Eigentlich sollte mit dem „Faust“ Schluss sein. Dieser siebenstündige Gewaltakt, der Goethes Klassiker mit dem Kolonialismus in Beziehung setzt, war als Frank Castorfs letzte Inszenierung an der Volksbühne angekündigt.
Er hätte sich zurücklehnen und die Lorbeerkränze, die ihm zum Abschied geflochten werden, genießen können. Im seit zwei Jahren erbittert geführten Meinungskampf um die Zukunft des Hauses schlug das Pendel in den vergangenen Wochen merklich zu seinen Gunsten aus: Das Team seines Nachfolgers Chris Dercon musste nach der Programm-PK viel Kritik einstecken, da ein Ensemble nicht mal in Umrissen zu erkennen ist und der Spielplan der ersten Monate zu viele Lücken und Schließtage aufweist.
Aber Frank Castorf stürzte sich sofort wieder in die Arbeit. Nur einen Monat, bevor der letzte Vorhang fällt, brachte er noch ein Satyrspiel auf die Bühne, das nur fünf Vorstellungen erleben wird. Die pausenlosen vier Stunden wären im Spielplan jedes anderen Berliner Hauses ein schwerer Brocken, an der Volksbühne schlenzt ihn Castorf als kleinen Abschiedsgruß für seine treue Fangemeinde heraus.
Sein letzter Abend „Ein schwaches Herz“ ist nach einer wenig bekannten Erzählung von Castorfs Lieblingsschriftsteller Dostojewski benannt. Die Motive werden – wie üblich sehr frei assoziierend – mit anderen Stoffen kombiniert, bis auch die konzentriertesten Zuschauer den Überblick verlieren, durch welche Handlungsebene die Spielerinnen und Spieler gerade toben.
Leider fehlt diesem Abend, was eine gelungene Castorf-Inszenierung ausmacht: die Kabinettstücken und Highlights, die unvermittelt aus dem assoziativen Mäandern auftauchen. Diese funkelnden Glücksmomente machen selbst in den sehenswertesten und gefeiertesten Castorf-Regiearbeiten höchstens 1/3 der Spielzeit auf, trösten aber über Längen, Stagnation und quälende Leere hinweg, die an keinem Castorf-Abend fehlen.
Diesmal sind die Glücksmomente trotz langjähriger Castorf-Weggefährten wie Kathrin Angerer und Georg Friedrich auf ein Minimum reduziert. Selbst Nachtkritiker Christian Rakow, dessen Abschiedsschmerz aus jeder Zeile seiner Rezension spricht, musste zugeben: „Die Inszenierung war fahrig, zerfahren, unfertig, stagnierend, mäandernd, wenngleich in ihrem Anliegen lesbar. Sie war kein Vergnügen.“ Die unbequemen Sitzsäcke tun ihr Übriges, so dass sich der Saal spürbar leerte.
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