Verfassung: "The rich man" vs. "The poor man"

"The Limits of Liberty" "The rich man" vs. "The poor man" aus "The Limits of Liberty" von James M. Buchanan

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„How can the rich man (or the libertarian philosopher) expect the poor man to accept any new constitutional order that severely restricts the scope for fiscal transfer among groups?“ (Seite 224)

„Wie kann der reiche Mann (oder der libertäre Philosoph) erwarten, dass der arme Mann irgendeine Verfassungsregel akzeptiert, welche in weitem Umfang den Handlungsspielraum für finanzielle Transfers zwischen Gruppen einschränkt?“

„Suppose that the rich man offers to transfer to the poor man one-third of his asset, with a gross income of $33,333, in exchange for the latter’s agreement to reduce the size of the governmental budget to zero.“ (Seite 225)

„Nehmen wir einmal an, dass der reiche Mann dem armen Mann anbieten würde ihm ein Drittel seines Vermögens, mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von $33.333, zu überlassen, falls dieser im Gegenzug zustimmen würde das Regierungsbudget auf null zu reduzieren.“

Diese beiden Sätze sind wohl die beiden entscheidenden in Herr Buchanan’s Buch.
Was kostet es den reichen Mann, der wohl symbolisch für alle Reichen, mit solchen Ambitionen stehen kann, sein Vermögen und seine Einkünfte daraus aus dem demokratischen Machtbereich zu befreien?

Ein Drittel?

Das wird wohl dem ein oder anderem reichen Mann, mit solchen Ambitionen, noch zuviel sein.

Eine der Kern Aussagen von Prof. Buchanan ist ja, zumindest nach meinem Verständnis, dass man Verfassungenregeln nicht nach Werten, wie zum Beispiel durch die moralphilosophische Originalposition von Aristoteles über Kant bis John Rawls, versuchen sollte gemeinsam herauszuarbeiten, sondern, da man da sowieso keine Einigung drüber erzielen könnte, durch Verhandlungen nur solche Regeln, und ohne Regel kein staatlicher Handlungsspielraum, in die Verfassung aufnehmen sollte, beziehungsweise drin lassen sollte, welchen jeder freiwillig zustimmt.

Also auch der reiche Mann, der demokratische Zugriffsmöglichkeiten auf sein Vermögen und die Einkünfte daraus komplett ablehnt. Und das wird natürlich nur passieren wenn „die Armen“ ihm was dafür anbieten können.

Und „freiwillig zustimmen“ ist nicht mit dem Kant’schen „freiwillig zustimmen können“ zu verwechseln. Letzteres steht für die ethische Frage, wann man zustimmen könnte. Ersteres einfach nur dafür, wann man meint davon hinreichend zu profitieren. Wiederum zumindest nach meinem Verständnis.

Also alles Verhandlungssache. Und eine Frage wie viel wer weiß und was man für Vorteilhaft für sich hält. Das lädt natürlich dazu ein mehr oder weniger deutlich durch Verschleierung zu täuschen.

Und genau dafür scheint die Historikerin Frau Prof. Nancy Maclean vom der Duke University in den USA nun im Nachlass von James M. Buchanan an der George Mason Universität ebenfalls in den USA nun Beweise oder zumindest Hinweise gefunden zu haben. Und diese hat sie 2017 in ihrem Buch „Democracy in Chains“ veröffentlicht.

Herr Buchanan, er ist 2013 verstorben, hatte an, u. a. von den Koch- Brüdern finanzierten, Institutionen an dieser Universität geforscht und war zum Beispiel auch Mitglied der Mont Pelerin Society, welche von F. A. Hayek gegründet wurde.

Und von Herrn Hayek stammt eben auch jener Aufsatz „Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse“ aus dem Jahr 1939, der sich auch nochmals in der 2.Auflage dessen Buches „Individualismus und wirtschaftliche Ordnung“ von 1976 als letztes Kapitel befindet.

Da hatten schon sowohl Wolfgang Streeck als auch Dirk Jörke und später auch ich, darauf hingewiesen, dass Herr Hayek dort die Möglichkeit einer Schaffung eines gemeinsamen verfassungsrechtlich verankerten freien Wirtschaftsraums ohne gleichzeitig neue supranationale, durch einfache Mehrheitsentscheide, sozialpolitisch handlungsfähige Institutionen entstehen zu lassen als eine gute Möglichkeit zur Etablierung eines Verfassungsraumes zur Garantie wirtschaftlicher Freiheiten und der (fast) freien Verfügungsgewalt über eigenes privates Eigentum bei gleichzeitiger Zurückschrumpfung des demokratisch legitimierten Handlungsspielraums maximal auf Nachtwächterstaats- Niveau, geschildert hatte. Oder um es mit den Worten von Dirk Jörke zu beschreiben, der Vorteil aus Hayek’scher Sicht wäre, dass „durch eine supranationale Konstitutionalisierung wirtschaftlicher Prozesse, demokratische Mehrheiten − etwa mit Forderungen nach Steuererhöhungen, öffentliche Schulden oder Arbeitsschutzmaßnahmen − ins Leere laufen [würden]“ und „dass sich auf der supranationalen Ebene kein gemeinsamer demokratischer Wille herausbilden könne, dafür seien die nationalen Kulturen und Egoismen zu stark ausgeprägt. „

Deshalb halte ich es für sehr wichtig, dass wir in Deutschland noch vor der nächsten Bundestagswahl einmal über James M. Buchanan und den Einfluss seiner ehemaligen Forschungskollegen in Deutschland in hinreichendem Umfang diskutieren.

Denn sehr viele Wirtschaftsethiker und Ökonomen in Deutschland berufen sich, zumindest teilweise, auf Herrn Buchanan, ebenso haben oder hatten einige ehemalige Forschungskollegen von ihm nicht gerade uneinflussreiche Positionen inne (kann man in meinen Beiträgen nachlesen).

Und wenn man bedenkt wie viele „Verfassungsbremsen“ im Moment als angeblich alternativlos und für die Bürger vorteilhaft, zumindest für genügend nützliche, beworben werden, z. B. die Sozialabgabenbremse, drängt sich solch eine Diskussion noch mehr auf. Nicht zuletzt, da laut Herrn Jörke auch schon bei der Schuldenbremse Herr Buchanan einer der geistigen Väter gewesen sei.

Und wir sollen auch über die Ähnlichkeit der Situation in den USA zu Zeiten des Roosevelt’schen New Deals, mit denen in der EU aktuell diskutieren. Und über die Frage wer hier wirklich in der Rolle des „reichen Mannes“ oder „armen Mannes“ ist, und dass man aufpassen sollte, dass man sich nicht aus vermeintlichem eigenen Vorteil zur Zustimmung für staatliche sozialpolitische Beschränkungen in der Verfassung verführen lässt, die man nicht tatsächlich als moralisch ethisch gerechtfertigt ansehen kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

KSLP

Sozial. Sicher. Standhaft. Je nach innen und außen. Und relativ konservativ. :)

KSLP

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