Nobelpreise: Der Tod, das Komitee und die Überreste einer Idee

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Man ist inzwischen fast schon dankbar. wenn der Herbst in Stockholm von Unregelmäßigkeiten heimgesucht wird, auch wenn sich gewiss alle gewünscht hätten, dass der Kanadier Ralph Steinman noch erlebt, wie er die höchste aller wissenschaftlichen Auszeichnungen bekommt. Aber der Tod des Immunologen drei Tage vor der Bekanntgabe seiner Würdigung hat auch ein bisschen Zündstoff ins routinierte, um nicht zu sagen: gesetzt langweilige Preisverleihungsprozedere des Nobelpreiskomitees gebracht. Stundenlang hat man gestern darüber beraten, ob Steinman den Preis posthum zuerkannt werden darf, in einem nur scheinbar emanzipierten Akt hat man sich gegen Alfred Nobels Prämisse durchgesetzt, dass der hochdotierte Preis nur an lebende Forscher vergeben werden kann.

Tatsächlich ist das gar nicht der erste und einzige Regelverstoß. Im Grunde werden die meisten Nobelpreise, auch der für den Frieden, schon lange nicht mehr im Sinne des schwedischen Stifters vergeben. Die Statuten sehen zum Beispiel vor, dass die gewürdigten Leistungen nicht viel länger als ein Jahr zurückliegen dürfen, und es findet sich in den Naturwissenschaften kaum ein Fall, der diesem Anspruch gerecht würde.

Zum Teil ergibt sich das aus dem vielzitierten und realen Umstand, dass die Tragweite wissenschaftlicher Erkenntnisse meist nicht so schnell erkennbar ist. Was aber kaum erklärt, warum viele Entdecker samt ihrer Errungenschaften auf den großen Preis warten müssen, bis sich aus Altersgründen aus der Forschung zurückgezogen haben. 50 scheint jedenfalls eine Altersgrenze zu sein, die nur in seltenen Fällen unterschritten wird. Von den diesjährigen Medizinnobelpreisträgern etwa ist Steinman 68-jährig verstorben, Jules Hoffmann gerade 70 geworden und Bruce Beutler feiert als Nesthaken im Dezember seinen 54. Geburtstag.

Auch die Erkenntnisse dieser Forscher hätten sicher viel früher gewürdigt werden können. Zwar zitiert die FAZ heute einen Artikel des Scientific American von 1993, in dem es um das Abwehrsystem des Körpers geht und die von Steinman schon 1973 entdeckten dendritischen Zellen nicht mit einem Wort Erwähnung finden. Aber unter Forschern wurde damals längst offensichtlich, dass es sich bei diesen vor allem in der Haut sitzenden Zellen um einen bedeutenden Mitspieler im Netzwerk des Immunsystems handelt. An den Universitäten jedenfalls wurde diese Erkenntnis Mitte der Neunziger längst gelehrt, es stand damals auch schon in den einschlägigen Lehrbüchern. Völlig unverständlich also, warum es noch zwanzig Jahre brauchte, um dafür einen Preis auszuloben, den der eigentliche Entdecker jetzt nur noch posthum erhält.

Wobei der Tod ja auch manchen Forscher so tragisch früh trifft, dass selbst eine vergleichsweise zeitnahe Würdigung zu spät kommen kann. Wie für Rosalind Franklin, die maßgeblich an der Entdeckung des Erbgutmoleküls DNA beteiligt war, aber bereits mit 38, also vier Jahre vor der Verleihung des Medizinnobelpreises an James Watson und Francis Crick, verstorben war. Immer wieder ist seither beklagt worden, dass die Leistung vieler Wissenschaftler durch das Verbot der posthumen Vergabe und die späteen Entscheidungen keine Anerkennung gefunden hat, und man kann die Sinnhaftigkeit der Nobelpreise - auch wenn viele großer Forscher zu recht geehrt wurden - schon deshalb infrage stellen. Aber es gibt ja auch noch den Friedensnobelpreis.

Während man sich in den Naturwissenschaften zumindest an manche Regeln klammert, ist Nobels Idee des Friedenspreises ("Frieden ist Abrüstung") inzwischen so oft konterkariert worden, dass der Norweger Frederik S. Heffermehl mit seiner fundierten Kritik ein ganzes Buch füllen konnte. Es muss nicht einmal so offensichtlich sein wie in den Fällen Kissinger, Arafat oder Obama - Staatsmännern, die sich aktiv befehlsgebend an Kriegshandlungen beteiligten. Selbst die Verleihung des Preises an den Weltklimarat, das Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC, hat sich nach Skandalen um fehlerhafte Berichte und heftige Interessenkonflikte in den vergangenen Jahren als zweifelhaft erwiesen. Heffermehl geht davon aus, dass heute wie schon in Zeiten des kalten Krieges nur noch einer von drei Friedensnobelpreisen noch im Sinne von Alfred Nobel verliehen wird - ganz offensichtlich in der Verblendung, durch die Preise auch eine Richtung des künftigen politischen Handelns zu beeinflussen.

Entsprechen ließe sich nun der Vorschlag eines norwegischen Politikers aufgreifen, der im Februar dafür plädiert hatte, den Friedensnobelpreis an Wikileaks und dessen Gründer Julian Assange zu vergeben. Ich würde zustimmen, aber sagen: zur Hälfte. Die andere bekommen natürlich Daniel Domscheidt-Berg und sein noch immer im Geburtskanal steckende Openleaks. Das Preisgeld von 10 Millionen [schwedischen Kronen, umgerechnet gut eine Million Euro - danke, ed2murrow] kann Assange vielleicht noch gut für seine anhängigen Verfahren gebrauchen, und eine etwas friedliche Einstellung zwischen den beiden großen Whistleblower-Plattformen könnte doch im Sinne der sogenannten Netzdemokratie (was immer damit gemeint ist) eine zumindest von der Ambition her gut gemeinte Sache sein.

(Foto auf der Startseite: Jonathan Nackstrand / AFP / Getty Images)

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

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Kathrin Zinkant

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