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Frisör Wie Schönheit und Utopie zusammen hängen

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Dass es Mist ist, vom Discountgewerbe zu profitieren, weiß ich auch. Indes unmöglich, alles zu boykottieren und dann diese systemimmanenten Widersprüche. Die Rechnung kommt ohnehin, dieses System zerstört sich, man schaut ja zu, in Echtzeit. Meine spontane Idee dann auch, einfach mal am Friseur zu sparen und das Recht auf ein vernünftiges Gehalt zu verhöhnen, geriet zum Zerstörungswerk im Zeitraffer, schnipp, schnapp, ab, sehe ich, was nicht zu übersehen ist, eben noch schöne Haare, jetzt schön verzottelt, die Stimmung weinerlich, angefallene Kosten: 11 Euro.

Man kann Bülent keinen Vorwurf machen, der mich gleich auf diese türkisch einnehmende Art zu den Waschbecken dirigierte, eine jahrhundertealte Orientalenfalle. Ich kann Bülent auch nicht böse sein, er schneidet marxistisch entfremdet, schneidet Haare einfach ab, ohne Illusionen, so wie der koreanische Schneider niemals hinterfragt, ob fürs Kürzen einer Hose wirklich nur ein Hosenbein reicht, das man absteckt. Der Schneider, der sein Handwerk mal lernte und seinen Laden grade so nur halten kann oder bald aufgibt, murmelt dazu zynisches Zeugs. Kurz. Man muss sich nicht wundern, wenn man nach einem Billigfrisör so aussieht wie die Produkte beim Schneider aus Korea, wie dieses Polyesterzeugs aus Asien, das hier auch verkauft wird. Nur die Stimmung, die ist inzwischen unverhältnismäßig gar nicht gut.

Tagsdrauf bezahle ich mein unkritisches Handeln mit einem Reparatur-Termin beim Frisör meines Vertrauens, einem richtigen Frisör. Fahre mit dem Fahrrad vorbei am Fahrradladen meines Vertrauens, bei dem ich sofort ein Liebhaberstück kaufen würde, statt meinem Rad vom Fließband, schaue dem Mechaniker, wie immer, wenn ich an ihm vorbeifahre in diese gelassenen Augen, und denke, er versteht mich, er sieht aus wie ein hübscher Philosoph, früher noch lange Nächte und lange Gespräche, heute, mit Anfang 40 musste doch mal gucken, womit er real sein Geld verdienen will.

Angekommen. Die Friseurinhat diesen schönen, langen, geheimnisvollen Zopf und Vanessa-Paradis-Zahnlücke, macht eine Pflege ins Haar, sie streicht und formt das nasse Haar und schaut sich die Katastrophe an und sagt ganz sanft, mit der Souveränität des Handwerks: Manchmal sind es nur Kleinigkeiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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