Donald Trump hat verloren. Das ist ein Riesensieg für die Demokraten und für das bunte Amerika, doch wird der gewählte Präsident Joe Biden viele Hoffnungen nicht erfüllen können. Die Machtverhältnisse sind nicht so. Das fortschrittliche Amerika ringt mit den Grenzen seines Einflusses, das bürgerliche mit dem selbstverliebten Image vom Musterland für Freiheit und Demokratie. Mehr als 71 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger (48 Prozent bzw. acht Millionen mehr als 2016) – darunter Nachbarn, Kollegen, Angehörige – haben den zur Autokratie strebenden Mann mit rassistischen und frauenverachtenden Sprüchen gewählt. Nach beinahe vier Jahren Trump wussten sie, was sie tun.
„Unser langer nationaler Albtraum ist vorüber“, sagte der republikanische Präsident Gerald Ford 1974 nach dem erzwungenen Rücktritt seines Vorgängers Richard Nixon. 2020 ging ein noch wilderer Albtraum zu Ende. Donald Trump arbeitet nun an einem Mythos mit sich selbst in der Hauptrolle des Opfers von Manipulation und Wahlbetrug. Er kämpfe bis zum bitteren Ende. Nixon ist seinerzeit freiwillig in den Hubschrauber gestiegen. Ford hat ihn begnadigt, und irgendwann danach wurde der Gefallene in den Augen vieler in seiner republikanischen Partei zum erfahrenen und weisen Staatsmann.
Erst vier Tage nach dem Wahltag zeichnete sich ab, dass Joe Biden nach einem Sieg im Staat Pennsylvania über genug Wahlleute im Wahlkollegium verfügen würde, das den Präsidenten wählt. Die Fernsehsender waren vorsichtig mit Prognosen und Ansagen. In der Wahlnacht schien Trumps Sieg zeitweilig in greifbarer Nähe. Bernie Sanders, Bidens Rivale bei den Vorwahlen, brachte den herausragenden Aspekt des Ergebnisses auf den Punkt. Es sei letztlich darum gegangen, „ob wir eine Nation bleiben“, die an Verfassung, Rechtsstaat und Demokratie glaubt. „Und Gott sei Dank, Demokratie hat gewonnen.“ Eine deutliche nationale Zurückweisung Trumps war die Wahl mit ihrer Rekordbeteiligung von mehr als 66 Prozent (2016: 60 Prozent) freilich nicht. Kinder von Migranten in Käfigen an der Grenze, Tausende von Lügen sowie die Hetze gegen Schwarze und Migranten störten viele Amerikaner nicht weiter, als sie für Trump stimmten. Das Autokratische kam vielen Leuten gerade recht.
Rückschläge in Texas, Iowa
Für den US-Kongress sind die Wahlen nicht so ausgegangen, wie das Umfragen suggeriert und Demokraten erwartet hatten. In Texas schien besonders wegen der wachsenden Zahl hispanischer Wähler erstmals in Jahrzehnten ein demokratischer Sieg möglich. Es folgte die totale Ernüchterung mit einem republikanischen Triumph auf ganzer Linie. In Iowa gaben Erhebungen zuvor den Demokraten gute Chancen. Trump gewann mit acht Prozent Vorsprung. Auch in Florida lag er klar vorn, trotz aller Erwartungen, die auf ein knappes Resultat deuteten. Die zuvor als „verwundbar“ gehandelten republikanischen Senatorinnen Joni Ernst in Iowa und Susan Collins in Maine steuerten genauso den Hafen der Wiederwahl an wie Senator Lindsey Graham in South Carolina. Graham verkündete gleich, er spende Trump eine halbe Million Dollar zum Anfechten des Wahlergebnisses.
