Die Garnisonkirche, ein Ort der Versöhnung?

Meinung Um die Garnisonkirche gibt es seit Jahrzehnten Streit. Ostermontag wurde die erste Kapelle im neuen Turm eingeweiht. Lennart Laberenz blickt zweifelnd nach Potsdam
Ausgabe 14/2024
Wiedererrichteter Kirchturm der Garnisonkirche in Potsdam
Wiedererrichteter Kirchturm der Garnisonkirche in Potsdam

Foto: Schöning/Imago

Zum Haushalt der unausgesprochenen Zeichen gehört die Geste. Als körperliche Bewegung – oder als gebaute Form. Dann ist sie Hinweis auf ein komplexes Spiel aus Interessen, Referenzen und Spielraum, den Regelwerk und Finanzen begrenzen.

In Potsdam wurde am Ostermontag eine Kapelle im neuen Turm der Garnisonkirche eingeweiht. Um Kirche und Turm gibt es seit Jahrzehnten Streit. Der zweite Bau an dieser Stelle, eröffnet 1735, war ein Hauptwerk des norddeutschen Barock, Aufbewahrungsort von Blutfahnen der Preußenkriege und überhaupt „Mekka für das preußische Militär“, wie die Historikerin Agnieszka Pufelska schreibt: ein Symbolbau für die Nähe von Religion, Reich, Rüstungen. Und da haben wir über den Antisemitismus des späten 19. Jahrhunderts, Hass auf Frankreich und Polen, NS-Propaganda-Predigten sowie Adolf Hitlers „Tag von Potsdam“ noch gar nicht gesprochen. An diesem Ort will ein Reenactment-Bau Versöhnung betreiben.

Die Geste soll in Vergangenheit und Zukunft zugleich weisen: Die Garnisonkirche, schrieb ein Vorstandsmitglied der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau, sei „der zentrale Ort der preußischen Identität“, stehe „für christlich verantwortetes Handeln für die Gemeinschaft, für die Verbindung von christlichem Glauben und ,preußischen Tugenden‘“.

Allein so eine Bezugnahme lässt ahnen, dass der Inhalt des Wortfeldes „Versöhnung“ in seltsame Richtungen tendiert: Möchte die evangelische Kirche hier mit Millionen aus Kulturfördertöpfen und privaten Spenden eine rückwirkende Reinwaschung der Institution organisieren? Als wäre sie selbst nur Opfer von Missbrauch, völkisches Denken über Prediger gekommen, weil gerade nicht fest genug geglaubt wurde und der Immunschutz kurz geschwächt war?

Vor allem zeigt sich, wie löchrig das Versöhnungsgewand ist, in dem die Geste daherkommt. Das sieht man in ihrem Umgang mit der Gegenwart: Die Kirchenruine wurde 1968 gesprengt, das Grundstück selbst mit einem Zweckbau überplant und überschrieben, in der Nachnutzung heute längst eine Kulturstätte der Stadt. Eine der wenigen, die nicht am Bild vom preußischen Disneyland mitmalen. Wer sie für ein Kirchenschiff immer noch einreißen will, hat Versöhnung nicht zu Ende gedacht.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden