Wo sind die Politrocker?

Bürgerfest Dresden Politische Botschaften gehörten zum festen Repertoire des frühen Rock'n' Roll. Die Popmusik von heute hat sich davon weitgehend verabschiedet.

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Beim gestrigen Bürgerfest für Weltoffenheit und Toleranz in Dresden traten zahlreiche prominente Künstler auf, um ein Zeichen zu setzen. Soweit so gut.

Warum aber bedarf es immer solcher Events, um sich als Künstler politisch zu positionieren? Wo bleibt das alltägliche Engagement, wo der Wunsch, Missverhältnisse in der Gesellschaft künstlerisch zu reflektieren? In den Texten geht es doch nur noch um Herz-Schmerz, um Lust und Frust. Wenn es hoch kommt auch mal um Sinnsuche, aber da wird oft bloß mit kleinen Fehlern und Schwächen kokettiert, und die Sinnsuche gerät zur Maskerade, hinter der sich grenzenlose Selbstverliebtheit versteckt. – Okay, ich rede jetzt nur von den Promis, also von dem, was man tagtäglich im Radio hört. Aber die sind es doch, die Gehör finden würden, deren Meinung etwas bedeuten könnte.

»Wenn du mit deinen Texten etwas sagst und eine Situation nennst, die zwar alle kennen, die aber jeder vereinzelt in sich hineingefressen hat, dann werden alle hören, dass sie nicht die einzigen sind, die damit noch nicht fertig geworden sind, und du kannst ihnen eine Möglichkeit zur Veränderung zeigen.«[i]

Das stammt aus einem Statement der Polit-Rocker „Ton, Steine, Scherben“. Die politischen siebziger Jahre haben gezeigt, wie es geht, aber auch wie man es nicht machen darf. Und weil damals vieles so gemacht wurde, wie man es nicht machen darf, geriet dieses Genre unter die Räder, und die Musiker hielten sich immer bedeckter mit politischen Aussagen. Das sollte künftig Privatangelegenheit bleiben.

Einige aber hatten erkannt, dass es nicht wichtig, ja sogar kontraproduktiv ist, mit Parolen und anderen plakativen Elementen zu arbeiten. Nenas „99 Luftballons“ war deshalb so erfolgreich, weil da jemand in der Sprache des Normalos sang und seine ungekünstelte Sicht auf die Welt der großen Entscheidungen – naiv und dadurch wahrhaftig – vor dem Zuhörer ausbreitete. Kein Schwerter-zu-Pflugscharen-Song hat so viel pazifistisches Bewusstsein geweckt wie dieses Lied.

Man muss nicht mit erhobener Faust Kampflieder anstimmen, um politische Botschaften zu transportieren, wie Westernhagens „Freiheit“ beweist. »Der Mensch ist leider nicht naiv. Der Mensch ist leider primitiv«, hat mit Sicherheit viele spannende Gesprächsrunden beschäftigt.

Dass Musik sogar eine konkrete historische Situation prägen kann, bewies Udo Lindenberg mit dem „Sonderzug nach Pankow“. Wer diese Zeit nicht bewusst in der DDR miterlebt hat, kann sich nicht vorstellen, was diese Botschaft den Menschen bedeutete. Da kam jemand und redete den mächtigsten Mann des Landes ohne jeden Respekt an. Gewiss, er kam von außen, hatte keine Repressalien zu befürchten, aber er verzichtete auf die ganze diplomatische Schöntuerei und offenbarte die Hilf- und Ideenlosigkeit der alten Garde im Politbüro, denen nichts Besseres einfiel, als den Titel zu verbieten. Das war in der DDR kein Spaß; immerhin wurden zwei DJs aus Guben zu fünf Monaten Haft verurteilt, weil sie das Verbot missachtet hatten.[ii] Andere umgingen es, indem sie das Original „Chattanooga Choo Choo“ oder die Coverversion „Zug nach Kötzschenbroda“ abspielten; jeder wusste ja, was gemeint war. Sehr schnell wurde auch das verboten, doch es war zu spät. Dieses Lied hatte, wie Brecht es forderte, die politischen Verbrecher der Lächerlichkeit preisgegeben. Ich behaupte, dass es damit mehr zu den Umwälzungen in der DDR beigetragen hat als die meisten Aktionen von Politikern und Bürgerrechtlern. Es gab den Menschen Selbstvertrauen und hoffnungsvolle Zweifel an der Allmacht der Oberen.

Ich würde mir wünschen, dass populäre Kunst wieder stärker die Sorgen und Nöte des populus aufgreift, vielleicht lässt sich dann der eine oder andere Mitbürger nicht mehr von PEGIDA und anderen Rattenfängern vereinnahmen. Noch einmal „Ton, Steine, Scherben“:

»Musik kann also zur Waffe werden, wenn du mit ihr die Ursachen deiner Aggressionen erkennst. Wir wollen, dass du deine Wut nicht verinnerlichst, dass du dir darüber klar wirst, woher deine Unzufriedenheit und deine Verzweiflung kommen.«

[i] „Musik ist eine Waffe“ Quelle: http://www.sterneck.net/musik/ton-steine-scherben/

[ii] „Sonderzug nach Pankow“ http://www.songlexikon.de/songs/sonderzug

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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