200 Gramm pro Tag

Ernährung Fleisch, Gesundheit und Forschung: Ein Eiertanz

Rund 200 Gramm Fleisch isst der Bundesbürger am Tag. Die gesundheitlichen Auswirkungen dieses als viel zu hoch gegeißelten Fleischverzehrs gehören zu den heftig umstrittenen Feldern in der Ernährungsforschung – und sie sind auch ideologisch vorbelastet. Denn Fleisch, sofern es sich nicht um mageres Filet handelt, ist fett- und energiereich und wurde von der Wissenschaft in ihren Anfängen noch als das Lebensmittel schlechthin gepriesen. Justus von Liebig, der Vater der Ernährungsforschung, glaubte sogar, dass menschliche Muskeln das gegessene Fleisch direkt verbrauchen.

Ein Irrtum, dessen Klärung in europäischen Kriegszeiten auch als Argument dafür missbraucht wurde, den Mangel an Fleisch zu rechtfertigen und andere, verfügbare Lebensmittel in den Vordergrund zu rücken – vor allem pflanzliche Nahrung, die im Dritten Reich auch der ideologischen Naturverbundenheit zupass kam, und von den Lebensreformern damals ja bereits als Grundlage einer alternativen Ernährungskultur etabliert worden war. Der moderne Vegetarismus ist eng mit dieser Entwicklung verknüpft.

Erste wissenschaftliche Zweifel an der Unbedenklichkeit von Fleisch lieferte die Forschung dann in den sechziger Jahren – mit den Thesen des US-Physiologen Ancel Keys: Cholesterin und gesättigte Fettsäuren aus Fleisch, Eiern und Milchprodukten sollten an der Entstehung von Herz- und Kreislauferkrankungen beteiligt sein. Im medizinischen Alltag hat sich diese Auffassung hartnäckig gehalten: Herzkranken und Menschen mit schlechten Blutfettwerten wird nach wie vor geraten, ihre Ernährung umzustellen, obwohl neue Studien erheb­lich daran zweifeln lassen, dass Nahrungsfette das Herz tatsächlich krank machten. (Umgekehrt haben Forscher gezeigt, dass Fisch mitnichten eine schützende Wirkung aufs Herz hat.)

Fleisch kann älteren Studien zufolge auch Magen-, Darm- und Speiseröhrenkrebs begünstigen. Die plausible Erklärung: Es enthält praktisch keine Ballaststoffe, die ihrerseits ja vor Krebs schützen sollen. Selbst Wissenschaftler referieren diesen Zusammenhang unbeirrt weiter, dabei ist die Indiziendecke mittlerweile dünn wie Carpaccio. Ausgerechnet die größte europäische Studie zum Thema, die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC), musste im vergangenen Jahr feststellen, dass Menschen, die auf Fleisch verzichten, eher häufiger an Darmkrebs erkranken als Fleischesser.

Wie sich Fleisch letztlich auf das gesundheitliche Gesamtbild eines Menschen auswirkt, bleibt weiter spannend. Dass ein Verzicht auf tierische Nahrung grundsätzlich schädlich ist, konnte bisher aber auch nur die Fleischlobby belegen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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