Die Böller im Labor

Diagnose: Mensch Was waren die Forschungsknaller des vergangenen Jahres, was werde die Knüller des kommenden sein? Erstaunlich, dass manche glauben, darauf eine Antwort geben zu können

Das Jahresende ist eine Empirie-freie Zone. Es bedarf keiner experimentellen oder statistischen Erhebungen zur Vergewisserung bestimmter allgemeiner Beobachtungen: Ohne Zweifel wird ein signifikanter Teil der Menschen zwischen den Feiertagen entweder nostalgisch oder aggressiv. Was mit absoluter Sicherheit zu zwei stets gleichen Phänomenen führt: Zum einen der Blick zurück auf alles, was „wichtig“ war im endenden Jahr, auf dass man's nicht vergesse, nochmal ein bisschen fühle und auch irgendwie zu einem Resümee gelange. Zum anderen der Verbrauch aller verbliebenen Sprengstoffvorräte aus dem Vorjahr und die Beschaffung neuer Pyrotechnikartikel, um die willkürlich festgesetzte Jahreswende zum Anlass für ein penetrantes Spektakel zu nehmen.

Was so unterschiedlich erscheint, lässt sich deuten als die Sehnsucht nach dem Exzeptionellen, dem Besonderen im Strom alltäglichen Allerleis, auch wenn die Austreibung von Eintönigkeit nur durch das ewig Selbe erfolgt.

Das Phänomen des Rückblicks hat dabei scheinbare Vorteile: Es stinkt nicht, erzeugt keine akustischen Traumata und hinterlässt auch keine Tonnen Dreck. Vielleicht sind Jahresrückblicke auch deshalb so beliebt geworden und obwohl man meinen sollte, dass sich die Bedeutsamkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse erst nach mehrern Jahren, oft sogar Jahrzehnten offenbart, sendet das Silvester-Orakel mittlerweile auch recht klare Signale in Sachen Forschung aus. Gesucht wird also das tollste, das vielversprechendste wissenschaftliche Ereignis in 2011, gefragt ist zudem das spannendste, aufregendste Ereignis, das 2012 bescheren wird.

Man kann hier zu recht unterschiedlichen Resultaten kommen, je nachdem, ob man mediales Echo oder wissenschaftliche Hipness zugrunde legt, aber ein paar Trends sind offenkundig universell. Zum einen die Angst vor Krankheit, insbesondere in Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme. Übergewicht, Ehec-Infektion, Dioxinvergiftung – das waren zugleich tragende und zukunftsweisende Themen, die zum Jahresende allerdings nicht viel weiter fortgeschritten sind in Analyse und Maßnahme. Die Produktion von Lebensmitteln krankt, klar, aber soweit war man schon im Jahr zuvor und die Wissenschaft hat daran wenig geändert und solange die bejammerten ökonomischen Zwänge nicht verschwinden, wird es dabei bleiben.

Was also ist die Perspektive? Der Mensch als Unikat im Universum sucht verträumt nach einer Zuflucht. Zwei Satelliten, die den Planeten Erde umkreisen, scannen das Weltall systematisch ab, und stoßen in schier unfassbarer Entfernung von mehreren zig bis Hundert Lichtjahren auf Planeten, in die der Mensch seinen Wunsch hineinprojizieren kann – nach einer neuen Erde, die eine Hoffnung auf Zukunft erlaubt. Dass diese Projektionen sich mit der Realität mit großer wahrscheinlich nicht decken, aus Gründen, die bis zur hypothetischen Plattentektonik von Kepler 22b oder das Rotationsgebaren von Gliese 581g reichen, wissenschaftlich also erklärbar sind, ficht die Topten-Listen-Ersteller genauso wenig an wie die Tatsache, dass Elementarteilchen, die sich augenscheinlich frappierend gut verstecken oder mit physikalisch unmöglicher Geschwindigkeit fortbewegen, das vielleicht gar nicht tun. Weil sie womöglich gar nicht existieren (wie das Higgs-Boson) oder weil man vielleciht den Tacho nicht richtig eingestellt hat (fürs Neutrino).

Es gibt zwar die Chance, dass hinter alledem das große Wunder wartet. Aber wissenschaftlich belegt wurde das in 2011 nicht – und es wird auch in 2012 eher nicht belegt werden. Was bleibt von Rück- und Ausschau? Bunte Bilder doch auf jeden Fall, selbst wenn sie nicht so richtig viel mit Wissenschaft zu tun haben, wie die Bildergalerie auf Spiegel online. Im Zweifelsfall schreibt man halt dort ab, wo auch sonst gern abgeschrieben wird, in Science oder Nature. Science hat gleich zwei Pakete geschnürt, eins mit Durchbrüchen des vergangenen, eines mit Durchbrüchen des kommenden Jahres.

Das erste wird am 31.12.12 längst vergessen sein. Das andere widerlegt.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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