Bundeswehr übernimmt NVA: Ab morgen Kameraden

Wechselausstellung Die aktuelle Wechselausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig interpretiert ein geschichtliches Ereignis aus der Siegerpose. Es wäre mehr machbar gewesen.

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Über die Wechselausstellung „Ab morgen Kameraden“

„Die deutsche Wiedervereinigung löst 1989/90 diesen historisch einmaligen Vorgang aus. Gemäß dem Zwei-plus-Vier-Vertrag bleibt die Bundesrepublik Mitglied der NATO. Die DDR muss ihre Streitkraft, die Nationale Volksarmee (NVA), auflösen. Die Bundeswehr nimmt rund 11.000 Soldaten und Offiziere der DDR auf.“ (Quelle: https://www.hdg.de/haus-der-geschichte/ausstellungen/ab-morgen-kameraden-armee-der-einheit/) Das sind die einführenden Worte auf der Webseite der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zur Wechselausstellung „Ab morgen Kameraden“ im Zeitgeschichtlichen Museum Leipzig (17.03.2017 – 10.09.2017). Es soll ein Versuch sein, die geschichtliche Einmaligkeit der „friedlichen“ Übernahme einer Armee von Arbeitern und Bauern aus dem Warschauer Pakt durch das NATO-Mitglied Bundeswehr in kurzen, wirklich kurzen Dokumenten aufzuarbeiten.

Genauso kurz zusammengefasst: Es ist nicht gelungen, diesen historischen Moment festzuhalten und historisch einzuordnen. Geschrieben wird die Ausstellung aus Siegersicht: „Wir kommen nicht als Sieger oder Eroberer. Wir kommen als Deutsche zu Deutschen. Wir sind deutsche Soldaten, aufgewachsen in Freiheit, im Schutz und im Anspruch der Demokratie erzogen und ausgebildet nach den Grundsätzen der Inneren Führung.“ Mit dieser Verneinung bringt Generalleutnant a.D. Jörg Schönbohm das zum Ausdruck, was der wahre Hintergrund dieses kampflosen Sieges über den ehemaligen Gegner. Und ein Auszug dieses Zitats groß auf Leinwand gezogen, widerspiegelt den Charakter der Ausstellung.

Nun kann man geteilter Auffassung über die ehemalige Nationale Volksarmee der DDR sein. Doch die Wende war die Chance – und hier gibt es einen kleinen Abschnitt zur Reduzierung der Wehrdienstzeit von 18 auf 12 Monate in der Ausstellung darüber – zur teilweisen oder vollkommenen Entmilitarisierung des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaates. Es war eine der Grundforderungen der Opposition der DDR, wenn ich mich recht erinnere: „Vier-Stufenplan zur Entmilitarisierung der Deutschen Demokratischen Republik“ des Neuen Forum in der DDR vom 20. Dezember 1989 (Quelle: http://www.ddr89.de/ddr89/nf/NF12.html). Doch davon kein Dokument in der Sondersammlung des Zeitgeschichtlichen Museums in Leipzig. Eher wird ein Demutsfoto von Pfarrer Eppelmann als letzter „Verteidigungsminister“ der DDR mit der grauen Militärführung propagiert.

Es wird viel Platz den sogenannten Spatensoldaten der NVA eingeräumt. Hier wird ein Kapitel aufgeschlagen und nicht zu Ende geschrieben. Es wäre eine komplette Sonderausstellung wert, um diesen Seitenarm der Volksarmee zu beleuchten. Doch der Platz hier hat nichts zum Thema zu tun, passt aber zur Fremddemagogie über die grauen Hundertschaften der DDR.

