Der Schwede kommt: Wählen.

Oder geht er? 11.9.22 Ein sozial und sicher eingefärbtes Kommentar zur anstehenden Wahl in Schweden am 11.9.22.

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Am 11.9 ist ja auch inSchweden wieder Wahl. Von der Rot-Rot-Grünen Koalition blieben da für die aktuelle Legislaturperiode nur die schwedischen Sozialdemokraten übrig. Die sind da ja meist in der Regierung vertreten. Seit Ende November letzten Jahres führt daMagdalena Anderssoneine Minderheitsregierung an.

Die schwedische sozialdemokratische Parlaments- und Regierungstradition geht ja mehr oder weniger vor allem auf den FriedensnobelpreisträgerHjalmar Branting zurück. Dem ersten Reichstags-Abgeordneten und Ministerpräsidenten der „Sveriges socialdemokratiska arbetareparti“ (SAP). Später ging der SAP- MinisterpräsidentPer Albin Hanssonmit seiner „Volksheim“-Rede, als Begründer des schwedischen Modells einesWohlfahrtstaatesin die Geschichte ein.
Wenn man Wikipedia folgt führte das Platzen einer wohl nicht zuletzt durch Steuervergünstigungen begünstigte Immobilienblase zunächst Anfang der 90er zu einerBankenkriseund in der Folge zu sozialen Einschnitten, durch eine gerade nicht sozialdemokratische Regierung, passend zur damals und leider auch zu sehr heute noch globalen anti- Wohlfahrt- oder gleich sozialstaatlichen politischen Stimmung.

Danach, also nach HerrnCarl Bildt, kamen dann mitIngvar CarlssonundGöran Perssonnoch mal Sozialdemokraten an die Regierungsspitze.

Bis 2006 dieAllianz für Schwedenübernahm. Diese Allianz der „Bürgerlichen“ hielt bis 2014, seit dem regiert wieder die Sozialdemokratische Partei (mit) und stellte mitStefan Löfvenwieder den Ministerpräsidenten. Und seit 2021 eben mit Frau Andersson.

In der EU gehört Schweden wegen seiner Lage neben dem Öl- Staat Norwegen und, wie Deutschland wenn auch mehr am Rand, zwischen „Arm und Reich“ zu den Profiteuren des Zwangs zur wirtschaftlichen Freiheit im gemeinsamen Binnenmarkt. Und ebenso wie Deutschland sind sie in den letzten Jahren nicht gerade als treibende Kraft hin zu einem zumindest nachhaltig hinreichend sozialen Europas aufgefallen. Auch ein gemeinsamer Markt liefert eben nur das was man bei ihm bestellt und bezahlt. Und wenn da kein hinreichender Anteil der Wirtschaftskraft und des gemeinsamen Ertrags für den Süden und Osten dabei war, läuft man Gefahr sogar die strategische Fairness und Solidarität zu unterlaufen und riskiert dadurch zu viel Unruhe.

Eigentlich müsste sich jeder Schwede genau wie jeder Deutsche, Italiener, Franzose oder sonst ein Europäer fragen: Was brauche ich über mein aktuelles Einkommen und Auskommen hinaus mit Blick auf die Zukunft und die der nächsten Generation. Dann müsste er sich eigentlich schon von selbst Gedanken über die Umwelt machen, denn wenn der Planet für zu viele nicht mehr genug Ertrag und Platz bietet wird sich das auch bald sogar in Schweden bemerkbar machen. Okay, Klimaerwärmung würde dort vielleicht zu mehr Ertrag und Platz führen zumindest wenn das Ex- Eis nicht zu Überschwemmungen sorgt, aber Schweden ist eben auch „keine Insel“ und wird negative Auswirkungen für andere auch irgendwann zu spüren bekommen.

Als nächstes wird sich der smarte Schwede dann Gedanken über seine physische Sicherheit machen. Mit wem zusammen ist er in einem Verteidigungsbündnis? Die Frage beschäftigt Schweden ja gerade besonders. Mittlerweile ist für militärischen Schutz im Westen ja eine Nato- Mitgliedschaft scheinbar obligatorisch. Na ja, da, soweit ich weiß, Russland keinen Militärhafen in einer Region in Schweden hat, welche es denen mal als quasi Zeichen ewiger Verbundenheit geschenkt hatte und dort auch keine Landbrücke braucht, droht wohl Stockholm oder Uppsala keine Russeneinfall als Ablenkungsmanöver, zur „Entnazifizierung“ oder warum auch sonst immer.

