Folterknechte und Spekulanten

Kino-Highlights In diesem Kinojahr folgt ein interessanter Polit-Film auf den nächsten. Die Auswahl fällt schwer, empfehlenswert sind "El Clan" aus Argentinien und "The Big Short".

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„El Clan“: sehenswerter Politfilm über mörderische Familie auf dem holprigen Weg zur Demokratie

Das argentinische Drama „El Clan“, der mit dem Untertitel „Verbrechen ist Familiensache“ in den deutschen Kinos startete, sollte man sich unbedingt ansehen.

Wir schreiben das Jahr 1983: Die argentinische Militärjunta musste nach sieben Jahren abtreten. Als bei den Präsidentschaftswahlen Raúl Alfonsín von der Unión Cívica Radical gewann, hielten die Mitläufer und Stützen des alten Regimes dies nur für ein „vorübergehendes linksliberales Experiment“, wie sie sich auch im Film „El Clan“ gegenseitig versichern.

Sie trafen noch einige Vorkehrungen vor dem Machtwechsel: „In ihren letzten Tagen versuchte die Regierung hauptsächlich, die Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen von sich zu schieben. Im sogenannten „Befriedungsgesetz“ oder „Selbstamnestiegesetz“ wurde deklariert, alle gerichtlichen und polizeilichen Entscheidungen aus der Zeit zwischen 1973 und 1982 zu annullieren. Das Gesetz wurde jedoch bereits in einer der ersten Sitzungen des demokratisch neugewählten Parlaments annulliert.“

Die Junta hinterließ eine Spur des Grauens: brutale Folter in Geheimgefängnissen und zahlreiche Morde an Oppositionellen gehen auf das Konto dieses Regimes. Archímedes Puccio entschied sich, aus seiner langjährigen Erfahrung als Folterknecht ein Geschäftsmodell zu machen: gemeinsam mit einigen Handlangern entführte er Familienmitglieder aus der argentinischen Oberschicht, quälte sie im Keller seines Hauses mitten in Buenos Aires und erpresste Lösegeldforderungen. Als Lockvogel setzte er seinen Sohn Alejandro ein. Als Star der Rugby-Nationalmannschaft hatte er Kontakt zu potentiellen Opfern aus dem Establishment und konnte ihre Lebensgewohnheiten ausspionieren, so dass der Familien-Clan möglichst geräuschlos zuschlagen konnte.

Der Film „El Clán“ beruht auf einer wahren Geschichte, die sich, wie Regisseur Pablo Trapero versichert, in den Jahren 1983-85 auf dem holprigen Weg der Transformation Argentiniens zur Demokratie tatsächlich zutrug. Er verwendete für seinen Film die Akten und Zeugenaussagen des Gerichtsprozesses gegen den Puccio-Clan. Darüber spricht der Regisseur auch in einem Interview mit der SZ, das man jedoch, wenn man Spoiler vermeiden will, erst nach dem Kinobesuch lesen sollte.

Für die beiden Hauptrollen fand Trapero glänzende Besetzungen: Guillermo Francella spielt den Patriarchen als ehrenwerten Mann mit bürgerlichen Umgangsformen und eiskalt-stahlblauen Augen. Peter Lanzani verkörpert den Sohn mit unschuldigem Dackelblick und Wuschelkopf.

Die Geschichte ist nicht als klassischer Thriller erzählt. Um den Aufbau von Spannung geht es nur in zweiter Linie. „El Clan“ lohnt sich vor allem als Studie einer von Diktaturerfahrungen traumatisierten Gesellschaft mitten im Umbruch. Ästhetisch lässt sich der Film keinem Genre zuordnen. Er nimmt natürlich Anleihen beim Thriller, aber auch beim Melodram, beim Film Noir und experimentiert mit Popsongs aus den 80ern, die einigen Szenen unterlegt sind. Dieser Stil-Mix ist eine kleine Schwäche des Films. Vermutlich hätte Pedro Almodóvar, der den Film co-produzierte, aus diesem Stoff noch mehr herausholen können, als der international noch recht unbekannte argentinische Regisseur Trapero.

Dennoch ist allein der Plot schon so interessant, dass sich ein Kino-Besuch lohnt. In Argentinien wurde dieser Film zum Kassen-Hit, die Jury der Filmfestspiele von Venedig zeichnete ihn im September 2015 mit einem Silbernen Löwen aus. Seit 3. März 2016 läuft der Film in den deutschen Kinos.

