Wie Humboldt auf den Hack-Drops kam

Diagnose Mensch Neues aus der Elitenschmiede: Im Rahmen eines Acht-Millionen Projekts haben Studenten ein Fleischkrokettenbonbon entwickelt
Wie Humboldt auf den Hack-Drops kam

Illustration: Otto

Es ist an dieser Stelle schon sehr häufig Kritisches über den militanten Vegetarismus gesagt worden, und das auch zu recht. Aber es kommt der Moment, an dem man zugeben muss: Ja. Es geht eigentlich gar nicht mehr, diese Sache mit dem Fleisch, auch wenn das nicht am Fleisch als solchem liegt, nicht direkt an der Medizin und auch nicht an grundsätzlichen tierethischen Überlegungen, sondern vielmehr an den unästhetischen Darreichungsformen, in denen Fleisch uns ausgerechnet in Zeiten der Ernährungsbewusstwerdung auf den Teller geschoben wird. Also: wenn überhaupt noch auf einen Teller.

Es ist an dieser Stelle auch schon überdurchschnittlich oft die „Ernährungsuniversität“ Hohenheim referenziert worden, und jetzt würde man sich wünschen, dass auch hier der Moment käme, in dem man einlenken und ausnahmsweise mal etwas Gutes vom Stern am deutschen Hochschulhimmel zu berichten wüsste, aber dem ist leider nicht so, denn ausgerechnet vier Studenten der besagten Kaderschmiede haben sich „Meat Me!“ ausgedacht.

Nein, der unfreiwillig komische Name bezieht sich nicht auf ein Unterwürfigkeitsrollenspiel. Es handelt sich um sogenannte „Fleischbällchen“, also um in Teig gehüllte, frittierte und zudem noch mit verschiedenen Käse- oder Salsa-Füllungen aufgepeppte Hack-Drops, die in einem to-go-Kaffeebecher verpackt vier Monate (!) haltbar sind und daher überall dort mit hin­genommen werden können, wo das Versorgungsnetz der industriell ge­fertigten Fertignahrung noch Lücken aufweist. Wobei einem da eigentlich nur noch öffentliche Toiletten einfallen, aber tatsächlich sieht man an der Uni Hohenheim großen Bedarf für so einen Fleisch-Snack, den man direkt „nach dem Joggen“ aus der Tasche ziehen und zur stets notwendigen Sättigung ein­setzen kann. Im Kampf gegen das subjektive Gefühl eines leeren Magens darf man in Zeiten schweren Mangels keine falsche Scham haben.

innovative Forschung

Da es an Vorbildern für derart verfremdete „Nahrung“ kaum mangelt und die Krone dieser Schöpfungen mit dem tatsächlich nicht als Schnitzel zu bezeichnenden Pressfleischtoast längst existiert, stellen die Fleischkrokettenbonbons aus Hohenheim, die jetzt auf die Vermarktung durch einen geneigten Lebensmittelkonzern warten, sicher kein neues Phänomen dar. Dafür lehrt „Meat Me!“, auf welche staatlich finanzierten Pfade kapitalorientierter Volksverdummung heute schon jüngste Studenten geführt werden: „Humboldt reloaded“ heißt das vom „Qualitätspakt Lehre des Bundes“ finanzierte Acht- Millionen-Projekt, in dessen Rahmen die Hack-Drops entwickelt wurden, und obwohl man meinen könnte, dass Humboldt eher den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Übergewicht, Fehlernährung durch Fertignahrung, Ernährungspsychologie zugeneigt gewesen wäre, sieht so eben die heutige Prämisse von innovativer Forschung aus: Wenn die Industrie es gebrauchen kann, ist es gute Forschung.

Aber man darf auch nicht immer nur auf der Uni Hohenheim rumhacken. Sieger vor dem zweitplatzierten „Meat Me!“ wurde auf der diesjährigen Trophelia, dem Studentenwettbewerb des Forschungskreises der Ernährungsindustrie (FEI), nämlich ein Team der TU Berlin. Die zwei Studierenden der Lebensmitteltechnologie haben „Cruemel“ entwickelt, ein Trockenobst- Streusel-Backdessert nach angeblich britischer Tradition, offenbar also die Astronautenversion eines Crumble, die nur noch in den Ofen muss. So lernt man backen. Mehr noch: Die Wegwerfschale, in der man „Cruemel“ zubereitet, ist aus Betelnusspalmenblättern, die im Regenwald angebaut werden. Wer braucht da noch wiederverwendbare Backformen?

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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