„To the Wonder“ - Über ästhetische Ambivalenz

Grenzwertig Wie Terrence Malick mutig und unkonventionell das Kino provoziert

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Hauptdarstellerin Olga Kurylenko während der  'To The Wonder' Premiere auf den 69. Internationalen Filmfestspielen von Venedig im September 2012
Hauptdarstellerin Olga Kurylenko während der 'To The Wonder' Premiere auf den 69. Internationalen Filmfestspielen von Venedig im September 2012

Foto: Vittorio Zunino Celotto/ AFP/ Getty Images

In dem romantischen Melodrama „To the Wonder“ begegnet der Zuschauer seinem ganz persönlichen moral-ästhetischem Dilemma: Soll er auf die Regeln seines guten Geschmacks vertrauen oder sich seiner sinnlichen Empfindsamkeit ergeben? Ersterer ermahnt den Zuschauer, nicht auf das flache Gefasel romantischen Kitsches hereinzufallen. Letztere beschwört die kinematografische Sinnlichkeit und das Bedürfnis, sich in ihr zu verlieren, herauf. Es ist gerade diese Ästhetik der Ambiguität, die den geschulten Zuschauer zu fesseln vermag.

Worum es geht (die folgende einfache Schilderung ist nicht den Abstrichen der verschriftlichen Darstellung zu verschulden – der dramaturgische Inhalt ist in der Tat sehr schlicht): Neil (Ben Affleck) und Marina (Olga Kurylenko) verlieben sich in Frankreich, sie entlieben sich in Oklahoma. Während Neil sich in einer Affäre mit seiner Jugendliebe Jane (Rachel McAdams) hingibt, flüchtet Marina in eine apathische sexuelle Begegnung mit einem flüchtigen Bekannten aus dem suburbanen Mikrokosmos. All das wird begleitet von dem stoisch leidenden Geistlichen Pater Quintana (Javier Bardem – phantastisch!), der seinem Gott nicht ver-, sondern misstraut. Obwohl der Inhalt des Films an pseudophilophischer Metaphorik und klischeepsychologischer Charakterdarstellung (Dichotomie von existenzieller Versicherung und Verunsicherung, von Verliebtheit und Entliebtheit, von religiösem Vertrauen und Misstrauen) in negativer Hinsicht kaum zu übertreffen ist, so verhält es sich mit der filmischen Formgebung umgekehrt: Es ist ein Paradigma cineastischer Kunst.

Für sich allein genommen gleicht der Stil von „To the Wonder“ eher einem zu 113 Minuten aufgeblähtem Flashback. In pittoresker Zeitlosigkeit werden die An- und Abwesenheit der Liebe und Gottes thematisiert. Doch gerade dieser tranceähnliche Modus des Films ermöglicht ästhetische Finessen, die dem gewöhnlichen Kino längst entschwunden sind: Emmanuel Lubezki, Malicks „Director of Photography“, schafft mit schwebenden Shots und beeindruckender Lichtgestaltung imposante Szenerien aus Paris, Mont Saint-Michel und Oklahoma. Malicks visuelle Poesie hat das Beiwerk des erzählenden Inhalts nicht mehr nötig. Der lyrische Bilderfluss überzeugt für sich allein. Dialoge gib es kaum. Die einzige auditive Begleitung des Films sind monumentale Einspielungen klassischer Musik und markante Voice-Over, die leider oftmals dort kommentieren, wo sie es lieber hätten unterlassen sollen. Ohnehin scheint Terrence Malick in „To the Wonder“ sein Vertrauen in die Fähigkeit der Zuschauer, ohne Instruktionen assoziativen Sinn in dem Gesehenen stiften zu können, fast verloren zu haben. Und wenn die Protagonisten dann zum zehnten Mal tänzelnd durch die goldenen Felder von Oklahoma laufen, um ihre Melancholie und emotionale Zerrissenheit Linderung verschaffen zu wollen, wenn sie vier Minuten lang ins Leere schauen, um ihre metaphysische Verunsicherung und existenzielle Entscheidungsinkompetenz auszudrücken, dann grenzt der Film an einen Zustand ironischer Selbstparodie und der Zuschauer an ein Stadium spektakulärer Unbehaglichkeit. Im Einklang mit den fast schon feenhaft erscheinenden Charakteren, die nahezu hypnotisch und willenlos durch den quasi drehbuchfreien Film irren, droht der Zuschauer selbst in ästhetische Lethargie zu fallen.

Folglich: Grenzwertig aber sehenswerter als das so leidenschaftslose Kino der vergangenen Jahre – natürlich mit wenigen Ausnahme wie Malicks intelligentem und gleichfalls polarisierenden „To the Wonder“-Vorgänger „Tree of Life“. Wer existenzielle Romantik mit einem fast philosophischen Konzept ästhetischer Schönheit untermauert sehen möchte – Hin!

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