Philipp Oswalt zu Berliner Schloss und Garnisonkirche: „‚Zweifel‘ galt als Schändung“
Interview Der Architekt Philipp Oswalt will die Deutungsmacht über das Stadtschloss in Berlin und die Garnisonkirche in Potsdam nicht Rechtsradikalen überlassen. Was schwebt ihm vor?
Die rekonstruierte Wetterfahne der Garnisonkirche wird bislang in einem Edelstahlkäfig am Boden ausgestellt
Foto: Sophie Kirchner/laif
Philipp Oswalt, Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel, kommt gerade aus einem Gerichtsprozess. Der emeritierte Theologe Richard Schröder, Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss, warf ihm vor, einem Großspender des Schlosses Antisemitismus unterzumogeln. Oswalt klagt seit zwei Jahren gegen Schröder, seine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel: Er deckt rechte Netzwerke und Personen auf, die mit Stadtschloss und Potsdamer Garnisonkirche wieder preußischen Barock in die Innenstädte hoben.
der Freitag: Herr Oswalt, Potsdamer Garnisonkirche, Berliner Stadtschloss – was sind das für Symbole oder Bildpolitiken, die da ins Stadtmobiliar eingefügt wurden?
Philipp Oswalt: Die Fälle sind untersch
Philipp Oswalt: Die Fälle sind unterschiedlich, aber es gibt eine starke Verwandtschaft: Es sind beides starke preußische Symbole. Die Garnisonkirche für das Militär und als Grablegekirche von Friedrich Wilhelm und Friedrich dem Großen. Sie ist das preußische Nationalsymbol, soweit man bei Preußen von „Nation“ sprechen kann. Das Schloss ist der Hohenzollern-Stammsitz, die Schlosskuppel als Kapelle ist ein Symbol des Nationalprotestantismus. Als maßgebliche preußische Reichssymbole spielen beide Gebäude in rechtsradikalen publizistischen Kreisen eine enorme Rolle.In Ihrem Buch „Bauen am nationalen Haus“ unterscheiden Sie diese Bauten von Rekonstruktionen der Innenstädte, dennoch würden sie in eine ähnliche Richtung wirken. Was bedeutet das?Das kann man ganz gut am historisierenden Neubau der Frankfurter Altstadt erkennen, am Dresdner Neumarkt, in Berlin am Molkenmarkt: Da geht es um den Nachbau zerstörter Altstadtzentren. Das sind keine Staatssymbole, aber gleichwohl staatliche Bauprojekte, die eine essenzialistische Idee von Herkunft formulieren. Angeblich stellen diese Ensembles den Wesenskern dar, aus dem sich die jeweilige Stadt entfaltet habe. Auch diese Projekte haben primär eine identitätspolitische Agenda, ihr Nutzen im städtischen Alltag ist gering.Welche Rolle spielte da die Wiedervereinigung?Die Entwicklungen begannen schon in den 1980er Jahren. Damals setzte in West und Ost eine Rückbesinnung auf eine tiefere deutsche Geschichte ein, die sich auch in Rekonstruktionsvorhaben niederschlug, sei es die Ostzeile des Römers in Frankfurt, seien es der Deutsche Dom und die Nikolaikirche in Berlin Ost. Die Wiedervereinigung wirkte wie ein Booster, Rekonstruktionsvorhaben wurden mehr und mehr zu identitätspolitischen Zwecken eingesetzt.Wie kommt Preußen ins Spiel?Bereits Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre begann in West- wie in Ostdeutschland eine Preußenrenaissance. Und nach der Wiedervereinigung wurde Preußen bis hin zum Kaiserreich dann Kernelement für eine historische Verwurzelung einer gemeinsamen nationalen Identität.Versuchen rechtsradikale Kreise auch unter dem Mantel von touristischer Architektur historisch aufgeladene Symbole zu etablieren?All diese Projekte sind