Eine Reizfigur wie Michel Houellebecq fände man doch auch hierzulande – obwohl, wen denn konkret, Oskar Roehler? 2006 verfilmte er Houellebecqs Kult gewordenen Roman Elementarteilchen von 1998. Nur mit Bernd Eichinger als Produzent konnte der Film erfolgreich werden, sagte er einmal. Und zu seinem übel missratenen Jud Süß: „Für eine wirkliche Satire bräuchte es totale Antifiguren, absolute Unsympathen. In Deutschland aber hat Vergangenheitsbewältigung immer dialektische Sprünge, moralische Volten.“
Die Antifigur schlechthin in der Literatur – sein Stil ein „Nicht-Stil“ (Julia Encke) – wie im Leben (auch optisch!) ist der Franzose Michel Houellebecq. Ist es typisch deutsch, dass man sich lieber mit einem Enfant terrible aus der Ferne beschäftigt? Kann man Provokation, Ambivalenz so – im Sinne von Roehler – besser anfassen? Mit Blick auf das lesenswerte Buch von Julia Encke muss man diese Fragen bejahen. Encke, Literaturchefin der FAS, hat den Autor kein einziges Mal länger gesprochen, wie sie freimütig bekennt. Aus der Distanz zu beobachten schien ihr „intuitiv“ der geeignete Zugang zu sein. Vor zehn Jahren war sie bei Dreharbeiten dabei, Houellebecq versuchte sich als Regisseur. Grotesker Film, es gibt ein Foto, er steht hinter der Kamera, sieht zufrieden aus, ein seltener Anblick. Encke nähert sich in dem Provokateur über solche Begegnungen, natürlich über Houellebecqs Romane und ihre Rezeption, sowie diverse, öffentlich ausgetragene Skandale, eine traurige Schlammschlacht mit der Mutter Janine Ceccaldi. Houellebecq hatte der egoistischen 68er-„Schlampe“ in Elementarteilchen ihren Namen gegeben. Oder die Story mit einer Reporterin des New York Times Magazine, die er für einen Termin so adressierte: „Ich will einfach nur Sex.“ Verheiratet war er, darüber hätte man gerne mehr gelesen. Dafür zum Beispiel diese interessante Betriebsnotiz: Wagenbach ergatterte sein Debüt Ausweitung der Kampfzone für 3.000 Euro und verkaufte 200.000 Exemplare.
Reaktionär, antimodern, hasserfüllt gegenüber der Generation der Altsechziger, das sind weitere Etiketten. Den Islam nannte er die „bescheuertste Religion der Welt“. Zum Propheten wurde er mit seinem Roman Unterwerfung, der am 7. Januar 2015 erschien, an dem Tag des Terrors gegen Charlie Hebdo. Auf dem Cover der neuen Ausgabe hatte man Houellebecq karikiert, typisch mit Zigarette, verwittertem Gesicht, zerzaustem Haar, auf die Handlung von Unterwerfung anspielend, in den Mund gelegt: „2022 mache ich Ramadan“. Spannend ist, wie Encke aufzeigt, dass ein anderer Roman die Lesart „schleichende Islamisierung der Gesellschaft“ viel unvermissverständlicher anbot als Unterwerfung: Boualem Sansals Dystopie 2084. François ist eigentlich „politisiert wie ein Handtuch“, beschrieb Houellebecq seinen Helden. Man schließt daraus, der Autor folgt seinem Willen zur Selbstinszenierung (auch der Clochard-Look im Grunde ein Stil), die Öffentlichkeit tut es auch, sie will den Provokateur.
Kokette Selbstentleibung
Wer also ist Houellebecq? Encke setzt sich mit der naheliegenden Frage auseinander, inwiefern man den Schriftsteller für sein Alter Ego „Michel“, das seit Ausweitung der Kampfzone meist die zentrale Figur seiner Romane ist, irgendwie haftbar machen kann. Das scheint unmöglich, wo er doch „Figuren- und Autorenrede immer wieder verwischt“. Wo er sich kokett in Karte und Gebiet (für das er den berühmtesten Literaturpreis Frankreichs, den Prix Goncourt, erhielt) bestialisch selbst umbringt. Sich in Die Entführung des Michel Houellebecq selbst spielt. In Tokio gab es 2016 eine Ausstellung Houellebecq einschließlich einer Röntgenaufnahme seines Kopfs.
Am Schluss der Lektüre hat man begriffen: Houellebecq will Fiktion und Realität gar nicht trennen. Konkret wird er nur dort, wo es eindeutig wird: engagierte Literatur im Sinne von Camus oder Sartre ist seine Sache nicht. Er wolle Gewissheiten ins Wanken bringen. Ambivalenzen aushalten. Diese seine Philosophie nimmt man gern wörtlich: „Freiheit ist oft provozierend. Ohne eine Dosis Provokation geht sie nicht.“
Info
Wer ist Michel Houellebecq? Porträt eines Provokateurs Rowohlt 2017, 256 S., 19,95 €
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