuschauergebeten gegen die Anfeindungen der Medien, in denen gar von „Clankriminalität“ die Rede war, nur weil das Haus Hohenzollern seine Schlösser zurückhaben will oder wenigstens das Inventar und Tausende Kunstgegenstände: „Eier aus Stahl“ bescheinigte Böhmermann dafür dem Ururenkel des Kaisers, Georg Friedrich, aktuelles Oberhaupt der Familie, die wie andere Opfergruppen der deutschen Geschichte, etwa die Herero und Nama aus der Ex-Kolonie Deutsch-Südwestafrika, von Deutschland bis heute nicht entschädigt wurde.

„Seine Königliche Hoheit“ aber hat es geschafft, den Staat an den Verhandlungstisch zu bringen! Der Prinz von Preußen beruft sich auf das Bundesentschädigungsgesetz von 1994, das aber, so Böhmermann zu Recht, einen Haken hat, „einen kleinen Haken mit Kreuz“: Nicht jeder dahergelaufene Großgrundbesitzer bekomme einfach seine Schlösser zurück. Schon gar nicht, wenn die Antragsteller oder deren Vorfahren dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet haben. Die Beweislast liegt jedoch beim Staat, der seit 25 Jahren mit den Kaisererben verhandelt – hinter verschlossenen Türen.

Dass Wilhelm II. – wie auch sein Erstgeborener, Kronprinz Wilhelm von Preußen, der u.a.in der Schlacht vor Verdun die deutsche 5. Armee befehligte – für Millionen Tote des Ersten Weltkriegs die Verantwortung trägt, spielte in der Auseinandersetzung bislang keine Rolle. Es geht um Recht, nicht um Gerechtigkeit. Darum schert sich Böhmermann nicht, leistet Aufklärung par excellence, ließ den Sprecher der Herero in Deutschland erklären, dass der Genozid an seinen Vorfahren bisher ungesühnt blieb. Stattdessen ist der deutsche Staat gerade dabei, die Nachkommen der Täter zu entschädigen: Tatsächlich will der Bund, schrieb die Süddeutsche Zeitung unlängst, einen Kompromiss: „Die Hohenzollern sollen einiges bekommen, aber eben möglichst wenig.“ Journalisten, die darüber berichteten undaus den geheim gehaltenen Gutachten zitierten, wurden vom Anwalt der Familie verklagt.

Mit Geheimdiplomatie dürfte es erst mal vorbei sein; Böhmermann hat alle Gutachten auf hohenzollern.lol geleakt und blickt einer juristischen Auseinandersetzung gelassen entgegen. Nebenbei hat er die Frage aufgeworfen, was aus Hitler ohne die Hohenzollern geworden wäre. Inwieweit haben die Eliten der Kaiserzeit zum Untergang der Weimarer Demokratie beigetragen? Und überhaupt: Warum verlangen in Russland die Romanows keine Entschädigung? Oder in Frankreich die Nachfahren von Ludwig XVI.?

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Geschrieben von

Karsten Krampitz

Historiker, Schriftsteller

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