Deutsche Medien in der Krise

Glaubwürdigkeit In Zeiten von Fake News, Post-Truth-Politik und Ukraine-Krieg ist Qualität und Vertrauen existenziell. Doch bisher geben weder private noch öffentliche Medien Grund für Optimismus.

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Julian Reichelt, einst Chef der Bild-Zeitung bis er diese im Oktober letzten Jahres wegen Machtmissbrauchs verlassen musste, ist zurück. Anfang April gab Reichelt bekannt, für sein neues Medienunternehmen namens Rome Medien Mitarbeiter zu suchen. Auch wenn nocht nicht klar ist, wann Rome Medien tatsächlich online gehen wird, so steht vornherein schon fest, dass Deutschlands „erste digitale Talk- und Meinungsmarke“ viel Provokation mit sich bringen wird.

In der Tat wird Rome Medien, von Reichelt als die „unwokeste“ Redaktion des Landes bezeichnet, genauso kontrovers werden wie ihr Gründer selbst. Als Bild-Chef wurde Reichelt sexuelle Belästigung von weiblichen Mitarbeitern vorgeworfen, woraufhin er selbst bei Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner in Ungnade fiel und schließlich entlassen wurde. Seitdem ist Reichelt vermehrt durch gezielte Provokationen besonders gegen die öffentlich-rechtlichen Sender aufgefallen, so zum Beispiel im März, als der die "Sendung mit der Maus" als „Zwangsmaus“ in Folge einer Sendung über Transgeschlechtlichkeit bezeichnete und mit Fälschungsvorwürfen nachtrat.

Eine Krise der Glaubwürdigkeit

Dies mag die für ihre Monotonie und Gleichschaltung berüchtigte deutsche Medienlandschaft zumindest etwas aufrütteln, doch inwiefern Rome Medien dabei helfen wird, die Glaubwürdigkeitskrise deutscher Medien – in Druck und Rundfunk – zu verringern, bleibt allzu offen. Seit Jahren stellen Forscher eine steigende Wut gegen etablierte Medien und einen Mangel an Glaubwürdigkeit des Journalismus fest.

Diese Krise brach mit dem Relotius-Skandal beim altehrwürdigen Spiegel alle Bahnen, auch die FAZ oder Institutionen wie die Tageschau erleben kämpfen mit wachsender Entfremdung in der Bevölkerung. Der Grund? Ideologisierter Haltungsjournalismus, Belehrung, Langeweile. Laut einer Studie des Instituts für Journalistik an der TU Dortmund und des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom März dieses Jahres waren 41 Prozent der Befragten der Meinung, dass Journalismus in den vergangenen Jahren schlechter geworden sei.

Natürlich liegen die Probleme nicht nur bei der Presse oder dem ÖRR – das Privatfernsehen tut sein Übriges, zur mangelnden Glaubwürdigkeit beizutragen, vor allem, was governance Entscheidungen betrifft. Besonders deutlich wird dies zurzeit bei ProSiebenSat.1, Deutschlands größtem TV-Unternehmen.

Offene Fragen

Der Medienriese steht vor Veränderungen in seinem Aufsichtsrat, dem mächtigsten Entscheidungsgremium der gesamten Gruppe. Kurioserweise wurde mit Bert Habets – einem ehemaligen RTL-Manager, dessen merkwürdiger Abgang bei der luxemburgischen Gruppe einige Fragen offen ließ – eine fragwürdige Nominierung bei der am 5. Mai anstehenden Hauptversammlung vorgenommen.

Habets, einst RTL-CEO, verließ die Gruppe im April 2019 unter mysteriösen Umständen. Auf der Hauptversammlung des Medienkonzerns im selben Monat gab der Vorstand bekannt, dass die Entscheidung der Hauptversammlung, Habets „keine Entlastung zu erteilen“ auf bestimmten Angelegenheiten, beruhten, „die noch geprüft werden.“ Dies trug wenig zur Klärung der Situation bei.

Trotz der spärlichen Informationen von seitens RTL sind einige – spekulative – Hinweise auf den Grund für Habets' Entlassung an die Presse gelangt. So wurde sein Abgang in den Medien mit dem Skandal um Stylehaul in Verbindung gebracht wurde, einer Mode- und Kosmetik-Website, die seit 2013 teilweise zu RTL gehörte und nun vollständig im Besitz der Gruppe ist. Trotz Verlusten in Millionenhöhe – durch Veruntreuung eines Managers – soll Habets die Ermittlungen zu dem massiven Betrug nicht energisch genug vorangetrieben haben.

Neustart in Sicht?

Somit stellt sich die Situation wenig vertrauenswürdig dar, was in Zeiten von Fake News, Post-Truth-Politik, Trutherismus und Ukraine-Krieg allerdings mehr als nötig wäre. Es ist eindeutig, dass Deutschlands Medienlandschaft eine Reformation benötigt, in der Presse sowie ÖRR wieder Vertrauen genießen, und zwar durch weniger politische Entscheidungen – allzu oft der Fall in den ÖRR – oder fragliche Vorstandswahlen wie bei ProSieben. Ansonsten wird „Alternativmedien“ wie Rome Medien & Co. nur unnötig der Weg geebnet.

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