Joe Biden brachte es auf gut 76 Millionen Wähler oder 51 Prozent, etwa zehn Millionen mehr als Hillary Clinton 2016. Für US-Verhältnisse ist das ein deutlicher Sieg. Ist alles ausgezählt, was noch dauert, dürfte Biden im Electoral College einen Vorsprung haben wie Trump vor vier Jahren gegen Clinton. Bis ins Jahr 2021 hinein wird ungewiss bleiben, wie demokratische Politik realisiert werden kann. Im Repräsentantenhaus verlieren die Demokraten ein paar Sitze, behalten aber die Mehrheit. Der Ausgang im Senat bleibt offen. Der Staat Georgia entscheidet erst am 5. Januar bei Nachwahlen, wer in den Senat einzieht. Gewinnen die beiden demokratischen Anwärter, entsteht ein Patt und Vizepräsidentin Kamala Harris hätte die ausschlaggebende Stimme. Gewinnen die amtierenden Republikaner David Perdue und Kelly Loeffler, halten die Republikaner ihre Mehrheit, was Reformen blockieren würde. Es würde schwierig für einen „Green New Deal“ oder die Besteuerung der Wohlhabenden, um die Folgen der Pandemie zu kompensieren, schwierig für eine verbesserte Krankenversicherung, für eine Polizeireform und die Ernennung neuer Richter an den Bundesgerichten. Die Demokraten würden auf Kompromisse hoffen müssen.
Maßnahmen gegen die Coronapandemie will eine Regierung Biden, sobald sie im Amt ist, als Priorität behandeln. Im konservativen Amerika, wo viele nicht an das Ausmaß der Infektionswelle glauben, ist das Grund zum Protest: Tägliche Neuinfektionszahlen waren Anfang November mit mehr als 130.000 höher als jemals zuvor. Am meisten betroffen waren Staaten, die mit großer Mehrheit Trump gewählt haben, darunter North Dakota, South Dakota und Utah. Zwei Tage nach seinem Wahlsieg richtete Biden ein Gremium von Wissenschaftlerinnen und Gesundheitsexperten ein, darunter ein Whistleblower vom Gesundheitsministerium, der wegen seiner Kritik an Trumps Corona-Politik strafversetzt worden war. Die Kommunikation der Regierung beim Betonen des Mund- und Nasenschutzes soll künftig klar sein. Man will Testkapazitäten ausbauen und Vorbereitungen treffen zur Verteilung des kommenden Impfstoffes. Subventionen und Soforthilfe für Geschäfte, Kommunen und arbeitslos Gewordene sollen verstärkt werden.
Trump hat sehr viel mit „Executive Orders“ regiert, etwa um Klimavorschriften zu „lockern“ und die Einwanderung zu beschränken. Vieles kann Biden nun per Unterschrift rückgängig machen. Er will der Weltgesundheitsorganisation wieder beitreten und dem Klimaabkommen von Paris. Er kann den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko stoppen. Es werde unter ihm „kein Fuß Mauer mehr gebaut“, hat er als Kandidat versprochen. Er kann Trumps Einreiseverbot für viele Muslime aufheben und zehntausenden jungen Migranten Schutz gewähren, die als Kinder ohne Papiere in die USA gekommen sind. Und er kann Trumps weitgehenden Stopp der Aufnahme von Asylsuchenden aufheben. Es ist ihm erlaubt, manche Trump-Vorschriften bei der Krankenversicherung Obamacare umzuschreiben.
Doch darüber hinaus: Die Wahlen haben die Teilung der US-Gesellschaft bestätigt, vornehmlich zwischen Stadt und Land, Weiß und Schwarz und ganz offensichtlich zwischen Menschen ohne höhere Schulbildung und College-Absolventen. Trump hat laut Nachwahlbefragung die Mehrheit der weißen Stimmen bekommen (57 Prozent). Schwarze stimmten zu 87 Prozent für Biden, Latinos zu 65 Prozent. Rund 70 Prozent der weißen Männer ohne Collegeabschluss wählten Trump. Bei den Demokraten wird nun anhand unterschiedlicher Interpretationen des Wahlergebnisses debattiert, wie groß der Neuanfang sein kann, was man falsch gemacht hat.