Webseite und Trailer

„The Big Short“: Satirisches Kino-Porträt der Lemminge auf dem Weg zum Crash

„The Big Short“ hätte gründlich schief gehen können. Dass ausgerechnet Adam McKay eine gelungene Verfilmung des Sachbuch-Bestsellers „The Big Short: Inside the Doomsday Machine“, des Wirtschaftsjournalisten Michael Lewis gelingen könnte, ist wirklich nicht naheliegend.

Zwischen diesem Buch, das von der FAZ schon 2010 als eines der kenntnisreichsten und informativsten Bücher über den Finanzmarkt-Crash von 2008 ff. empfohlen wurde, und McKays bisherigem Filmschaffen liegen Welten. Er fiel in den vergangenen Jahren vor allem als Regisseur von Will Ferrell-Filmen wie „Anchorman“ und „Ricky Bobby – König der Rennfahrer“ auf: „Pubertäre Jungskomödien“, wie ZEIT Online schrieb, die WELT bezeichnet ihn als „Teil der Männer-werden-nie-erwachsen-Spaßblase um Judd Arpatow“.

Angesichts dieser Vorgeschichte ist „The Big Short“ eine erstaunlich ernsthafte, „geerdete“ (Filmstarts.de) Aufarbeitung der Ära, als die Banker sich gegenseitig darin überboten, Ramschpapiere in hübscher Verpackung und mit angeblich bester Bonität zu verkaufen, bis sich die Risiken zu einer gewaltigen Spekulationsblase anhäuften. Der Film porträtiert die skrupellosen Geschäftemacher, die Mitläufer, die Zocker, die nur auf das schnelle Geld und Partys aus waren, und beschreibt präzise, wie die Lemminge gemeinsam dem Abgrund entgegen strömten und alle Warnungen als lächerlich abtaten.

„The Big Short“ zeigt aber auch die Stimmen, die früh darauf hinwiesen, dass hier etwas gewaltig schiefläuft: Eine der Hauptrollen spielt Christian Bale als Hedgefonds-Manager Michael Burry, ein Außenseiter und Analytiker-Nerd, der sich durch die Zahlenkolonnen wühlte und zu dem Schluss kam, dass diese Rechnung niemals aufgehen kann. Die meisten schlugen seine Mahnung in den Wind. Einige waren schlau genug, aufs richtige Pferd zu setzen, so z.B. Jared Vennett (Ryan Gosling), der sich im „House of Cards“-Stil immer wieder ans Publikum wendet und triumphierend mit aasigem Grinsen von seinen neuen Winkelzügen berichtet, bevor er am Ende absahnt. Als cholerischer Kritiker der Missstände an der Wall Street mischt Mark Baum (Steve Carell) regelmäßig die Meetings seiner Bank auf. Er hat ebenso wie die beiden Jungs vom Land (Finn Wittrock und John Magaro), die vom Durchbruch träumen und einen Wallstreet-Aussteiger (gespielt von Brad Pitt, der den Film auch co-produzierte) als Mentor haben, das richtige Näschen.

Der Film „The Big Short“ jongliert mit all den Abkürzungen wie CDOs und ähnlichen Schrottpapieren, die zum Crash 2008 führten. Das Fachchinesisch wird anschließend in kurzen satirischen Einspielern anschaulich erklärt, z.B. von Margot Robbie, die im Schaumbad ihren Champagner schlürft, oder von Selena Gomez am Roulette-Tisch.

Auch wenn dem Publikum während dieser rasanten, von ZEIT Online als „adrenalgeschwängert“ bezeichneten Parforce-Tour durch die Welt des Finanz-Turbokapitalismus die Begriffe manchmal nur so um die Ohren fliegen, ist die Botschaft dieses lohnenden Psychogramms der Banker-Welt allgemein verständlich und leider zutreffend: Als die Krise eintrat, wurden die Verluste sozialisiert, die Gewinne privatisiert. Ein großes Umdenken hat aber nicht stattgefunden, das Casino bleibt geöffnet, es darf weiter gezockt werden.

„The Big Short“ startete bereits am 15. Januar in den deutschen Kinos und bekam einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch (nach dem oben erwähnten Bestseller von Michael Lewis).

Webseite und Trailer zu „The Big Short“

Die Filmkritiken sind zuerst hier erschienen: http://kulturblog.e-politik.de/

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