Liebe Freitag-Leser, der Sommer ist vorbei. Er hat noch ein bisschen gezuckt, aber das Sonnenlicht ist längst milde, die Abende dämmern früher, und unübersehbar färbt sich das Laub der Bäume bunt. Bald wird es zu Boden segeln und dann ist auch schon fast Weihnachten.
Es soll nun Menschen geben, die an diesem verlässlich wiederkehrenden Schauspiel viel Freude haben. Für andere sind die Zeichen des Herbstes Vorboten einer wenig erfreulichen Zeit, denn die Dunkelheit macht ihnen zu schaffen und kann zu einer sogenannten Winterdepression, auch seasonal affective disorder (sinnig SAD abgekürzt), führen. Was wiederum andere auf den Plan ruft, die offenkundig helfen wollen. Zum Beispiel die Menschen von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement. Nie gehört? Im Netz ist zu erfahren, dass es sich um eine „University of Applied Sciences“ handelt. „Sciences“ klingt jedenfalls sehr wissenschaftlich, genau so wie „Trophologe“, ein anderes Wort für Ernährungswissenschaftler.
In einer Pressemitteilung der „University“ erklärt so ein Trophologe nun, wie man mit einer „richtigen Ernährung“ der SAD vorbeugen kann, und damit liegt der Mann gleich doppelt im Trend: Dass sich über die tägliche Nahrungsaufnahme nicht nur die Physis modulieren lässt, sondern via Darmgehirn und transmitterwichtige Nährstoffe auch die seelische Befindlichkeit, gehört zu den ganz heißen Forschungsbereichen des Feldes. Dazu kommt die Erkenntnis, dass immer mehr Menschen an psychischen Erkrankungen leiden (siehe Freitag Nr. 38) und man generell im Herbst sehr anfällig ist für den seelischen Niedergang, weil – das ist jetzt der Pressemitteilung zu entnehmen – zu wenig Licht auch zu wenig Serotonin im Gehirn zeitigt, und das trübt die Stimmung.
Tipps vom Trophologen
Müdigkeit und Heißhunger folgen auf dem Fuße, am Ende wird alles nur noch schlimmer, weil das viele Essen dick und unzufrieden macht. Ein Teufelskreis! Zum Glück lässt er sich mit einfachen Lebensmitteln durchbrechen. Mit Nüssen, Eiern, Schweinefleisch, Kakao und Lachs, zum Beispiel, weil die zwar kein Serotonin ins Hirn speisen, aber eine Aminosäure namens Tryptophan enthalten, die der Serotoninbildung dienen kann. Vorausgesetzt, man treibt Sport, der für sich genommen ja schon glücklich macht. Und fertig ist die gute Herbstlaune.
Das eigentlich Interessante an dieser Mitteilung der Deutschen Hochschule aka „University“ ist aber der Umstand, dass ein Trophologe solche Tipps mal so hinschreibt, ohne auf aktuelle, womöglich von ihm selbst produzierte Forschungsergebnisse hinzuweisen. Warum, wenn nicht zur Verkündung wissenschaftlich erarbeiteter Erkenntnisse, sollte eine „University“ sonst E-Mails verschicken? Ein Blick auf die Website der Deutschen (staatlich anerkannten) Hochschule hilft dem Interessierten wenig weiter, denn Forschung ist hier neben den Kategorien Partnerbetriebe, Weiterbildung, Jobbörse und Info zum kostenträchtigen Studiengang gar nicht ausgewiesen.
Immerhin gibt es im „Pressecenter“ einen Link zu "Fachartikeln" – und siehe da: Es wird in Saarbrücken wohl doch wissenschaftlich gearbeitet. Über „Pilates für Jedermann“, „Richtig sitzen bei der Arbeit“ oder auch zum hochseriösen Thema „Schlank im Schlaf“. Wer sich schon immer gefragt hat, was angewandte Wissenschaft eigentlich bedeutet, hier bekommt er seine Antwort. Hinter den Fachartikeln indes verbergen sich einseitige Pressemitteilungen. Wissenschaft? Fehlanzeige. „Emotionen als Schlüssel zum Verkaufserfolg“ ist übrigens auch ein Fachthema an der „University“. Und weil sie der saarländischen Landesregierung unterstellt ist, darf sie sich eben so nennen.
Kommentare 4
Sehr, sehr zutreffend. Ein Artikel, der die eigene schlechte Stimmung schon durch seine Wahrhaftigkeit deutlich anhebt.
Weiter so, und der Wissenschaftsjournalismus beim dF braucht sich keine so großen Sorgen zu machen.
Grüße
Christoph Leusch
dem habe ich in aller Nüchternheit nichts hinzuzufügen.
Grüße
HN
ad Helena Neumann schrieb am 07.10.2011 um 16:58
ad Diagnose: Mensch | 07.10.2011 13:30 | Kathrin Zinkant
Mir fiel, schlaflos noch ein. Derzeit tourt das brilliante weibliche Pendant solch´ neuartiger Wissenschaft vom eigentlichen Nichts durch die ö.-r. und p. Medien: Miriam Meckel.
Ihr nettes Selbstvermarktungsthema, sehr nahe an dem Pilates, ist der mediale Afterburner nach dem Burnout.
Die Protagonisten (m/w) dieser Art Wissenschaften, die sich selbst erschaffen und unterhalten, strecken aber, -so gehört es sich für Doxosophen-, nicht nur uns kleinen Kritikwürmchen beständig die Zunge raus, sondern auch ihrem sehr verehrten Publikum und z.B. den allzeit freundlichen Orchideen an der richtigen Universität, die für so einen Schmonzes, obwohl wir die kleinen Fächer doch schon kulturell brauchen, eingekürzt und hinter die Uni-Bibliothek verbannt werden, um vorn, im Licht, nicht allzu sehr beim Marketing zu stören.
Das Publikum rennt aber trotz alledem zur Signierstunde und lädt sich, z.B. M.M., zum Incentive.
Schönes WE
Christoph Leusch
Hallo Columbus,
haben Sie das Meckel-Buch 'Brief an mein Leben' gelesen?
VG