Die Demokraten streiten
Der Kitt, Trump stürzen zu müssen, bröckelt. Es soll hoch hergegangen sein bei einer mehrstündigen Konferenz demokratischer Abgeordneter zwei Tage nach der Wahl: Rechts machte links verantwortlich dafür, dass im Kongress Hoffnungen unerfüllt blieben. Man müsse das Wort Sozialismus aus dem Wortschatz der Partei streichen, soll eine Abgeordnete gefordert haben. In einem Interview mit der New York Times zur Zukunft der Demokraten sagte der Abgeordnete Conor Lamb (wiedergewählt in einem Trump-freundlichen Wahlkreis in Pennsylvania), linke demokratische Rhetorik zu Themen wie Abschaffen der Polizei und Fracking-Stopp sei zu weit gegangen. Diese Ansätze seien bei vielen Demokraten unbeliebt und überdies unrealistisch. Wollten die Demokraten Mehrheitspartei werden, müssten sie auch in Wahlkreisen wie seinem gewinnen.
Links macht hingegen rechts verantwortlich. Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez hat in einem langen, viel zitierten Interview ebenfalls für die New York Times mit der Führung ihrer Partei abgerechnet. Diese sei blind wegen ihrer Feindseligkeit gegenüber Aktivisten und sehe nicht, wie viel diese der Partei bringen könnten. Sie sei überrascht gewesen von den vielen weißen Stimmen für Trump. „Wir müssen tiefgreifende Antirassismus-Arbeit leisten.“ Die Partei verliere weiße Stimmen, während Facebook mehr und mehr weiße Wähler radikalisiere. Es gebe nicht genug junge, schwarze und hispanische Stimmen, um das wettzumachen.
Und Bernie Sanders sagte bei CNN, es sei „nicht relevant“, ob Trump seine Niederlage anerkenne. „Joe Biden hat die Wahl gewonnen, er wird den Amtseid leisten.“ In den Tagen nach der Wahl distanzierten sich nur einige wenige Republikaner von Trumps Lüge, er habe gewonnen. Sein Sohn Don jr. rief zum „totalen Krieg“ auf. Bei Trumps Lieblingskanal Fox News wurde vor einem „linken Griff nach der Macht“ gewarnt, der „von Leuten wie George Soros“ finanziert werde. Dass Trump die Wahlrealität derart bestreitet, mag viele Biden-Wähler und Kommentatoren der bürgerlichen Medien empören. Aber wie sollte es anders sein? Trumps Neigung, sich mit einer alternativen Realität zu umgeben, hat gut funktioniert in seinen beinahe vier Jahren im Weißen Haus, als er sich das Image vom starken, nicht einmal von Covid-19 besiegbaren Mannes zulegte.
Anfang Dezember müssen die Auszählungen endgültig abgeschlossen sein, am 14. Dezember geben in jedem Bundesstaat die Wahlleute ihre Stimmen ab und schicken das Ergebnis nach Washington. Am 6. Januar versammeln sich Senat und Repräsentantenhaus unter Vorsitz von Vizepräsident Mike Pence zur offiziellen Auszählung dieses Votums. Vom Wahltag bis zur Vereidigung des neuen Präsidenten am 20. Januar sind es 79 Tage, an denen Donald Trump noch an der Macht sein wird. Mit seinen Getreuen bereitet er sich vor auf die nächste Runde. Es geht auch um die „Marke Trump“. Selbst wenn das Verleugnen der Zahlen nichts ändert am Wahlresultat, ist das Fundament gestärkt, um sich gegen Biden und für kommende Wahlen in Stellung zu bringen. Kongresswahlen gibt es 2022, die nächste Präsidentschaftswahl 2024. Selbst wenn Trump nicht mehr antreten sollte, stehen Republikaner bereit, sein Erbe zu übernehmen. Auch sie werden kaum mit Bidens Politik anbändeln, wollen sie doch die Basis halten, die ihnen Trump hinterlässt.
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