So werden weitere sachliche Lücken in der Ausstellung deutlich: Die Blockbildung in Europa und auf dem Gebiet beider deutscher Staaten oder der Konversion von NVA-Waffentechnik sind so zwei Beispiele. So werden bei der Darstellung der gegenüberliegenden Mächte von Warschauer Vertrag und Nato einfach die Anteile britischer und französischer Soldaten für ein scheinbar gewolltes Übergewicht der Roten Armee zu vernachlässigen. Oder bei der Abwicklung von Militärtechnik aus NVA-Beständen wird beschrieben, dass der Großteil verschrottet wurde. Auch hier irrt die Ausstellung: „Die Masse des Materials ging als »Schenkung« an jene, die vor den Grenzen Iraks aufmarschiert waren und dann unter US-Führung über das Land herfielen. Offiziell beteiligte sich Deutschland nicht mit Soldaten, wohl aber mit Technik im Wert von rund 740 Millionen D-Mark. Viel ehemaliges NVA-Material ging als Verteidigungshilfe an die Südgrenze der NATO. Griechenland und die Türkei erhielten Waffen und Gerät. Ehemalige DDR-Schützenpanzerwagen waren für den Einsatz gegen PKK-Kurden geeignet.“ (Quelle: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/export/deutsch-deutsch.html) Noch deutlicher werden Generalleutnant a. D. Dipl.-Ing. Wolfgang Neidhardt in „Die Verwertung des Sachvermögens der NVA“ (Quelle: www.aggi-info.de/SB_IH/fileadmin/Artikel/info 19/Art 2 Neidhardt.pdf) oder der vom RBB verantwortete Film „Was wurde aus der NVA?“ (Ausstrahlung am 2. November 2015 – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/kultur/ard-film--was-wurde-aus-der-nva---verliebt-in-die-waffen-der-nva-23104948).

Den Ausstellungsmachern muss man unterstellen, dass sie bei diesem spannenden Thema diese wichtigen Informationen ihrem Publikum aus politischen Gründen vorenthalten haben. Es passt nicht ins Bild der „Erfolgsstory“ von der Zusammenlegung zweier feindlicher Armeen.

Dieser Zerschlagung des militärischen Gleichgewichts folgte eine Geschichte vieler kleinerer und größerer regionaler Kleinkriege vom Irakkrieg 1 und 2 über den jugoslawischen Bürgerkrieg, den Krieg in Afghanistan, dem so genannten „Arabischen Frühling“ bis hin zum Syrienkrieg und dem Kampf gegen den Islamischen Staat. Alles Kriege, bei denen Waffen und letztlich auch Soldaten der Einheitsarmee am Tod und am Leid der dortigen Menschen mit verantwortlich sind. Dieser Prozess zur Vereinigung beider deutscher Armee gipfelt in der Forderung zur quasi Verdopplung des Militärbudgets auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in der Bundesrepublik.

Den eigentlichen Schlusspunkt dieser Sonderschau im Leipziger Zeitgeschichtlichen Museum bildet ein Schild in der Dauerausstellung „Teilung und Einheit. Diktatur und Widerstand“, das nicht nur gegen die Rechtfertigung von Todesschützen an der Deutsch-Deutschen Grenze gerichtet sein sollte: „Mord bleibt Mord – auch wenn er befohlen wird.“

In diesem Zusammenhang sei nachdenklich erinnert an Kurt Tucholkys Werk „Der bewachte Kriegsschauplatz“:

„Der Feldgendarm wachte darüber, dass vorn richtig gestorben wurde. Für viele war das gar nicht nötig. Die Hammel trappelten mit der Herde mit, meist wussten sie gar keine Wege und Möglichkeiten, um nach hinten zu kommen, und was hätten sie da auch tun sollen!

Sie wären ja doch geklappt worden, und dann: Untersuchungshaft, Kriegsgericht, Zuchthaus, oder, das schlimmste von allem: Strafkompanie. […] Manche Nationen jagten ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre.

So kämpften sie. Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“

Eingebetteter MedieninhaltDie Weltbühne, 04.08.1931, Nr. 31, S. 191. Von Kurt Tucholsky unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel publiziert (Volltext: http://www.textlog.de/tucholsky-kriegsschauplatz.html).

Die Wechselausstellung ist noch bis zum 10. September 2017 im Zeitgenössischen Forum Leipzig zu besichtigen, um sich ein eigenes Bild zu machen und zu diskutieren.

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