"Ein Volksfeind" am Burgtheater

Theater-Kritik in Wien Jette Steckel und ihr Vater Frank-Patrick Steckel haben Ibsens Klassiker behutsam modernisiert. Der Neufassung des Polit-Öko-Dramas fehlt aber der erwartete Biss.

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Jede Inszenierung von Ibsens "Ein Volksfeind" steht und fällt mit dem 4. Akt, in dem der Arzt Tomas Stockmann eine Volksversammlung einberuft und dem versammelten Establishment Vertuschung, Betrug, Geldgier und die Inkaufnahme tödlicher Gefahren durch das verseuchte Wasser vorwirft.

Auch Jette Steckels Inszenierung am Wiener Burgtheater hat hier Ihren stärksten Moment. Joachim Meyerhoff hat ein großes Solo, in dem er die wütende Anklage vorträgt, die ihm Frank-Patrick Steckel auf den Leib geschrieben hat. Er prangert die Politik vermeintlicher Alternativlosigkeit, steigert sich aber zum Glück nicht in die präfaschistische Sprache hinein, die In Ibsens Original zu lesen sind, der seinem Stockman Tiraden gegen menschliches Ungeziefer, das zertreten werden muss, in den Mund legt.

Der Badearzt Stockman aus Steckels behutsam modernisierender Neufassung ist ein wesentlich differenzierter argumentierender und handelnder Kopf, der zum Sympathieträger taugt und nicht als tragikomischer Held mit dem Kopf gegen die Wand rennt und untergeht.

Aber auch Steckels Stockman ist in seinem Widerstand natürlich nicht erfolgreich. Wie ein Zwerg wirkt er inmitten der überlebensgroßen norwegischen Zipfelmützen-Trolle, die als Volksmenge seinen Aufruf, gemeinsam das Kurbad zu stürmen, regungslos über sich ergehen lassen und ihn schließlich von der Bühne drängen. Er kapituliert und lässt seinen Frust am Publikum aus, das den ganzen Abend nur mit "amüsierter Apathie" an sich vorbeiziehen lasse. Kein Vergleich zu früher, als es im Burgtheater noch zu regelrechten Tumulten kam, mosert Meyerhoff in einem kurzen Seitenhieb auf die legendäre "Heldenplatz"-Premiere 1988.

Für einen kurzen Moment war mal richtig Stimmung in der Bude. Bis dahin verlief der Abend tatsächlich sehr wohltemperiert, so lassen sich vor allem die ersten anderthalb Stunden bis zur Pause zusammenfassen. Angesichts des explizit politischen Anspruchs, den Vater und Tochter Steckel in Vorberichten und im Programmheft betonten, war dies doch überraschend.

Nach der Pause dominierten zunächst Slapstick-Kabinettstückchen. Wer solche Könner wie Mirco Kreibich (als Bürgermeister Peter Stockman) oder Ole Lagerpusch und Matthias Mosbach (als trottelig-zottelige Karikaturen salonlinker Zeitungsredakteure) zur Verfügung hat, kann sich dies erlauben. Ihre Wortgefechte und Eiskunstlauf-Pirouetten auf Schlittschuhen sind lustig anzusehen.

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