Wärmepflaster für Hip-Hop

Konzert Ace Tee ist einer der raren Gründe, warum ein Comeback der Neunziger keine Katastrophe sein muss
Ausgabe 13/2018
Hip-Hop ohne Bling-Bling, Texte ohne Kampfansagen, Gesang ohne Verzerrer: Ace Tee
Hip-Hop ohne Bling-Bling, Texte ohne Kampfansagen, Gesang ohne Verzerrer: Ace Tee

Foto: Martin Müller/Imago

Wovon die meisten Rapper in Deutschland träumen, das ist vergangenes Jahr einer 23-Jährigen gelungen: ein Hype in den USA zu sein. Es genügte ein Tweet, und schon war die Berlinerin Ace Tee bekannt: „Die neuen TLC sind deutsch, sagt es weiter“, meinte eine kanadische Twitter-Nutzerin zu dem Song Bist du down?, unter dem Video auf Youtube finden sich zahlreiche Kommentare auf Englisch, die in etwa so lauten: Ich verstehe kein Wort, aber es ist großartig.

Großartig ist sie noch immer. Ace Tee blieb kein Internet-Mythos: Ein Jahr später ist sie, die bürgerlich Tarin Wilda heißt, mit ihrem Hamburger Rap-Partner Kwam.e auf Tour und spielte vergangene Woche in der ausverkauften Kantine am Berghain. Kaum zu glauben: Hier wurde nicht nur ein 90er-Jahre-R-’n’-B-Sound, wie er tatsächlich von 90er-Ikonen wie TLC oder Kelis hätte kommen können, erfrischend wiederbelebt, hier regierte zwischenzeitlich sogar der Funk. Ace Tees Bandunterstützung streute über dem schwitzenden Saal eine Prise James Brown aus und das Publikum tanzte im Nebeninstitut des legendären Technoclubs, als hätte es die Machtübernahme elektronischer Tanzmusik nie gegeben.

Nineties-Revival, war da was? In der Mode wie auch im Pop ist jenes grellbunte Plastikjahrzehnt seit einiger Zeit zurück – inklusive aller ästhetischen Verhaltensauffälligkeiten, die völlig zu Recht bis vor kurzem noch als Peinlichkeiten galten. Hip-Hop blieb halbwegs verschont davon, da er als einzig wirklich innovatives Pop-Genre tatsächlich neue Substile produziert, statt alte zu reanimieren. Bestes Beispiel: Trap. Dass sie diese härtere Spielart ebenfalls beherrschen, beweisen Ace Tee und Kwam.e in einem kurzen Intermezzo mühelos, beinahe beiläufig, damit keiner auf die Idee kommt, es handle sich hier um reine Nostalgiker. Das sind sie definitiv nicht. Wenngleich fast alles an der gelernten Haarstylistin und neuerdings Modedesignerin von Kopf bis Fuß nach 1996 schreit: Nur nachgemacht ist hier nichts; „real“, wie es im Rap-Jargon heißt, ist sie mit jeder Faser.

Natürlich wie ein Spaziergang

Das liegt daran, dass das Team alles aus der Old School herausdestilliert, was kaum jemand mehr überzeugend darstellen will: Hip-Hop ohne Bling-Bling, Texte ohne Kampfansagen, Gesang ohne Verzerrer. Ace Tee macht leichtfüßige Feel-good-Musik und ist genau deswegen so angenehm erfrischend. Weil vieles, was diesem Genre gegenwärtig entspringt, von einer derart überzogenen Ästhetik der Künstlichkeit – Stichwort: „Autotune“ – durchzogen ist, wirkt ihr Kopfnicker-Sound so natürlich wie ein Waldspaziergang im Frühsommer. „Brown sugar“, wie sie sagen würde: ein sanftes, groovendes Wärmepflaster auf den völlig verkrampften Macho-Muskeln einer Subkultur.

„Scheiß auf flexen mit scheiß Geld, lass uns spazier’n geh’n, kommunizieren ohne WhatsApp“ – das klingt angesichts der Gucci- und Prada-Manie im Hip-Hop fast wie eine konservative Revolution. Ace Tee will weder austeilen noch ausgrenzen, sondern möglichst jeden mitnehmen. In Berlin gelang ihr das. Ist das erfolgreiche Revival nun der erste Spatenstich für die Beerdigung des Gegenwärtigen?

Dass das Duo einen Hauptstadtclub ausverkauft, ist vielsagend. Hat das Publikum wieder mehr Durst nach Realness? Während Ace Tee die Kantine zum Kochen brachte, spielte zeitgleich im „großen“ Berghain eine echte Legende: Kylie Minogue. Die große Bühne verdient hätte an diesem Abend eine andere, aber wenn es so weitergeht, ist das nicht mehr fern.

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