Auch die Finnen sollten da wohl „save“ sein. Zumindest solange sie das atomare Gleichgewicht nicht gefährden. Naja, die werden kein Kuba werden wollen.

Aber zurück zur Sicherheit des Schweden. Also er wird eine hinreichende Verteidigungsunion anstreben. Der konsequente soziale Schwede wird da auch selbst seinen Beitrag auch für andere Nationen anstreben oder auf Pflichtdienst setzen, der unsoziale überdurchschnittliche auf eine „hinreichende Marktlösung“ und möglichst wenige unnötige andere im Bündnis setzen wollen.

Beide werden aber hoffentlich hoffen, dass solch ein Bündnis zumindest die strategische Fairness auch nach außen nicht vergisst. Zuviel Feind wegen eigener Unfairness ist eben weder ehrbar noch „nachhaltig“.

Überlegungen zur durchdachten Fairness nach außen, sind aber gerade nicht das wodurch die Nato nach meiner Meinung aktuell auffällt. Sonst würde sie einerseits die Ukraine dazu drängen den Militärhafen (also die Krim) und eine hinreichende, passende Landbrücke (also wesentliche Teile des Donbass) als Teil Russlands anzuerkennen, die Ukraine aber ansonsten auch zumindest mit aller verfügbarer Militärausrüstung ausstatten und auch im Rahmen des möglichen aktiv militärisch unterstützen. Ein Angriffskrieg einfach nur zum Einverleiben von Ex-Regionen ist nicht akzeptabel und recht schnell auch nicht tolerabel. Bei einem Angriff für den fairen Anteil und erst recht für das Kleinere des nachhaltigen Genug und des Fairen sieht die Sache aber natürlich anders aus. Da ist nun mal schon rein logisch der Verteidiger der unfaire bis existenzbedrohende. Also der Täten. Zu einem Krieg gehören eben immer zwei. Zu viel sollte man nicht verteidigen. Das gilt auch für die Nato. Und natürlich auch Russland in Bezug auf Öl und Gas.

Dadurch dass die Nato diese Position nicht einnimmt, treibt sie die Ukraine aber auch in die Hände derer, die für Militärausrüstung die Chance auf die nachhaltige oder zumindest möglichst lange Schwächung Russland zumindest unterbewusst erwarten. Wenn Kiew nur so an Waffen kommt und Russland sich nicht auf das nachhaltige Genug für sich oder andere beschränkt und über das Faire zumindest erst mal offenen verhandelt anstatt gleich einzufallen, kann man aber zumindest verstehen wieso die Regierung in Kiew da „schwach wird“ und von der „Rückeroberung“, wohl eher erstmaligen Eroberung der Krim fabuliert und „tätert“. Die Nato darf nicht Pro-Ukrainisch, egal ob zum Schein oder echt, sein sie muss Blauhelm (Uno; aber auch ohne Mandat eben mit universell moralischem Selbstanspruch legitimiert) sein. Oder zumindest Blau- Waffenlieferant.

Es ist eben auch für den Schweden die Frage: Sicherheit um welchen moralischen Preis. Und auch eine Frage der Nachhaltigkeit.

Damit wären wir auch bei dem Punkt der Zukunftstauglichkeit. Dem Schweden wird es wohl nicht nur um sein aktuelles Genug und Mehr gehen, sondern auch um solches in der Zukunft.

Er wird also wenn er clever ist eine Union anstreben, welche zumindest seine Grundsicherung nachhaltig auch in Zukunft garantiert. Also seinen hinreichenden Anteil vom Gesamtertrag. Durch das schwedische Modell hat Schweden da sogar mal eine Vorreiterrolle bei der Grundsicherung und mehr innerhalb des eigenen Staates übernommen. Aber in der EU gibt es eine solche gemeinsame Grundsicherung nicht. Nur den Zwang die Marktkräfte mehr oder weniger frei walten zu lassen. Dass dies aber mit sozialen, ökologischen, Sicherheits- und Zukunftsorientierten Zielen nicht hinreichend vereinbar ist wurde nun wirklich schon oft genug gezeigt und war bis in die 1990er hinein eigentlich auch Konsens. Aber der aktuelle Überschuss hat den Norden Europas für solche sozialen nachhaltigen Überlegungen blind gemacht. Wir sind in ein destruktives jeder gegen jeden auf zwischenstaatlicher Ebene rein geschlittert. Auch die gemeinsame Pandemiefolgen Bekämpfung in der EU ist da leider noch kein sicheres Anzeichen dafür, dass diese Phase nun überwunden ist. Firmen bei externen Schocks wie einer Pandemie zu retten bringt jedem unmittelbar mehr als es Kosten würde diese pleite gehen zu lassen. Zumal wenn es sich um wichtige Zulieferfirmen handeln. Solche Firmen sind auch in einem freien unregulierten, unpriorisierten und nicht aktiv ausgeglichenen Markt ohne Krisen Überlebensfähig. In einem gemeinsamen Markt stellt sich aber die Frage wie man struktureller Arbeitslosigkeit, regionaler Ungleichheit und Wanderbewegungen der Produktionsfaktoren vor allem in der Initialisierungsphase begegnen kann, damit da zumindest die Grundsicherung nicht zusammenbricht und kein zu großes Machtgefälle entsteht. Die nötige Einsicht dafür und sei es nur zumindest soweit, dass es zumindest hinreichend ruhig bleibt, ist aber leider noch nicht wirklich hinreichend zu erkennen. Eher eine Gern- und Bequem- Gläubigkeit an irgendwelche Automatismen. Das könnte sich leider wieder so lange halten bis es zu spät ist. Zumindest für einen unabhängigen Westen. Das gilt leider auch für Schweden.

