Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist der interessanten Auffassung, das Netz habe die Probleme im Umgang mit der Schweinegrippe massiv befördert, und zwar, weil es "Nachrichten, Gerüchte, massive Spekulationen und Kritik auf zahlreichen Kanälen" verbreitet habe - namentlich in Blogs, Sozialen Netzwerken und auf (Achtung!): Websites.
Besonders interessant ist diese Aussage vor dem Hintergrund, dass die WHO gerade erst mit einer gründlichen Analyse der Ereignisse rund um die weltweite Schweinegrippe-Epidemie begonnen hat, und gestern auf einem Press Briefing durch den Leiter des International Health Regulations-Komitees mitteilen ließ, man könne noch keine Erklärungen über irgendwelche Gründe dafür abgeben, warum es zu den zahlreichen übertriebenen Reaktionen und heillosen Impfstoffkäufen im Zuge der Pandemie kam. (Verständlicherweise, denn die WHO steht selbst im Zentrum der Kritik, weil sie die Kriterien für die Pandemiewarnstufe sechs kurzfristig gelockert hatte, um den weltweiten Kampf gegen die das Influenzavirus A(H1N1) überhaupt ausrufen zu können).
Die Erklärung, dass das Internet quasi schuld an der Fehlkommunikation zwischen Gesundheitswächtern und Öffentlichkeit hat, ist von der klugen Beschränkung augenscheinlich ausgenommen. Interessant ist der Vorstoß der WHO nun aber auch, weil gerade Blogs und Online-Netzwerke ein zentrales Instrument in der weltweiten Surveillance - Überwachung - von Krankheiten geworden sind. Ohne diese Kanäle wäre weit weniger Information an die WHO geflossen, als zum Beispiel im Zuge der Vogelgrippe-Epidemie aus China, das sich auf offizieller Seite damals auf den Standpunkt stellte, die Welt im Unklaren lassen zu müssen.
Wozu also nun der Schimpf aufs Internet? Allzu offensichtlich stößt man sich an der Kritik als solcher und an der Tatsache, dass sie im Netz weit schwieriger zu steuern ist als in den klassischen Medien, die als Zielscheibe undifferenzierter Schuldzuweisungen so gut wie ausgedient haben. Kritik aber ist nichts schlechtes, soweit man sich seiner Argumente sicher ist.
Ben Goldacre hat es in einem anderen Zusammenhang gerade so ausgedrückt: "Wer gegen seine Kritiker klagt, ist ein Narr".
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17:31 15.04.2010
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Kommentare 8
das internet ist schuld, heißt doch auch nur, dass die menschen schuld sind. trotz aller bots und botnetze.. noch lebt das netz durch uns und nicht von selbst. ;P
mfg
mh
Vielleicht hat die WHO gar nicht so unrecht, allerdings scheint man Ursache und Wirkung zu verwechseln. "Nachrichten, Gerüchte, massive Spekulationen und Kritik auf zahlreichen Kanälen" generieren sich nur bedingt aus Luft. Also muss vor der Verbreitung eine Bereitstellung von Information stattgefunden haben, die missverständlich war.
Und die originäre Information stellt wohl die WHO bereit. Wenn man sich momentane Berichte aus dem Gebiet anschaut, dann stößt man auf Formulierungen, die eben großen Interpretationsspielraum lassen:
"It seems highly likely that even when WHO judges the post-peak and post-pandemic phases to have been reached, Europe will continue to experience low-level transmission and small outbreaks of the pandemic 2009 A(H1N1) influenza. This is the most likely scenario throughout the whole of 2010. However, larger outbreaks cannot be excluded given the lack of information from seroepidemiology."
Das Ganze entstammt einem Bericht des ECDC - European Centre for Desease Control and Prevention tinyurl.com/y24h5f3
Eigentlich ist das ein bekanntes Dilemma der Epidemiologie, nämlich die Einschließung jeder statistisch relevanten Möglichkeit in ein Szenario. Das die Medien nur ein Vehikel für die Verbreitung dieser komplexen Szenarien sind, sollte der WHO bekannt sein, vielleicht ist aber noch nicht angekommen, dass bestimmte Medien sich immer die denkbar schlechteste Möglichkeit eines Szenarios für ihre Meldung aussuchen.
gelesen,
ja gut, aber Informationen, die hier bekritelt werden, weil sie über das Internet gingen, gab es auch in normalen Broadcasts (TV,RF) und Gazetten (inkl. Leserbriefe).
