Einigungswille jenseits der Tauschmacht

Lernen von den alten Griechen. Den alten Griechen gelang es mit Solon und Co. ja mal inneres Unruhe-Potential durch (unfaire) Verwerfungen verursacht durch die freie Wirtschaftsdynamik durch politische Reformen zu entschärfen. Gelingt uns dies heute auch in der EU?

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Am Anfang der antiken demokratischen Phase, der attischen Demokratie, stand ja eine gewählte zeitlich von vorneherein begrenzte Machtstellung von nacheinander Solon, Kleisthenes und Perikles. Darauf hatte sich die alte attisch-griechische Welt damals jeweils verständigt, nachdem, mehr oder weniger, durch die freie Koloniebildung, Verarmung der Agrargesellschaft durch Machtfülle und Ausbeutung durch Großgrundbesitzer und anderen Verschiebungen der Verhältnisse in den attischen Staatstaaten eine Verschiebung der Wirtschafts- und teils politischen Macht in einem Missverhältnis zum Unruhe-Potential der negativ Betroffenen stattgefunden hatte. Um Ausbrüche solcher Unruhen zu vermeiden wurde dann wie bei Solon Einzelnen eine große Machtfülle verliehen, für eine begrenzte Zeit, um die Dinge neu zu ordnen oder wie bei Perikles ihren Reformvorschlägen einfach zugestimmt. Das Ergebnis führte dann Richtung attischer Demokratie und es gab im inneren erstmal Ruhe. So zumindest habe ich es noch in Erinnerung von der Zeit als ich darüber gelesen hatte. Nochmal genauer nachlesen möchte ich jetzt nicht, denn hier soll es nicht um eine historische Wiedergabe gehen sondern um eine Analogie. Damals hatte, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, die wirtschaftlich-freie Dynamik neue Fakten geschaffen und neue Tauschmacht-Zustände, die mit zu großer Wahrscheinlichkeit bei normalen Verhandlungen nicht mehr zu einer Einigung geführt hätten, bei der die mit dem Verhandlungsergebnis Unzufriedenen hinreichend ruhig geblieben wären. Und auch die politischen Institutionen der damaligen Zeit waren nicht mächtig genug der Ruhe förderliche Ergebnisse zu erzielen. Deshalb hatte man sich um Gewaltausbrüche zu verhindern und vielleicht hoffentlich auch aus Fairness auf jemanden geeinigt der mit der nötigen Macht ausgestattet, die Dinge neu regeln sollte. Oder man hat später den Reformvorschlägen einzelner bereitwillig zugestimmt. Diese Reformmaßnahmen waren anscheinend so gut gelungen, dass es dann tatsächlich ruhig blieb und die attische Welt erstmal weiter aufblühte.

Daran sollte sich die EU in den nächsten Jahren besser auch hinreichend orientieren. (Aber zusätzlich fairer und mehr auf "GenugFürAlle"-Kurs sein, nach meinen Werten mit universellem Selbstanspruch.) Auch hier wurde durch die freie Wirtschaftsdynamik in neuen geopolitischen Konstellationen wirtschaftlich aber auch von der Bevölkerungsverteilung her gesehen neue Fakten und Zustände geschaffen, bei denen es schnell passieren kann, dass die Tauschkraftbasierenden Verhandlungen nicht mehr zu Ergebnissen führen, bei denen die negativ Betroffenen von ihrem Unruhe-Potential her gesehen nicht mehr hinreichend sicher genug rein tauschwillig bleiben wollen oder dazu gezwungen werden können. (Um es mal möglichst antrigger-frei zu formulieren.) Und auch die EU bietet wie damals die attische Welt keine hinreichend mächtigen gemeinsamen Institution an, die für Ergebnisse sorgen könnten die hinreichend beruhigend wirken.

Noch dazu kommt ja, dass die neue Wirtschaftsmachtkonstellation durch die ungleichen Karten im Standortwettbewerb der einzelnen EU-Staaten offensichtlich nicht gerecht zustande gekommen waren. Gleichzeitig verschieben sich aber die ethnischen Mehrheitsverhältnisse der Bevölkerungsgruppen innerhalb der "besser gelegenen" EU-Staaten. Und zwar schneller als die Wahlrechtverhältnisse durch Einbürgerung in diesen Staaten. Also immer größere Gruppen haben (noch) keine politische Mitbestimmung in den Staaten sind aber durch (früheres) freies Ausspielen der wirtschaftlichen Machtverhältnisse spätestens mit Blick auf die Entwicklung in ihren Heimatstaaten eher fair nachvollziehbar negativ betroffen. Das könnte sich gewalttätig entladen. Eine Maßnahme dagegen ist schnelleres Einbürgern. Das könnte aber die "Alt-Eingesessenen" in diesen Staaten zu sehr beunruhigen und hätte auch Gewaltpotential. Hinzu kommt noch das Gewaltpotential aus den Staaten heraus die im Standortwettbewerb die schlechteren Karten, einfach Pech haben/hatten oder aus sonstigen Gründen schlechter abschneiden.

Um hier Gewaltausbrüchen und einem dadurch bedingten Niedergang der EU-Staaten zumindest im Vergleich zum Rest der Welt vorzubeugen schlage ich vor, dass das Themen faire, soziale und stabile Neuordnung der Verhältnisse in der EU stärker priorisiert wird. Und das bei den Bürgern und wirtschaftlich und/oder politisch Bessergestellten mehr Reform- und weniger Veto- Wille angemahnt wird. Vor allem bei Fragen der gerechten Verteilung. Wenn man da einfach beim friedlichen Verhandeln seine eventuell gar unfair erworbene Machtfülle (weiter) zu sehr voll ausspielt und politisch alle Reformen "niedervetot" wird es kaum dauerhaft friedlich bleiben. Wie es dann aussieht wenn man nicht bereit ist sich zumindest fair auf neue Verteilungen der Verhältnisse auch jenseits der augenblicklichen Vertragsverhältnisse zu einigen kann man ja zur Zeit leider anschaulich beim Ukraine-Russland Krieg nachvollziehen. Da trifft der Wille auf die "Rückholung" von zu viel auf das Pochen auf die aktuelle Vertragslage für zu viel. Und wenn sowohl die Ost-Europäer als auch die West-Europäer unfair und blind zu viel wollen, weckt das im Rest der Welt bestimmt schlechte Erinnerungen und die denken sich: Schließen wir uns besser mal zusammen und schauen, dass sich dieser (unfair) zu viel Wille nicht wieder gegen uns richtet, vor allem solange die beiden noch die einzigen Atom-Alphamächte sind. Verständlich. Und solange sie die Sache nicht noch anheizen auch fair und vernünftig. Solange ...

Wir brauchen solche Unruhen mit Unmengen an Blut, Leichen und Versehrten nicht auch noch in der Mitte Europas. Daher sollten nicht nur fair-bestrebte wie ich für die Durchsetzung von hinreichenden Reformen werben, eintreten und auch politisch kandidieren (daran mangelt es ja im sozial und sicher, nach innen und außen, Lager weiterhin leider zu sehr) sondern auch diejenigen denen es eigentlich nur um Ruhe geht und die mit dem Status quo für sich eigentlich zufrieden sind. Denn mit Gewalt oder Tricks für Ruhe zu sorgen ist oft teurer als "beruhigende" Reformen und je nach Gewaltpotential-Verteilung auch irgendwann nicht immer möglich.

Besser man schaut, dass man hinreichend Reserven für alles hat, als einfach nach blinder Besitz- und Eigentumsanhäufung. Noch dazu unter fragilen unfairen Bedingungen.

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Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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