"Nach uns das All" am Gorki Theater

Theater-Kritik Teil III der Kooperation von Sibylle Berg (Text), Sebastian Nübling (Regie) und Tabea Martin (Choreografie) schickt die wütenden Frauen auf den Mars.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mit dem Blick auf die tektonischen Verschiebungen im Parlament, dem Schrumpfen der ehemals so stolzen Volksparteien und dem Einzug der rechten AfD ist dem Letzten klar geworden. Der gemütliche Rückzug in den eigenen Kokon funktioniert nicht mehr. Europa steht unter Druck, die Briten kehren dem Kontinent den Rücken und die Demokratie erlebt einen Stresstest nach dem Anderen.

Dieses sogenannte Draußen sagt vielen von uns immer noch nichts und wird jeden Tag unübersichtlicher. Aber die vier Mädels haben kapiert: Sie müssen sich der Realität stellen. „Wie können wir uns wieder vertragen mit den Brexit-Wählern, den Reichsbürgern, Identitätern, Chemtrailspezialisten, den Orbán-Wählern, den Putin-Buddys, den Erdogan-Fans, und die sich mit uns, den anderen, der anderen Hälfte, die auch nicht recht hat“, fragt Sibylle Berg auf dem dünnen Begleitzettel zu diesem Abend.

Die Frauen haben eine Exit-Strategie entdeckt: sie wollen dem Chaos auf der Erde den Rücken kehren, an einer Casting-Show für die Mars-Mission teilnehmen und dort neu anfangen. In orangenen Overalls, die wie eine Mischung aus Raumfahrerinnen-Anzügen, Guantánamo-Häftlingskleidung und mit Werbelogos zutapezierten Formel 1-Outfits daherkommen, tasten sie sich wie in Zeitlupe auf die Bühne.

Langsam erobern sie sich den Raum und legen dann wieder los, mit diesen furiosen Wortkaskaden und rhythmischen Stampf-Choreographien, die zu einem Berg/Nübling/Martin-Abend gehören wie das Laserschwert zu „Star Wars“, der Sabber zum „Alien“ oder die schrägen Klamotten zu „Jack Sparrow“, um andere erfolgreiche Reihen zu nennen.

In der ersten, stärkeren Hälfte des Abends gehört diesem Quartett die Bühne ganz allein. Das chorische Sprechen und die Bewegungen verlaufen in der zweiten Aufführung noch nicht ganz synchron. Das liegt auch daran, dass das Quartett neu zusammengewürfelt wurde: Aus der Stammbesetzung sind noch Nora Abdel-Maksoud und Suna Gürler dabei. Mit ihren schwarzen Haaren und Brillen werden sich die beiden immer ähnlicher, könnten fast schon als Schwestern durchgehen. Neu dabei sind Abak Safaei-Rad und Svenja Liesau. Letztere ist die Entdeckung dieses Abends. Sie kehrte zum Beginn der Spielzeit zurück ans Gorki Theater: 2013 war sie hier schon einmal beschäftigt, folgte Armin Petras nach dem Zerwürfnis mit Wowereit dann nach Stuttgart und ist jetzt wieder festes Ensemble-Mitglied in Berlin. Sie durfte die bissigsten Pointen und besten Soli performen, die in Sibylle Bergs Text diesmal nicht ganz so reichhaltig serviert wurden wie wir das von der Star-Kolumnistin gewohnt sind.

Für die vier Frauen gibt es nur einen Haken: die Mars-Mission dürfen sie nur in Begleitung eines männlichen Sexualpartners antreten. Schließlich soll die menschliche Spezies im All Nachkommen zeugen. Die Performerinnen sind wirklich nicht zu beneiden, was für Jammerlappen ihnen das Schicksal zugeteilt hat: den IT-Nerd Torben, Anfang 30, ebenfalls in vierfacher Ausführung, mit hässlichen Brillen, peinlichen Rotzbremsen über dem Mund und ungelenken Bewegungen.

Ausführlichere Kritik mit Bild

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kultur_Blog_

Aktuelle Rezensionen zu Kino, Theater, Oper, Kabarett, Tanz, Literatur

Kultur_Blog_

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden