Im Lichte der Variation

Diagnose: Mensch Fische im Gelbett, Elektroden im Nagerhirn: Wie erkläre ich's dem gemeinen Bürger? Kommunikationsgebärden der Wissenschaft am Beispiel Optogenetik

Wenn es um Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit geht, haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren viel hinzugelernt – möchte man meinen. Es gibt Preise für science communication und gar Kurse, in denen junge wie etablierte Forscher an der Kommunikation ihrer ambitionierten Experimentalumtriebe feilen können. Ist ja auch nicht leicht: Wie etwa vermittelt man einem unbedarften Bürger, dass man sich qua Routine über festgeschnallte kleine Säugetiere beugt, um deren Gehirne per Genetik fernsteuerbar zu machen, was ja ganz eventuell auch eine mögliche Applika­tion am Menschen impliziert?

Tatsache ist: Die Kommunikationsstrategien der Forscher sind noch immer erstaunlich indivi­duell. Eindrücklich ließ sich das zuletzt in Wissenschaft im Brennpunkt erfahren. Das halbstündige Feature, das sonntags im Deutschlandfunk gesendet wird und für das an dieser Stelle mal ausdrücklich Reklame gemacht werden soll, befasste sich vergangene Woche mit der Optogenetik – einer neuen Methode, mittels der Nervenzellen mithilfe eines genetischen Tricks ein lichtempfindliches Steuer­element eingebaut kriegen. Licht an, Nervenzelle an, das ist das Prinzip. Das eigentlich Interessante aber: Es kommen in dem Beitrag mehrere, teils führende Forscher des Gebiets per O-Ton zu Wort, um zu erklären, was sie da eigentlich tun.

Strategie eins: Sei so shockin‘ crazy, dass die Leute dich nicht mehr allzu ernst nehmen. Oxford-Neurophysiologe Gero Miesenböck erzählt zur Illustration seiner (bloß der Grundlagenforschung dienenden) Versuche an Taufliegen von einem Doppelgänger. „Doc Geros“ Schädeldecke sei durch Plexiglas ersetzt worden, er könne durch das Glas per Lichtbefehl gesteuert werden. Haha! Miesenböcks Mit-dem-Frankenstein-ins-Haus-fall-Taktik funktioniert und erntet viele Lacher – solange sich kein Zweifel am Übertreibungscharakter dieser Strategie regt.


Schwimmen auf dem Monitor

Was im Zuge eines umfassenden Beitrags aber bisweilen passiert. Zum Beispiel, wenn Strategie zwei lautet: Immer trocken bleiben. So meidet Harvard-Jungprofessor Florian Engert jeden Eindruck von Skurrilität, wenn er über seine Arbeit spricht. Die besteht darin, lebende Zebrafische in einem Gelbett zu fixieren, um sie hernach in einer virtuellen Bildschirmwelt schwimmen zu lassen, in der die Fische nicht nur völlig überzeugt davon sind, dass sie wirklich schwimmen – das denkt ja jeder Computerspieler. Nein, dank Optogenetik lassen sich dabei schon einzelne Muskelgruppen der gelähmten Flossentierchen gezielt steuern. Was Engert, klar, „gar nicht so spannend“ findet, weil interessant wird es doch erst im zentralen Nervensystem. Also im Gehirn. Was das mit den Muskeln für den Vergleich mit dem Computerspieler bedeutet, spielt mithin keine Rolle.

Also, auf ins Säugerhirn und ab ins Dunkel unterhalb der Schädeldecke. Bevor man Mäusen zwecks Illumination ein Glasfaserkabel in den Kopf steckt, muss optogenetisch am offenen Nagerhirn operiert werden, und hier fährt eine Master-Studentin der Ruhr-Universität-Bochum Strategie drei auf: Erkläre es wie ein Ikea-Regal. Das Schwierige ist dann nicht etwa der Vorgang insgesamt, sondern, dass der Kopf der Maus unbedingt gut fixiert werden muss, bevor man mit der Nadel die Genfähre, ein Adenoassoziiertes Virus, in die betreffende Hirnregion injiziert. Gut geschraubt ist halb gewonnen.

Nun ist es nicht mehr weit bis zur letzten Ausfahrt: Für Strategie vier bedarf es eines Heilsversprechens. Diabetes, Alzheimer, Blindheit, es fällt fast allen Forschern etwas ein. Denn niemand kann der Hoffnung widersprechen. Bloß: Ob Wissenschaftler auf diese überkommene Weise noch Vertrauen gewinnen?

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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