Die Juden-Monologe

Theater-Kritik Zwei Uraufführungen befassen sich zum Auftakt der "Radikalen Jüdischen Kulturtage" mit dem deutsch-israelischen und deutsch-jüdischen Verhältnis.

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Sesede Terziyan betritt im Abendkleid die kleine Studiobühne: Stolz präsentiert sie eine Hirschtrophäe von ausgesuchter Hässlichkeit und bedankt sich in einer Parodie auf eine typische Preisträgerinnen-Rede bei den Sponsoren, bei der Jury und natürlich ihrer Mutter. Als dieser Gag schon um einige Minuten zu sehr in die Länge gezogen ist, schlägt der Text von Sivan Ben Yishai eine überraschende Volte: Die Performerin steigert sich plötzlich in die Schilderung einer Serie von Lustmorden an ihren blonden, deutschen Bräutigamen hinein. Sesede Terziyan wirft sich mit vollem Karacho in die Rolle hinein, tigert durch die Reihen, fordert das Publikum heraus und landet schließlich beim eigentlichen Thema: den verkrampften deutsch-israelischen Beziehungen.

Polemisch macht sich die in Israel geborene und in Berlin lebende Autorin Ben Yishai über den Kulturbetrieb lustig, der sich so gerne in wohlfeilen Aktionen und dem guten Gefühl sonnt, auf der politisch richtigen Seite zu stehen. Die fiktive jüdische Vorzeigekünstlerin, die Terziyan spielt, wird zum Darling der Saison hochgejubelt und genießt die Momente des Ruhms. Wie verkrampft das ganze Arrangement ist, von dem alle Seiten profitieren, zeigt der Text mit bösen Seitenhieben auf die Militäreinsätze der rechts-nationalen israelischen Regierung Netanjahu in Gaza. Lustvoll bohrt Ben Yishai in der Wunde der Sprachlosigkeit der offiziellen deutschen Regierungspolitik zu diesem Thema. In einer weiteren ironischen Volte karikiert der Abend die sehr umstrittene Kunstaktion „Flüchtlinge fressen“ des Zentrums für politische Schönheit und den Medienrummel um die Tiger im Käfig auf dem Gorki-Vorplatz im Sommer 2016. Solche Insidergags haben „Die Juden-Monologe“ reihenweise zu bieten.

Sesede Terziyan ist in einer ihrer stärksten Rollen am Gorki zu erleben. Die erfahrene Autorin Sasha Marianna Salzmann hat den Text bei ihrem Regie-Debüt gut eingerichtet. Sivan Ben Yishai beeindruckt mit ihrer sehr eigenen Mischung aus leisen, poetischen Passagen und Kraftmeierei. Wie schon in ihrem vorherigen Stück „Your very own double crisis club“ erliegt sie aber der Gefahr, sich von ihrer Fabulierlust wegtragen zu lassen und den Text mit zu vielen Themen und Paukenschlägen zu überfrachten.

Nach einer kurzen Pause war Till Wonka mit der Uraufführung von Max Czolleks „Celan mit der Axt“ an der Reihe, die von Sapir Heller in Szene gesetzt wurde. Dieses Stück ist ein galliger Streifzug durch die komplizierten deutsch-jüdischen Beziehungen nach Auschwitz. Wonka versetzt sich in die Rolle des zitternden Paul Celan, der mit seiner „Todesfuge“ aus dem Pariser Exil zur Tagung der „Gruppe 47“ anreist und mit dieser sensiblen Klage über die Holocaust-Opfer gnadenlos durchfiel. Anschließend spricht er Passagen aus dem berühmten TV-Interview von Günter Gaus mit Hannah Arendt nach, das auf der Bühne leider genauso verqualmt ist wie die originale Studioaufnahme. Martin Walsers Paulskirchenrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, bei der er im Herbst 1998 über die „Moralkeule“ Auschwitz klagte und einen wochenlangen Feuilletonstreit mit Ignatz Bubis auslöste, lässt diese Inszenierung in den Techno-Beats untergehen, die damals die Charts dominierten.

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