Die Hoffnung ist blond

Integration Völkerwanderungen gibt es seit Menschengedenken. Die Flucht aus fragwürdigen Zuständen oder getrieben vom Willen anders zu leben. Ein Porträt, stellvertretend.

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Ein leuchtend gelb gestrichenes Eckgeschäft in Berlin. Trend-orientiertes klassisches Interieur, flippige Bademode in allen Farben und Designs.

Eine junge Frau berät kompetent und freundlich Kunden in Deutsch und Englisch. Die krausen langen Haare trägt sie hochgesteckt. Ihre schlanke Figur steckt trotz der frühsommerlichen Temperaturen in langen Jeans, Rollkragenpullover und Weste.

Juliana ist Brasilianerin, Afrobrasilianerin. Mit ihrem deutschen Ehemann verkauft sie seit zwei Jahren brasilianische Marken-Badeanzüge.

In Miami lernt sie ihren deutschen Ehemann kennen. Liebe auf den ersten Blick. Mit ihm kommt sie nach Berlin, in ein kaltes winterliches Deutschland.In den warmen Breitengraden spielt sich das Leben vorwiegend außerhalb der eigenen vier Wände ab.Sie, die gewohnt ist, finanziell und unabhängig, ihr eigenes Leben zu gestalten sitzt isoliert in der Drei-Zimmer-Wohnung im vierten Stock eines typischen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebauten, Mietshauses. Ihr Mann ist beschäftigt. Die örtlichen Gebräuche und Vorstellungen, das Ehe- und Familienleben sind ihr fremd. Schnell schwanger geworden, freut sie sich über ihr gesundes Baby.

Die deutsche Sprache lernt Juliana schnell. Oberflächlich läuft der Eingewöhnungs-und Anpassungsprozess gut. Innerlich ist sie zerrissen. Kontakt mit anderen Brasilianern stellt sie nicht her. Zu groß ist ihre Ambivalenz ihrem Heimatland gegenüber. Die Scham über ihre Herkunft.

Wer in Brasilien weiße Haut hat und dazu noch blond ist, gehört zur führenden Elite des Landes, zur Oberschicht. 24-mal so groß wie Deutschland, ist Brasilien ein Land der Gegensätze,und von krassen sozialen Unterschiede gekennzeichnet. Großgrundbesitzer neben Landlosen, Nobelviertel in der Nähe von Favelas, den Elendsvierteln.

Afrobrasilianer, Indios und andere Bevölkerungsschichten leben am Existenzminimum. Von einem winzigen Lohn müssen sie eine Familie ernähren und für einfachsten Wohnraum enorme Miete bezahlen. Der Lebensstandard ist gleich Null und die Arbeitsbedingungen und Umstände sind miserabel. Krankheiten sind hier fatal, da die medizinische Versorgung privat bezahlt werden muss. Die Diskriminierung in Brasilien ist enorm.

Juliana hat diese Gegensätze am eigenen Leib erfahren. Geboren wurde sie als uneheliches Kind einer Hausangestellten im März 1977.

Die Mutter, eine Analphabetin arbeitet, kochend und putzend, schon lange in einem gutbürgerlichen Haushalt. Sie kann das Baby behalten, mehr noch Juliana wächst mit der Tochter des Hauses auf. Das Foto zeigt eine kleine Prinzessin. Sie wohnt im Haus, die Mutter in der Garage.

Der Bruch kommt in Julianas siebtem Lebensjahr. Die Mutter geht eine Beziehung mit dem späteren Vater ihrer Halbschwester ein. Juliana ist hin-und hergerissen zwischen dem Familienleben in der Garage und ihrem Leben im Haus. Sie entscheidet sich für das Leben mit ihrer Familie, wenngleich sie nie ein Verhältnis zu ihrem, sich als gewalttätig entpuppenden, Stiefvater entwickelt.

Die Mutter arbeitet hart um Juliana den Besuch einer Privatschule zu ermöglichen. Sie liebt ihre Mutter und schämt sich gleichzeitig für sie. Erfolgreich schließt Juliana die höhere Schulbildung ab und beginnt ein Studium. Schon als Heranwachsende arbeitet sie nebenbei um für ihre Mutter das Haus zu bauen, in dem die Familie noch immer lebt.

