Gender-Sprech spaltet

Gender Mainstreaming Linke Bewegungen wurden immer wieder durch ideologische Auseinandersetzungen zerrissen. Das Gender Mainstreaming hat die unsinnigste Separation herbeigeführt.

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Wer so etwas schreibt, kann sich Mühe geben, wie er will, es werden sich keine Leser_innen finden.

Dies soll kein weiterer Appell gegen die Auswüchse des Gender Mainstreamings sein; dazu habe ich mich an anderer Stelle ausführlich geäußert. Hier soll nur an einem Beispiel gezeigt werden, wie die ohnehin schwache und fragile linke Bewegung ihre Effizienz unnötigerweise selbst untergräbt.

Dieser Tage stieß ich auf das Buch „Die Misere hat System: Kapitalismus“ von den Gruppen gegen Kapital und Nation, herausgegeben von Ralph Schmidt.[i] Das Vorwort versprach interessante Ansätze. Nach dem ersten Kapitel beschloss ich dann, nicht weiterzulesen. Nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der unglaublich nervenden Genderismen. In dem 200 Seiten starken Buch werden über 900-mal die Formen _innen /_ihren / er_sie / seine_ihre benutzt. Neben dem oben abgebildeten Zitat hier noch eine halbe Seite als Kostprobe.

Erstens soll der_die Kund_in abhängig vom Warenangebot des_der Verkäufer_in sein, damit man ihm etwas abverlangen kann. Dann versucht der_die Kund_in, diese Abhängigkeit umzudrehen. Er_Sie weicht auf Alternativprodukte aus oder verweist gleich auf das Angebot der Konkurrenz. Der Gleichgültigkeit des_der Produzent_in gegen das Bedürfnis der potentiellen Kund_innen begegnen diese mit der Gleichgültigkeit gegenüber den Anstrengungen des_der Produzent_in. Ob sich die produzierten Sachen verkaufen lassen, ob der Zweck des Geldverdienens aufgeht, ist daher überhaupt keine ausgemachte Sache. Findet die Chemieindustrie einen Ersatzstoff für Vorprodukte von Zuliefer_innen, ist sie auf diese nicht mehr angewiesen. Zweitens stellt sich die Frage, ob die potentiellen Kund_innen genug Geld zahlen können. Hier zeigt sich, dass alle Warenproduzent_innen und Anbieter_innen von Dienstleistungen noch in einer ganz anderen Art voneinander abhängig sind: Will jemand Geld von einem_r Kund_in haben, so muss diese_r Kund_in zuvor das Geld verdient haben. Der Bäckerbetrieb ist darauf angewiesen, dass seine Kund_innen selber Geld verdient haben, etwa durch Tischlerarbeit, Kneipenbetrieb, Call-Center-Lohnarbeit oder als unternehmerische_r Call-Center-Betreiber_in. Jede_r versucht möglichst viel zu verdienen und möglichst wenig Geld herzugeben. Jede_r macht damit Konkurrent_innen das Geldverdienen schwer. Aber alle sind zugleich darauf angewiesen, dass die Kund_innen selber erfolgreich mit den widrigen Umständen der marktwirtschaftlichen Arbeitsteilung umgegangen sind.

Zugegebenermaßen ein Extrembeispiel, aber will jemand ernsthaft behaupten, dass man so etwas lesen kann? Pardon, dass mensch so etwas lesen kann. Denn auch das Pronomen man steht ja auf dem Index. 188-mal wird mensch im Sinne von man in dem Buch verwendet. (Immerhin wurde die Ersetzung nicht automatisch vorgenommen, denn genauso oft findet sich im Text das Wort man. Warum es an einer Stelle ersetzt wurde und an anderer nicht, blieb mir verschlossen.) Dass dieses Pronomen angeblich eine männliche Assoziation erzeugt, halte ich für den größten Unsinn. »Das unflektierbare Pronomen man dient der unspezifischen, generischen (geschlechtsneutralen) pronominalen Bezugnahme auf Personen.«[ii] Eigentlich bedarf es dieser Definition gar nicht, wird es doch in der deutschen Sprache mit der allergrößten Selbstverständlichkeit als Neutrum benutzt.

Schade um die Arbeit, muss ich sagen, zumal die Autoren offensiv daran gingen, mit überkommenen Ideolgieansätzen zu brechen. Doch was nützt das, wenn stattdessen einer neuen Ideologie Raum gegeben wird: dem Gender-Mainstreaming.
Anerkennen muss man allerdings die Konsequenz, mit der die Autoren auch Kapitalist_innen benennen. Damit heben sie sich immerhin von den meisten Gender-Aktivisten ab, für die der Idiot und der Verbrecher erstaunlicherweise immer männlich bleiben. Besonders Gregor Gysi, der seine Rhetorik regelmäßig mit Genderismen verhunzt, macht stets feine Unterschiede. Er benennt sehr gern die Arbeitnehmerinnen, Rentnerinnen, Hartz IV-Empfängerinnen, Leiharbeiterinnen. Nie hört man ihn jedoch von Bankerinnen, Millionärinnen, Spekulantinnen oder Lobbyistinnen reden - da bleibt er stets im Maskulinum.

Warum soll nicht jeder schreiben dürfen, wie er will? - Keine Einwände, Euer Ehren, ich finde es nur schade. Solange man sich innerhalb von Debattierclubs bewegt, okay. Wer aber den Anspruch erhebt, eine Bewegung zu initiieren und sich dabei noch auf Marx beruft, sollte zumindest dessen These berücksichtigen, dass es darauf ankommt, die Welt zu verändern, nicht nur zu interpretieren. Veränderung findet aber nicht in elitären Zirkeln statt, sondern im Volk, und das erreiche ich nur mit der Sprache des Volkes. Das mächtigste Element, das Menschen verbinden kann, ist die Sprache, und es ist die Sprache, mit der man den dicksten Keil zwischen Menschen treiben kann. Die weit überwiegende Mehrheit lehnt die Gender-Schreibweise im Alltag entschieden ab. Man muss sich also entscheiden, ob die Wahrung eines ideologischen Prinzips wichtiger ist als die Chance, die übergroße Mehrheit der Menschen zu erreichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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