Es verblüfft, dass die als weltbeste Institutionen dieser Art eingestuften Geheimdienste Israels nicht gewarnt haben vor dem horrenden Hamas-Angriff am 7. Oktober. Benjamin Netanjahus Sprecherin Tal Heinrich benennt gegenüber dem Sender CNN denn auch „ein Versagen unsererseits“. Die Debatte darüber hat begonnen, selbst wenn erst nach Kriegsende mit eingehenderen Untersuchungen zu rechnen ist. Bereits jetzt jedoch erregt die New York Times international viel Aufsehen mit einem Text, bei dem von einem 40-seitigen israelischen Geheimdokument die Rede ist. Darin sei tatsächlich schon vor einiger Zeit auf Belege für einen groß angelegten Angriff verwiesen worden. Nur bedeutet das wohl weniger, als auf den ersten Blick vermutet wird, fasst es Adam Goldma
ngriff verwiesen worden. Nur bedeutet das wohl weniger, als auf den ersten Blick vermutet wird, fasst es Adam Goldman, einer der Ko-Autoren im Fernsehkanal PBS, zusammen. Die Dienste hätten es nicht für möglich gehalten, „dass die Hamas die Fähigkeiten entwickelt“, den im Dokument umrissenen Gefechtsplan umzusetzen.Eingebetteter MedieninhaltNicht alle sich daraus ergebenden Fragen werden Antworten finden. Wie gut waren die elektronische Aufklärung und das Abhören der Hamas wirklich? Dass man Daten hat, heißt noch lange nicht, Absichten zu verstehen, ein Problem, das selbst Polizeibehörden kennen, die anhand von Falldaten künftige Straftaten „vorhersagen“ möchten.Der US-Sicherheitskräften nahestehende Think Tank Center for Strategic and International Studies hat sich dahingehend geäußert, dass Israel werde prüfen müssen, ob eine übermäßige Abhängigkeit von technischen Fähigkeiten und ein Mangel an menschlichen Quellen „die zentrale Ursache der Tragödie ist“, wie Expertin Emily Harding schreibt.Sündenbock GeheimdiensteGeheimdienste seien ein „gern genutzter Sündenbock“, warnt ihr Kollege Daniel Byman. Israels Politik sei mit dem Iran, der Westbank und dem Aufruhr im eigenen Land wegen der geplanten Einschnitte im Justizwesen beschäftigt gewesen und habe vielleicht angenommen, „die Hamas-Herausforderung sei effektiv gemanagt“.Das Ganze erinnert an die Anschläge vom 11. September 2001 auf das Welthandelszentrum in New York und das US-Verteidigungsministerium. Am 6. August 2001, etwa einen Monat zuvor, wurde Präsident George W. Bush in seiner Villa im texanischen Crawford von der CIA gebrieft. Die Überschrift auf dem Memo lautete: „Bin Laden determined to Strike in US“, Al-Qaida-Führer Bin Laden plane einen Angriff in den Vereinigten Staaten. Informationen des FBI deuteten hin auf „verdächtige Aktivitäten in den USA passend zu Vorbereitungen auf Flugzeugentführungen oder andere Angriffsarten“.Was das Team Joe Biden frustriertDas Dokument wurde im April 2004 bei der offiziellen 9/11-Untersuchung veröffentlicht und galt als Sensation. Doch Bush wiegelte ab, während jenes Briefings habe es „keinen Hinweis auf eine terroristische Bedrohung gegeben, keinen Termin und keinen Ort des Angriffs“. Das Briefing habe von Absichten gesprochen, „von jemandem, der Amerika gehasst hat – nun, das wussten wir“. Die Kommission empfahl CIA und FBI mehr Arbeit mit menschlichen Quellen und mehr analytisches Vorgehen.Für den US-Präsidenten wird indes Israels Kriegsführung in Gaza problematisch, ganz abgesehen von der Frage, ob US-Dienste etwas hätten wissen können vom Hamas-Angriff. Joe Bidens vermeintliche Strategie, volle Unterstützung für die Regierung Netanjahu in der Hoffnung, er könne dadurch deren Operationen beeinflussen, geht offenbar nicht auf. „Zu viele unschuldige Palästinenser sind getötet worden“, sagt Vizepräsidentin Kamala Harris, und Außenminister Antony Blinken mahnt an, dass sich „der massive Verlust zivilen Lebens ... im Norden von Gaza nicht im Süden wiederholt“.Team Biden ist frustriert, will aber wohl keine Konfrontation riskieren mit Israels Regierung. Vielmehr wird abgewogen, Beistand für Israel gründe auf „gemeinsamen Werten und einer bedeutenden strategischen Partnerschaft“, so Hakeem Jeffries, demokratischer Fraktionschef im Repräsentantenhaus. Zahlreiche Kernwähler verlangen hingegen einen Waffenstillstand, besonders junge Menschen, aber auch Kirchen und Gewerkschaften, darunter die Autogewerkschaft United Auto Workers. Er sei stolz, dass die UAW eine Waffenruhe in Israel und Palästina fordere, schreibt Gewerkschaftspräsident Shawn Fain auf X.In der Regierung fürchtet man um die eigenen Interessen: Verteidigungsminister Lloyd Austin warnt, bei einem „Kampf dieser Art“ sei die Zivilbevölkerung der Schwerpunkt. Und wenn man die „in die Arme des Feindes“ treibe, werde „aus einem taktischen Sieg eine strategische Niederlage“. Die humanitäre Katastrophe ist nicht mehr rückgängig zu machen.