Wer vom Feminismus reden will, der darf freilich von der unterschiedlichen Bezahlung der Geschlechter nicht schweigen. Der „Equal Pay Day“, der in Deutschland dieses Jahr auf den 18. März fällt, soll dazu ermutigen. Leider paart sich in den Diskussionen um das Lohngefälle zwischen Mann und Frau oft Unwissen mit Unwillen.
An diesem 18. März wird das manchem noch recht frisch erscheinende Jahr 2019 schon 77 Tage alt sein. Der Idee des „Equal Pay Day“ folgend, würden Frauen dank des Lohngefälles bis zu diesem Tag im Jahr umsonst arbeiten, während Männer seit dem 1. Januar voll bezahlt werden. Kann das wirklich sein, dass Frauen im Jahr 2019 immer noch durchschnittlich ein Fünftel weniger Geld verdienen als Männer?
Ja und nein. Schon das Zustandekommen der Zahl ist problematisch. Berechnet wird der Gender Pay Gap aus den Daten des Statistischen Bundesamtes. Nicht mit eingerechnet werden beispielsweise Teile des öffentlichen Dienstes, bei dem die Gehälter zwischen Frauen und Männern weniger stark variieren. Schwierig ist auch die Suggestion, dass die Diskrepanz wegen purer Geringschätzung des weiblichen Geschlechts zustande kommt. Die rund 21 Prozent Lohnunterschied rühren auch daher, dass Frauen beispielsweise häufiger in Teilzeit arbeiten oder solche Berufe ausüben, die grundsätzlich schlechter bezahlt werden. Es gibt deutlich weniger Managerinnen als Krankenschwestern. Bei den Männern hingegen sorgt eine relativ kleine Anzahl Spitzenverdiener dafür, dass es aussieht, als würden alle Männer überall deutlich mehr verdienen. Diesen statistischen Unklarheiten soll der „bereinigte Gender Pay Gap“ Rechnung tragen. Berücksichtigt man diese strukturellen Faktoren, liegt der Lohnunterschied nach Schätzungen nur noch zwischen zwei und sieben Prozent.
Da jubilieren die Maskulinisten: Ein Lohngefälle sei praktisch nicht erkennbar, und die übrigen Prozente lassen sich sicher noch wegdiskutieren. Verkannt wird dabei, dass jene mühsam herausgerechneten strukturellen Ungleichheiten das eigentliche Problem sind. Weil Frauen oft einseitig die Kindererziehung übernehmen, unterbrechen sie ihre Karrieren oder arbeiten langfristig in Teilzeit. Weil Mädchen selten Dachdeckerinnen zum Vorbild haben, bleiben ihre Vorstellungen vom Berufsleben manifest. Diese komplexe Wirklichkeit wird keine absolute Anzahl Tage je adäquat abbilden können. Abhilfe schafft höchstens eine relative Ziffer: die Quote.
Kommentare 10
Wie zu erwarten war, gibt es auch im Freitag einen Artikel zu Equal Pay Day. Auch erwartbar war die Qualität der Aussagen. In meinem Blog vom 17.03.2019 habe ich auf leicht verständliche Erklärungen des Bundesamtes für Statistik zur Berechnung der Zahlen und zu deren Interpretation verwiesen. Daraus geht hervor, dass die Aussage im Beitrag:
"Nicht mit eingerechnet wird beispielsweise der gesamte Sektor des öffentlichen Dienstes, bei dem die Gehälter zwischen Frauen und Männern weniger stark variieren."
falsch ist und außerdem nationale Rechnungen gezeigt haben, dass die Einbeziehung des Sektors O "Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung" zu keiner wesentlichen Änderung führt. Andererseits kann man auch nachlesen, dass die 4 Mio. Selbständigen nicht einbezogen werden. Denken Sie dabei an die vielen prekären Kreativarbeiter, die am Rande des Existenzminimums leben.
Die Aussage "Ein Lohngefälle sei praktisch nicht erkennbar, und die übrigen Prozente lassen sich sicher noch wegdiskutieren.", die auf den bereinigten Gender Pay Gap folgt, ist zweifach falsch. In einem weiteren Beitrag des Bundesamtes für Statistik wird auf die Grundlagen der Berechnung dieses Wertes eingegangen, die für Laien und Außenstehende nicht nachvollziehbar sind. Hier geht es nicht um Wegzudiskutieren, sondern um Transparenz. Erwähnenswert wäre auch gewesen, dass die Daten für die Berechnung des Wertes nur alle 4 Jahre erhoben werden. 2014 wurden 6 % errechnet, der Wert für 2018 liegt noch nicht vor. Wo darin Diskriminierung enthalten sein könnte, wird auch gezeigt. Die 2 %, die im Beitrag erwähnt werden, beruhen auf einer anderen Berechnungsgrundlage. Beide könnten einmal kritisch hinterfragt werden.
Auf die Unterschiede zwischen den Bundesländern geht das Bundesamt für Statistik auch ein. Hier kann man sehen, dass der durchschnittliche Stundenlohn eines ostdeutschen Mannes niedriger ist als der einer westdeutschen Frau (Ausnahme Saarland und Schleswig-Holstein). Der Vergleich des niedrigsten durchschnittlichen Stundenlohnes einer Frau (Mecklenburg-Vorpommern) mit dem höchsten eines Mannes (Hamburg) ergibt übrigens einen Gender Pay Gap von 42 %.
Wieso ist die Aussage:
"Nicht mit eingerechnet wird beispielsweise der gesamte Sektor des öffentlichen Dienstes, bei dem die Gehälter zwischen Frauen und Männern weniger stark variieren."
Ihrer Meinung nach falsch? Der Sektor der öffentlichen Verwaltung, zu der das, was wir "öffentlicher Dienst" nennen, zu großen Teilen gehört, wird laut EU-Norm zur Berechnung des GPG nicht miteinbezogen. Die Gehälter zwischen Frauen und Männern variieren dort weniger stark, weil die Entgeltstufen geschlechtsunabhängig sind. Das ist wohl auch der Grund, warum der Sektor EU-weit ausgeblendet wird. Dass ein Miteinbeziehen des Sektors zu keiner wesentlichen Veränderung führt, stimmt. Das habe ich auch nicht angezweifelt. Den Grund dafür erkennt man, wenn man den Text weiter liest: Die großen Varianzen entstehen aus anderen Gründen, z.B. aus der ungleichen Verteilung der Tätigkeitsfelder. (Anders gesagt: Auch unter Einbezug des öffentlichten Dienstes würde es immer noch mehr Professoren als Professorinnen geben).Die Unterschiede zwischen Ost und West habe ich für die Kolumne nicht beachtet, das stimmt. Die Ergebnisse sind natürlich spannend. Vielen Dank für diesen Hinweis, vielleicht lässt sich das an anderer Stelle nochmal bearbeiten!
Der Wirtschaftsabschnitt O, wie ich es richtig hätte schreiben müssen, "Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung" ist lediglich eine Teilmenge (ca. 1,8 Mio.) dessen, was in D "Öffentlicher Dienst" (ca. 4,7 Mio) genannt wird. Z. B. Lehrer finden sich im Wirtschaftsabschnitt P und werden sowohl für die EU-Vergleichbarkeit, als auch für nationale Belange einbezogen. Die Klassifikation der Wirtschaftsabschnitte findet sich hier.
Verzeihen Sie, wenn ich da jetzt kleinlich bin, aber ich habe mir nämlich beim Recherchieren und Schreiben exakt dieselbe Frage gestellt und sie mir nach langem Herumsuchen meiner Meinung nach korrekt beantwortet. "Öffentlicher Dienst" und "Öffentliche Verwaltung" werden hin und wieder synonym verwendet. Hier steht z.B., dass in der Öffentlichen Verwaltung in Deutschland 4,2 Millionen Menschen arbeiten: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentliche_Verwaltung#Tr%C3%A4ger_und_Personal
Hier wiederum wird ersichtlich, dass Lehrer eine Teilmenge der öffentlichen Verwaltung sind, nämlich die der sogenannten "Leistungsverwaltung" (was für ein Wort!): http://www.bpb.de/politik/grundfragen/24-deutschland/40469/oeffentlicher-dienst-und-verwaltung
Ich bin deswegen dazu übergegangen, "öffentlicher Dienst" zu schreiben, weil das meiner Meinung nach das geläufigste Wort ist und dem Leser am meisten sagt, auch wenn die EU-Definition von "public administration" und nicht vom "public service" spricht: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Glossary:Gender_pay_gap_(GPG)Offenbar herrscht hier große Begriffsverwirrung. Vielen Dank jedenfalls für Ihren Hinweis.
Wir müssen uns sicher nicht darüber streiten, aber die Statistiker nehmen es mit dieser Klassifizierung sehr genau. Herr Beck geht auf Folie 9 explizit darauf ein.
Bedenklicher erscheint mir, (und sie haben das vermieden) dass immer wieder der Eindruck entsteht, dass es hier um "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" geht. Falsche Behauptungen zur Diskriminierung sind dann meist nicht weit, obwohl die Praxis des Entgeltgleichheitsgesetzes eine andere Realität zeigen. Hier wird auf eine noch unveröffentlichte Studie verwiesen, die einen umgekehrten Gender Pay Gap nachweist.
Noch bedenklicher ist es, wenn 30 Jahre nach der Wende eine Riesenlücke zwischen Ost und West besteht, aber keine Initiative in Sicht ist, diese zu schließen. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit existiert sie gar nicht. Deshalb auch mein Hinweis auf diese Zahlen.
Das ist sehr wahr.
"Leider paart sich in den Diskussionen um das Lohngefälle zwischen Mann und Frau oft Unwissen mit Unwillen."
