Was ist die Liebe in Gedanken...

Diagnose: Hirn Forscher starten einen Lauschangriff aufs menschliche Hirn. Und kriegen interessante Sachen zu hören. Aber was eigentlich genau?

Denken Sie jetzt nichts Falsches. Es geht hier nicht um Liebe. Jedenfalls nicht um Liebe als Gefühl, denn als solches ist die Liebe zu chaotisch, als dass man sie überhaupt akustisch übersetzt haben wollte, sprich: aus dem Gehirn übersetzt und in Töne umgewandelt. Was prinzipiell jetzt aber geht. Also: mit Worten geht, die jemand denkt.

Wobei Liebe natürlich auch nur ein Wort ist. Kam aber leider nicht vor in der Studie, die vor einigen Tagen in der Public Librabry of Science (PLoS) Biology erschien und die, wenn man der zugehörigen Berichterstattung in den Medien folgt, scheinbar die Ära einer furchteinflößenden Gedankenpolizei eingeläutet hat. „Forscher machen Gedanken hörbar“ (Spiegel Online), „Lauschangriff aufs Gehirn“ (Deutschlandfunk), „Wenn Forscher Gedanken lesen können“ (Hamburger Abendblatt). Ja, wenn – dann wäre das wohl eine krasse Sache. Auf den ersten Blick jedenfalls.

Die absehbare Extrapolation ins Orwellsche 1984 sollte aber zunächst einmal nicht von der Frage ablenken, was für eine klägliche Vorstellung des Begriffs „Gedanken“ hier propagiert wird. Gehört – nicht gelesen – haben die Forscher nämlich nur bestimmte, einzelne Worte, die den Testpersonen zuvor mehrfach vorgesprochen wurden. Voraussetzung für den beeindruckenden Fortschritt im Neurocomputing waren zudem Menschen mit Elektroden im Kopf, und zwar Elektroden unter der Schädeldecke, direkt auf dem Gehirn. Derart ausgestattete Leute stehen nicht an jeder Straßenecke rum, zumal es sich verbietet, für die Grundlagenforschung extra welche zu präparieren. Also griff man auf Epilepsie-Patienten zurück, die solche Detektoren zu Therapiezwecken bereits installiert bekommen hatten und gelangweilt in der Klinik herumsaßen. Lust auf ’ne Studie? Au ja.

Trotzdem ein Dilemma

Und was heißt „gehört“: Der Sprachcomputer, der die Worte erst vorsprach, dann aus den Hirnströmen das zuge­höre Signalmuster abstrahierte und es dann beim Ganz-feste-an-das-Wort-denken wieder zu rekonstruieren versuchte, machte zum Beispeil aus „Structure“ – gesprochen „schtraktscha“ – im optimalen Fall eine Art „schrago“, was zu allererst mal Auskunft über die Leistungsgrenzen moderner Computer erteilt. Das menschliche Gehirn ist da irgendwie ein ganzes Stück weiter, es schafft die Rekonstruktion von Gehörtem nach wenigen Lebensmonaten meist einwandfrei, und hernach ge­lingt es ihm in der Regel sogar, komplexere Aufgaben zu lösen.

Damit aber noch einmal zurück zu Orwells Gedankenpolizei. Die Gegenwart beiseite genommen ist natürlich vieles denkbar, auch die hypothetische de-novo-Konstruktion von Angst­szenarien wie jenem des Gedankenlesens. Falls der Mensch nun tatsächlich nur in aneinandergereihten Worten dächte, und sich die Neuroinformatik wirklich eines Tages einer verwertbaren extra­cranialen Rekonstruktion ganzer Wortfolgen annähert, auch ohne aufwendige Applikation von Metallplatten im Kopf, werden die Interessenten einer solchen Technik aber trotzdem vor einem ­Dilemma stehen. Denn akustisch sauber zu hören und mithin zu wissen, was jemand denkt, bedeutet nicht, dass man es auch inhaltlich verstehen wird.

Was wiederum Auskunft über das moderne Menschenhirn erteilt: Fehl­interpretationen gehören zu seinen fundamentalen Funktionsstörungen, es denkt eben ständig, und hört nie, was ist. Sondern, was es zu hören argwöhnt – oder zu hören wünscht. Das Wort Liebe ist da gar kein schlechtes Beispiel. Ob gesagt oder gedacht: Auf eine übereinstimmende Deutung lässt es sich bisweilen nur mithilfe aufwendiger ­Dialoge runterbrechen. Wenn überhaupt. Und da hilft dann auch kein Rechner mehr.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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