touristische Projekte, gleichwohl war dies nicht ausschlaggebend. Ich sehe die Hauptmotivation in einer Neudefinition unseres Geschichtsverständnisses. Nach der Wiedervereinigung stellte sich die Frage nach der Traditionslinie – von welchem Deutschland sprechen wir eigentlich? Garnisonkirche und Schloss sind Symbole für den Schulterschluss zwischen Ost und West. Wenn man so will, für die Öffnung Westdeutschlands nach Osten.Das müssen Sie erklären …Mit der Öffnung zu Preußen wurden Ostdeutsche stärker abgeholt. Preußische Kerngebiete lagen in der ehemaligen DDR. Westdeutschland hatte sich zudem mit der Westbindung auch vom Osten abgewandt. Und gerade wenn man bis 1990 als Dissident zur DDR stand, auf was sollte man sich denn im neuen Gesamtdeutschland beziehen, außer auf eine Geschichte vor Nationalsozialismus und der krisenhaften Weimarer Republik? Da blieben nur Preußen und das preußisch geprägte Kaiserreich.Preußen wurde ein Identifikationsangebot?Strategisch spielt es eine wichtige Rolle im Verständnis eines plötzlich gemeinsamen Landes. Es gab zwar in der DDR die Kritik am Wilhelminismus, in Westdeutschland nahm mit den 1968ern eine kritische Auseinandersetzung mit preußischer Geschichte zu, vor allem wo sie als Weg in den Zivilisationsbruch der NS-Zeit identifiziert wurde. Aber ab 1990 wurde das Preußentum vor allem kulturell verstanden und idealisiert als Identifikationsanker und positiv bewertete gemeinsame Geschichte.Die Sozialdemokratie wurde im Kaiserreich bekämpft und verboten. Verblüffend, dass Sozialdemokraten in Potsdam und Berlin, auch Politiker aus Hamburg, Bauten unterstützen, die sich aufs Preußentum beziehen, oder?In der Tat irritierend. Aber die Sozialdemokratie wollte da nicht zurückstehen, jemand wie Willy Brandt hatte die Wiedervereinigung entschieden befürwortet. Zugleich stand sie der von der CDU forcierten Westbindung kritischer gegenüber und legte mehr Wert auf den Eigenwert Ostdeutschlands. Sie hatte damit ihre eigenen Motive für eine positive Bezugnahme auf Preußen, zumal ja in Berlin und Potsdam die Zeit des Barocks und Friedrich des Großen betont wurde. Also etwas, das vor dem Kaiserreich liegt und damit weniger kritisch gesehen wird. Dabei ist der Imperialismus Friedrichs des Großen gerade aus osteuropäischer Perspektive ein sehr problematisches Erbe.Er hat zur Teilung Polens geführt …Aus polnischer Sicht ist so eine Bezugnahme doppelt heikel: Sie inszeniert ein unkritisches Verhältnis zu Friedrich dem Großen. Und heute gehört das, was einmal Preußen war, größtenteils zu Polen. Wenn Manfred Stolpe mit seiner Idee durchgekommen wäre, ein Bundesland Brandenburg-Berlin „Preußen“ zu nennen, hätten wir mehr außenpolitische Probleme mit Polen.Sie wehren sich dagegen, solche Bauten und Ensembles „rechte Räume“ zu nennen, warum?Ich bin mir nicht sicher, was der Begriff neben Erfolgen in der Aufmerksamkeitsökonomie leistet. Diese Skandalisierung unterscheidet nicht zwischen legitimen konservativen Positionen und Rechtsradikalismus. Man kann auch ein Schloss rekonstruieren, oder eine Altstadt. Die Frage ist, wie man verhindert, dass das essenzialistisch-identitär wird.Wie ordnen Sie denn diese Bauten in Berlin und Potsdam ein?Ich glaube, dass sie in ihrer orthodoxen und idealisierenden Form antidemokratische und antiliberale Inhalte symbolisieren. Beim Schloss betrifft dies vor allem das Eosanderportal mit