Die Zeit in der man im Westen international machen konnte was einem gerade in den Sinn kommt und sich um Fairness und das Wohl der anderen keine Gedanken machen musste ohne die Konsequenten fürchten zu müssen ist glücklicherweise mehr oder weniger (wieder) vorbei.

Von dieser Einsicht dürfen wir uns auch durch die Corona-Pandemie, Kriegen oder der Klimakrise nicht abhalten lassen.

Spätestens beim Staaten-Teilkollektive begünstigendem Standortwettbewerb mit ungleichverteilten Karten sind leider auch die nationalen Gewerkschaften und die nationalen Sozialdemokratischen Parteien stark in der Versuchung, wenn sie da von Natur aus bei den Standorten begünstigt sind, mit den anderen Freimarkt- und Status-quo Profiteuren gemeinsame Sache zu machen und dabei blind für die langfristigen Entwicklungen zu sein. Also affektiv Verteilungskonservativ.

Für den Erhalt der Gemeinschaft und das eigene nachhaltige Wohlergehen ist das aber eben selten vorteilhaft.

Es kommt eben darauf an, was man erhalten und sichern will. Auch konservativ ist eben relativ.

Eigentlich sollten gerade klassisch konservative Parteien diejenigen sein, die darauf achten, dass man es mit dem Eigennutz und der Gut- und Gerngläubigkeit nicht übertreibt. Aber wenn es darum geht etwas am der Verteilung der Nachhaltigkeit und/oder für andere zu ändern, sind die eben wohl vor allem zu vorsichtig. Oder nehmen das als Vorwand. Denen wird man die Konsequenzen von zu wenig Verteilung des gemeinsamen Ertrags aber auch schon der Wirtschaftskraft wohl plastische vor Augen halten müssen bis sich da mal was tut. Zu den Vorsichtigen gesellen sich eben auch immer diejenigen, die genau dass ausnutzten wollen.

Denn in einer vom Privatkonsum getriebenen Wirtschaft muss eben auch jeder privat zumindest genug haben und das geht nur über hinreichende Verteilung. Und dass, wenn jeder einfach nur tut und lässt was er will am Markt da keine hinreichende Verteilung rauskommt sollte gerade den Vorsichtigen klar sein. Und wenn sie da, aus Vorsicht, nicht zu viel aber auch nicht zu wenig geben wollen, sollte ihnen klar sein, dass man da eine Institution braucht die darauf achtet, dass es für jeden ausgewogen ist, und auch über die nötige Macht verfügt. Und dass es nicht gut sein kann, dass wir in der EU zwar einen Zwang zum gemeinsamen Markt haben aber eben keine solche Institution.

Also liebe mit Vorsichtigen: Auf die Barrikaden !!! Bis entweder dieser Zwang hinreichend abgebaut oder solch eine Institution geschaffen wurde. Und zwar nicht nur zum Schein.

Für Schweden heißt das, wählt zumindest hinreichend gemeinschaftlich, nach Innen und nach Außen.

Und bringt von oben, Norden, herab nicht im „guten“ Glauben zu viel zum Einsturz.

Und wenn unser Schwede sozial ist, wird er auch das Wohl anderer im Auge haben und zwar nicht nur strategisch motiviert, obwohl sich hinreichend Soziales da durchaus heraus ableiten lässt. Und er wird eine Partei wählen die sich genau auch dafür einsetzt auch in der EU und im globale Rahmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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