Trillerpfeifen-Attacke gegen Callcenter-Mitarbeiterin

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800 € Strafe musste eine 61-Jährige Pirmasenserin für eine Trillerpfeifen-Attacke auf eine Callcenter-Mitarbeiterin bezahlen -und zwar zu Recht! Die Dame wusste sich gegen unerbetene Werbeanrufe nicht mehr anders zu wehren, als mittels einer Trillerpfeife laut in den Telefonhörer zu blasen. Menschlich verständlich, ökonomisch aber fatal. Dieser Trillerpfeifenangriff war nichts anderes als ein Angriff auf das deutsche Jobwunder. Denn die meisten Arbeitsplätze des sogenannten deutschen Jobwunders entstanden im Billiglohn-Sektor und dort hauptsächlich in den Callcentern. Und ein Großteil dieser Callcenter arbeitet im sogenannten Outbound-Bereich. Während der Inbound-Bereich eingehende Anrufe wie Service-Anfragen bearbeitet, rufen die Outbound-Bereiche selbstständig die Kunden an, um ihnen Dienstleistungen oder Produkte aufzuschwatzen -eben die lästigen Werbeanrufe.

Man kann sagen, dass Outbound-Callcenter die Furunkeln am Arsch des Belästigungskapitalismus sind. Arbeitslose werden zu Tausenden in Zeitarbeitsfirmen geschickt und von dort an die Callcenter weitervermittelt, wo sie gezwungen werden, acht Stunden am Tag andere Menschen zu belästigen. Tun sie es nicht, wird ihnen das Hartz-IV-Geld gekürzt. Es ist also nur richtig, wenn die Justiz diese Leute verteidigt.

Silke Burmester verteidigt in ihrer Spiegel-Kolumne die Pirmasenserin und versteigt sich dabei zu folgender Aussage: "Die Callboys und Callgirls sind darauf getrimmt, ihr Gegenüber in die Ecke zu treiben, auf dass es aus Einschüchterung, Erschöpfung oder Mitleid heraus ja sage, zu dem, was ihm verkauft werden soll."

Klingt fast so, als ob es bei den Anrufern um ausgesuchte Psycho-Profis handelt, die darauf brennen die Angerufenen über den Tisch zu ziehen. Knapp vorbei! Ein zweitägiger Kurzlehrgang macht aus einem Hartz-IV-Empfänger keinen Profi-Verkäufer. Tatsächlich werden den Callcenter-Mitarbeitern Standard-Fomulierungen beigebracht, die sie immer wieder benutzen. Das sogennante "Wording". Natürlich dient dies Wording auch dazu, den Kunden rhetorisch in die Ecke zu drängen. Aber hauptsächlich soll eine positive Grundstimmung erzeugt werden, so dass der angerufene Skrupel hat, aufzulegen. Die Formulierungen dürften tatsächlich von Psychologen entwickelt worden sein. So werden zum Beispiel negative Schlüsselwörte vermieden. Diese vorgefertigten Formulierungen erscheinen dann auf dem Bildschirm und werden von den CC-Mitarbeitern nur noch abgelesen. Das passiert irgendwann genauso automatisch wie das Schalten beim Autofahren. Jede Abweichung von den vorgefertigten Abläufen sorgt schon dafür, dass die Mitarbeiter aus der Kurve getragen werden. Zur Not reicht schon die Frage, mit wem man gerade spreche. Also nix Psycho-Profis!

Und natürlich sind die CCs auch deswegen im Vorteil, weil sie die Angeruften überraschen. Bis man sich mental sortiert hat, ist man meistens schon auf der rhetorischen Verliererstrasse gelandet.

Wie auch immer! Solange solche Jobs als zumutbar gelten und Hartz-IV-Empfänger gezwungen sind, sie anzunehmen, solange uns Pappnasen wie Brüderle, Rösler und von der Leyen diese Erniedrigung als Wirtschaftswunder verkaufen, solange soll der Staat die Leute gefälligst auch schützen. Das inzwischen eine Industrie entstanden ist, deren einziger Zweck darin besteht, Leute zu belästigen, spricht Bände. Und das ausgerechnet in dieser Industrie die meisten arbeitsplätze entsehen ebenfalls. Da ist ja der Bau von Pyramiden noch sinnvoller.

Und übrigens: die Idee ausgerechnet Pirmasenser zum Kaufen zu bewegen ist ganz schlecht. "In dem einstigen Zentrum der Schuhindustrie haben mehr Menschen Probleme mit Schulden als irgendwo sonst in Deutschland.(SZ)"

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Geschrieben von

lebowski

Ein Leben zwischen Faulenzerei und Leiharbeit.

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