Ecce homo Faber

Musik Der junge Julian Pollina singt, als sei er bereits vom Leben gezeichnet. Ausnahmsweise funktioniert das hervorragend
Ausgabe 27/2017

Wann immer junge Musiker etwas vortragen, müssen sie sich für ihr Alter rechtfertigen. Ist die Musik flach, wird das Klischee der verblödenden Jugend bedient. Ist die Musik groß, heißt es, es fehle an Authentizität: Kunstprodukt! Hochproduziert! Im Pressetext zum Album des 23-jährigen Sängers Faber heißt es vorab entschuldigend, er sei keiner, der über das Leben singe, ohne gelebt zu haben. Denn jeder weiß: 23, das ist noch kein Leben. Faber schreibe „wie ein 50-Jähriger“, heißt es da auch. Ein Glück. Wer will nicht 23-Jährige, die schreiben, als seien sie 50-Jährige, die über ihre Zeit als 23-Jähriger schreiben?

Da singt er also, dieser 23-jährige Zürcher, und in der Tat klingt seine Stimme, als habe er mit zwölf angefangen zu rauchen und zu trinken. 50-jährig sind seine Texte höchstens, wenn er eine Rolle spielt, zum Beispiel im ersten Song. Den hält der Hörer für ein süffisantes Liebeslied, bis Faber davon säuselt, dass die besungene Schönheit 15 sei. Beim Refrain schleicht sich ein leichter Ekel in den Gehörgang: Das ist kein Liebeslied, das ist eine gesungene Perversion.

So etwas kann natürlich nur ironisch und „kritisch“ gemeint sein – oder nicht? Als die österreichische Band Wanda vor einigen Jahren einen ähnlichen Versuch unternahm, verschmitzt und derb über Suff und Sex mit der Cousine zu singen, wurde ihnen Misogynie vorgeworfen. Wem Wanda zu heftig sind, der sollte sich bei Fabers Poesie erst recht die Ohren zuhalten: „Jeder Jäger träumt von einem Reh, jeder Winter träumt vom Schnee, jede Theke träumt von einem Bier – warum, du Nutte, träumst du nicht von mir?“ Wenig Max Frisch findet sich in Faber, eher mehr Charles Bukowski.

Gut für Faber, der eigentlich Julian Pollina heißt, dass er unter Pseudonym singt. Im Zweifelsfall trällert er als Kunstfigur und hat einen Freibrief für jegliche Schweinerei, so wie es im Rap üblich ist. Damit ist es auch legitim, dass sein Album zur Publikumsbeleidigung neigt. Offenkundig hasst er das Klischee seiner eigenen Millenial-Generation. Wenn er hört, wie die „ihre Dummheit feiert“, muss er sich zusammenreißen, sie nicht zu „erschießen“.

Immer einen Schirm dabei

Faber will keiner von denen sein, die ihn vermutlich auf seinen Tourneen beklatschen, die immer einen Schirm dabei und einen „Pyjama für die Nacht“ haben. Wenn er nicht mordlustig wird, rät er ihnen versöhnlich: „Bleib dir nicht treu, sei niemals du selbst.“ Sie sind sonst verloren, diese grausigen Twentysomethings mit Bausparvertrag, die das Saufen und Ficken verlernt haben und bereits erröten, wenn sie solche Wörter nur lesen oder hören. Gesprochen wie ein wahrer 50-Jähriger, aber sicher alles ironisch, natürlich.

Wie Faber das vorträgt, ist grandios. Mühelos schwankt er zwischen Pop, Chanson und Polka, zwischen jungem Rio Reiser und altem Sven Regener. Zugleich verliert er sich nicht in reiner Poesie, sondern wird unverschämt deutlich und manchmal politisch (Wer nicht schwimmen kann, der taucht). Diese dreckige Ehrlichkeit, die Wanda oder auch AnnenMayKantereit manchmal so arg forcieren – ihm will man sie abnehmen, nicht trotz, sondern wegen des Alters. Ja, gelebt hat Faber, aber zum Glück noch nicht so lang. Das befähigt ihn, all den erfrischenden infantilen Unernst unter den Zynismus und Liebeskummer zu mischen. „Es ist so schön, dass es mich gibt“, lautet die erste Zeile des Albums. Wer es gehört hat, wird zustimmen.

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