Das stimmt. Bei mir kommen aber noch Dummheit und Dreistigkeit dazu. Deshalb hatte ich da schon mal was vorbereitet. #HeToo
Rechtsanwälte verdienen 5700€ im Monat, Rechtsanwältinnen nur 4953€, lese ich. Und denke: Arme geknechtete deutsche Frau. Da muss doch sofort eine Spenden-Hotlein eingerichtet werden! Warum wird die Nummer nicht eingeblendet?
Ich bin dafür, dass Frauen ab morgen, Dienstag, 19.03.2019 35% mehr verdienen als Männer. Kost' mich nix. Deshalb habe ich keinen Cent mehr oder weniger in meiner Tasche. Es sei denn, ich suche mir einen besser bezahlten Job oder verhandele eine Lohnerhöhung. Was ich, in umgekehrter Reihenfolge, sowieso mal dringend tun müsste. Aber die Tatsache, dass Frauen im bekloppten Durchschnitt 35% mehr verdienen als ich, wäre so ziemlich das Letzte, das mich motivierte, die vorgenannten Maßnahmen einzuleiten. Seit wann brauche ich andere, um abzuschätzen, was ich wert bin? Schon immer. Aber wann hört das auf? Das ist die Frage. Und die stelle ich mir demnächst mal. Wartet es mal ab!
Dann bin ich ganz oben!
Wahrscheinlich werden in einer solchen Diskussion aber wieder Statistiken so gebogen, das sie zur Untermauerung des eigenen ideologischen Standpunktes brauchbar sind.
ich will nicht bestreiten, das es diese ungleiche Bezahlung gibt. Nur müsste man dann viel früher ansetzen, und nicht erst, wenn die Gehaltsbescheinigung vorliegt.
Vieles ist nämlich durchaus auch "hausgemacht".
Selbst nach dem ersten Jahr im Beruf lassen sich doch teilweise bereits unterschiede ausmachen. Nach 25 Berufsjahren ist eine vergleichbare Entlohnung doch längst nicht mehr möglich.
Zwei Chirurgen (m und w), welche beide nach der Uni im selben Krankenhaus ihr Berufsleben anfangen entwickeln sich doch spätestens nach der ersten Weiterbildung völlig unterschiedlich. Der Mann spezialisiert sich eventuell auf Traumatachirurgie, während sie sich der allgemeinen Chirurgie näher fühlt. Sobald sich nun jeder in der entsprechenden Richtung weiterbildet, folgt schon der erste bemerkbare Unterschied. Eine der beiden Stellen wird besser bezahlt, weil zu jenem Zeitpunkt dort gerade Mangel herschte, oder diese Fachrichtung per se etwas besser bezahlt wird. Und so pflanzt sich dieses dann weiter fort, und nach 25 Dienstjahren sind beide Oberarzt, aber mit unterschiedlichem Fachwissen, und plötzlich verdient einer von beiden 2000 Euro mehr, obwohl sie letztendlich beide statistisch nur Oberarzt der Chirurgie sind. Eine mögliche Karriereunterbrechung durch Elternzeit oder Pflege von Angehörigen, in der der oder die andere dann locker noch zwei Weiterbildungen oder einen Facharzt machen kann, noch gar nicht berücksichtigt. Und wenn dann auch noch das "Verbrechen " begangen wird, sich Geschlechtertypisch zu verhalten (der Mann bildet sich zum Radiologen weiter, während die Frau es in die Kinderheilkunde zieht, dann gibt es zwei Oberärzte gleichen Alters mit 25 Jahren Berufserfahrungen und 10000 Euro Gehaltsunterschied. Die schlechtere Bezahlung von Geriatrischer Medizin oder Kinderheilkunde hat aber nicht das Krankenhaus zu verantworten sondern die Gesellschaft und auch die Gewerkschaften.
Und dann fehlt vielen Frauen doch einfach auch der Willen zur Weiterbildung oder Karriere, der viele unberechtigte Klagen später erst entwachsen. Auch wenn es bereits einige Jahre her ist, so kann ich mich doch noch gut erinnern, das aus unserer Abteilung (DAX-Unternehmen, 35 Frauen und 17 Männer) sich keine Frau auf die freigewordenen Stelle als Abteilungsleiter beworben hat, aber sieben oder acht männliche Kollegen. Einziger nicht verhandelbarer Punkt, war, das diese nur in Vollzeit (wegen Dienstreisen und Meetings) ausgeübt werden konnte.
Außerdem müsste im Vorfeld doch schon die "richtige" Berufswahl dafür sorgen, das man später nicht auf der Verliererseite steht. Solange aber nur wenige Frauen den Drang verspüren, Pikot zu werden, aber bei den Bewerbertagen für Flugbegleiter geschätzt 80 % junge Frauen anzutreffen sind, läuft doch trotz Girls-Day immer noch irgendetwas schief.