Um ihren Vater macht die Mutter bis heute ein Geheimnis. Weshalb ist Julianas Teint im Gegensatz zu dem ihrer Stiefschwester relativ hell? Es gibt keine Anhaltspunkte, keine Möglichkeiten der Nachforschung. In Brasilien ist es üblich, dass Kinder den Namen beider Elternteile tragen. Juliana kann nur einen Nachnamen vorweisen. Sie leidet unter dem fehlenden Vater, sieht es als weiteren Makel ihrer Herkunftsgeschichte.

Mit knapp 20 hält sie das ersehnte Visa für die Einreise in die USA in den Händen. Miami verkörpert die bessere Welt. Hoffnung, Wohlstand, Chancen, Markenklamotten, Partys. Eingebettet in eine Schaar bildhübscher Mädchen, Schicksalsgenossinen. Sie alle haben den Absprung aus dem alten Leben geschafft und müssen sich über das neue noch keine Gedanken machen. Die Zwischenphase von Hinter-sich-lassen und Neubeginn. Touristen-Visa und Arbeit in den zahlreichen Shops von Miami. Stets am Rande der Legalität oder schon illegal. Aber immer noch besser als das Leben in Brasilien. Neben Spaß auch fortwährend die Suche, nach dem ‚richtigen‘ Mann. Einem, mit dem auch die notwendige Aufenthaltsgenehmigung garantiert ist.

Julianas Bild von Familie ist traditionell und stark. Wirtschaftliche Unabhängigkeit hat ihr die Mutter vorgelebt. Wie die schwarzen Frauen, verlassen sich Latino-Frauen nicht auf den Mann als Versorger. Kinder und Familienzusammenhalt sind Frauensache, ausschließlich.

Die klassische Hausfrauenrolle ist undenkbar für Juliana. Zudem sind ihre Vorstellungen Oberschicht orientiert. Sie hält die Zügel in der Hand, arbeitet für ihren Broterwerb und überlässt Kochen, Kinderversorgung, Putzen im Haushalt anderen. Mit einer Selbstverständlichkeit, die deutschen Frauen fremd ist beansprucht sie die Dienstleistungen ihrer Geschlechtsgenossinnen. Und sei ihr eigenes Budget noch so klein.

Die Geschäftsidee sich mit dem Verkauf der brasilianischen Bademode im Internet und im Laden selbstständig zu machen stammt von Julianas Ehemann. Noch weiß sie nicht, ob es auch ihre Erfüllung ist. Mit dem ihr eigenen Pflichtbewusstsein füllt sie ihre Teilhaberschaft aus.

Sie hat Freundschaften geknüpft, auch zu anderen Brasilianern. Juliana ist angekommen in Deutschland.

Ein kleiner ungefähr fünfjähriger blonder Junge mit strahlend blauen Augen kommt in den Laden gerannt. Juliana schaut auf. Pedro, ihr Sohn. Mit Pedro hat sich ein Wunschtraum, ihr ganz persönlicher Lebenstraum erfüllt. Hellhäutig und blond, ihr eigenes Wunder.

Mit ihrem Sohn spricht Juliana portugiesisch. Gerade waren sie mehrere Wochen in Basilien. Auch dort halten Passanten sie oft für das Kindermädchen ihres Sohnes. Auf dem Spielplatz, damals im Sommer, kurz nach der Geburt ihres Sohnes war sie noch zusammengezuckt. Viel zu heftig hat sie reagiert, als sie dort zum ersten Mal als Au-pair Mädchen ihres Sohnes angesprochen wird. Aus einem diffusen Schuldbewusstsein heraus ihre Sachen gepackt hat und weinend nach Hause gegangen war. Dennoch, sie beginnt sich mit der eigenen Vergangenheit zu versöhnen.

Im Herbst wird Pedro die portugiesische Europaschule besuchen, die Eintrittskarte für eine zweisprachige interkulturelle Bildung. In ihr sieht Juliana die Verbindung zu Vergangenem und eine Kontinuität, ein Halt, ein Glauben an neue Möglichkeiten in der Brüchigkeit der Zeit.

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kmv

kmvotteler | Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn. (Ottilie, Die Wahlverwandtschaften)

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