Wer war schuld? Die anderen, Bösen.
nicht verstanden.
zu hoch für mich,
kr
Ich glaube es wird hier etwas arg übertrieben. 2008 stellten Mediaperspektiven und ALM noch fest, dass die Nutzung des Internets zwecks Eigenbildung, sei sie politischer, medizinischer oder naturwissenschaftlicher Art, kaum eine Rolle spielt.
"Maria Gerhards und Walter Klingler haben in der Auswertung der Daten zur Fernsehnutzung 2007, eine durchschnittliche Sehdauer von 208 Minuten und eine Reichweite der Vollprogramme von 72% der Bevölkerung, festgestellt (MP 11/2008:551). Damit ist das Fernsehen nach wie vor, das reichweitenstärkste und wichtigste Medium, was es zu Informationsverbreitung gibt (MP 3/2008:148 und Schwotzer et al ALM 2008:17)."
Das Medium, welches am Zweithäufigsten genutzt wird, sind nach wie vor die Tageszeitungen.
In den Politikwissenschaften wird schon seid längerem darüber diskutiert ob das Internet zu einer tatsächlichen Demokratiesierung führen könnte. Momentan ist eher zu beobachten, dass die Nutzung sich auf Spiel, Spaß und Onlineshopping beschränkt.
Hier wird also wieder die Wirkung eines Mediums künstlich erhöht.
(Siehe auch der Beitrag vom Freitag über die deutsche Blogerszene)
Aus dem Robert-Koch-Institut, welche für die jährliche Grippewarnung zuständig ist, gibt die Projektgruppe 15 von Thorsten Wolf, auch 'Influenza-Wolf' genannt, quasi den Rohling des Impfstoffes zur Vervielfältigung (falls gewünscht) an die Industrie weiter. Das RKI selbst gibt in ihren Berichten nur Empfehlungen, diese sind naturwissenschaftlich vorsichtig formuliert. Wie so häufig werden diese Mitteilungen zwecks Erhöhung des Nachrichtenwertes, überspitzt.
Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang der Impfstoff produziert und gekauft werden soll, wird in Ausschussgremien der Bundesregierung getätigt. Ich würde also den schwarzen Peter eher der Arbeit von Pharmalobbyisten in diesen Gremien zuschreiben, welche ganz sicher ordentlich Panik gemacht haben. So wie damals mit Tamiflu. Die Öffentlichkeitsarbeit (PR) der Denkfabriken der Pharmaindustrie, wird dann ein Übriges getan haben, die völlig überforderten und häufig viel zu kleinen Redaktionen der Tagesmedien zu dieser Form der Berichterstattung zu überreden.
Das dann anschließend Herr Professor Hacker (RKI Chef), ein weltweit anerkannter Infektionsbiologe, von den Medien durch den Dreck gezogen wird um deren eigenes Profit und Gewinnstreben zu verdecken ist dann der Gipfel der Unfähigkeit.
Jörg Hacker verlässt jetzt nach nur zwei Jahren Amtszeit das RKI und wird neuer Präsident der Leopoldiner - Nationale Akademie der Wissenschaften -. Für das finden eine ebenso kompetenten Nachfolger wie ihn, wird wohl einige Zeit ins Land gehen.
Nachdem das RKI wohl nicht weiter zu besudeln ist, hat man sich halt einen neuen Buhmann gesucht und hat das Internet gefunden.
Die Quantität der Informationen ist unüberschaubar hoch und die Qualität von Scheininformationen sehr hoch, da trifft es sich gut, wenn die WHO ihr eigenes Fehlverhalten (Pandemiewarnstufe) ein wenig übertünchen kann.
Wahrscheinlich hatte das Internet einfach zuerst eine Erkältung- worauf dann die ganze Paniklawine erst losbrach...
Rainer, das ist übrigens eine ausgesprochen schöne Grafik in Deinem Portrait: Von wem ist die? Und wenn von Dir: Machst Du auch Abzüge / Drucke davon?
Ich kann zu dieser Diskussion nur beitragen, dass ich an einen präventieven Schutz durch Impfungen sowieso nicht glaube, aber sehr wohl an Gesundheitsgefährdungen durch dieselben. Deshalb ist das alles für mich ein Idiotentheater, das sinnlos oder sogar schädlich Gelder verbraucht und sonst an mir mehr oder weniger vorüberrauscht. Anders wäre es, wenn die (WHO,Regierung,wer auch immer) uns irgendwann einmal mit einer Impfpflicht kämen. Dagegen würde ich bis in die letzte Instanz wegen Körperverletzung klagen und lieber ins Gefängnis gehen, als mich impfen lassen !