der Kuppel, dem Kuppelkreuz und der Großen Kartusche, bei der Garnisonkirche Turmhaube und Waffenschmuck. Mit diesen Elementen können rechtslastige und rechtsradikale Kreise ihre Ideen in die Gesellschaft tragen, werden anschlussfähig und stoßen in der Mitte auf wenig Widerspruch. Die politische Dimension wird kaum wahrgenommen, weil behauptet wird, all dies habe nichts mit Symbolbedeutung zu tun, es gehe um Schönheit und Stadtreparatur.Nun stehen Schloss und Kirchturm, eine Haltung setzt sich durch, dass die Nutzung den Unterschied mache. Ist das auch Ihre Position?Die architektonische Erscheinung, die Symbolkraft wird unabhängig von der inneren Nutzung wahrgenommen. Rechte sagen: Wenn sich der politische Wind dreht, kann man auch das Programm ändern. Ich glaube nicht, dass die Bespielung die Wirkungsmacht der baulichen Hardware neutralisiert. Dies sieht man auch daran, dass weder die Beschwörung christlicher Versöhnung in Potsdam noch postkolonialer Perspektiven in Berlin Rechtsradikale davon abhält, sich für diese Architektur zu begeistern.Was kann man dem entgegensetzen?Es geht es um Deutungsmacht über die gesellschaftliche Verfasstheit, die sich symbolisch in diesen Neubauten manifestiert. Um die Deutungshoheit müssen wir ringen. Wir müssen andere Geschichten in diese Baukomplexe einschreiben, um sie von rechten Narrativen abzusetzen.Was heißt das konkret?Dass wir im Moment eine Petition vorbereiten, um den Bundestag zu zwingen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Wir schlagen einen künstlerischen Wettbewerb vor, um andere Geschichtsspuren in Humboldt Forum und Berliner Schloss einzuschreiben. Die illegitimen Spenden sollten antirassistischen Initiativen übertragen werden.Wie schreibt man andere Geschichte ein?Das ist relativ einfach. Die Schlossfassade reproduziert ja einen Zustand vor 1918. Direkt danach etwa gab es den Beschuss durch kaiserliche Truppen, die gegen revolutionäre Garden kämpften. Die Beschädigungen könnte man darstellen. Auch die Schäden des Zweiten Weltkriegs und Spuren der Nachkriegszeit: Im Schlüterhof gab es einen Nutzgarten. Man könnte die Überschneidung mit dem Palast der Republik markieren. Die Gründungsintendanz hatte vor, obenauf die Leuchtinstallation von Lars Ramberg, das Wort „Zweifel“, zu installieren. Aber das wurde als Sakrileg verstanden, als Schändung eines Nationalsymbols.Claudia Roth ist inzwischen Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Garnisonkirche und Schloss wurden weiterhin mit vielen Millionen an Bundesmitteln gefördert. Überrascht Sie das?Das ist für mich enttäuschend. Ich hätte einen kritischen Umgang erwartet, auch seitens der Bundesregierung. In der Antisemitismusdebatte gibt es offenkundig Doppelstandards. Wenn linke Künstler und Wissenschaftler sich israelkritisch positionieren, wird dies schnell als antisemitisch bewertet und kann harte Konsequenzen haben. Aber der Bund hat kein Problem damit, mit einem Förderverein zusammenzuarbeiten, der sich nicht von seinem erwiesenermaßen antisemitischen Großspender distanziert und Holocaustleugnung als eine Frage der Meinungsfreiheit ansieht. Das funktioniert deshalb, weil das Berliner Schlossprojekt als gemeinsames nationales Projekt von allen Fraktionen im Bundestag mitgetragen wurde. Keiner will eine Fehlentwicklung eingestehen.Placeholder infobox-1
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