Das Ende der Bundesrepublik

Deutschland In zehn Jahren könnte die BRD am Ende sein, zerrissen von rechtem Terror und einem faschisierten Staat. Ein düsteres Gedankenexperiment, das hoffentlich nie wahr wird.

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Deutschland 2025: Straßenschlachten verwüsten die Innenstädte der Metropolen, rechte Horden jagen Linke und „Ausländer“, fast jede Woche kommt es zu pogromartigen Ausschreitungen gegen jene, die zehn Jahre zuvor aufgenommen worden waren. Die Regierung verhängt den Notstand, örtlich kommt es zu Ausgangssperren am Abend, die Bundeswehr marschiert auf. Die Zahl der Toten wächst trotzdem. Wie konnte es soweit kommen?

Die Flüchtlingskrise des Sommers 2015 hat das Land nachhaltig verändert. Auf rechte Hetze folgte Euphorie, auf diese wieder rechte Hetze. Gegen Ende des Jahres wurde das Asylrecht verschärft, 2016 kam es zu weiteren Einschränkungen. Insbesondere Menschen vom Balkan wurden zunehmend rigoroser abgeschoben, begleitet von wachsenden rechten Aufmärschen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich zunächst gegen die Forderungen vom rechten Rand der CSU gewehrt, noch tiefere Einschnitte in das Grundrecht auf Asyl zuzulassen und Grenzzäune zu bauen, als sie im Laufe des Jahres jedoch in den Umfragen weiter abstürzte, ließ sie sich darauf ein. Anfangs protestierte die SPD lautstark, doch wie schon 1993 knickte sie am Ende ein. Es folgte ein Mitgliederexodus, der linke Flügel verließ zu großen Teilen die Partei. Nachdem schon die Landtagswahlen 2016 einen Rechtsruck andeuteten (in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt schaffte es die AfD in die Landtage, in Mecklenburg-Vorpommern sogar die NPD) brachte die Bundestagswahl 2017 die Quittung: Die CDU musste Verluste hinnehmen, während die CSU in Bayern ein rekordverdächtiges Ergebnis einfuhr. Die SPD fiel sogar hinter ihr Ergebnis von 2009 zurück, die Grünen, die zunächst zu Konzessionen in der Asylfrage bereit gewesen waren, am Ende jedoch doch nicht alles mitmachen wollten, konnten ihr Ergebnis leicht verbessern, die Linkspartei konnte sich über viele ehemalige SPD-Wähler freuen, verlor jedoch einige alte Protestwähler an die AfD, die zur Gewinnerin der Wahl wurde: Mit 9% der Stimmen zog sie in den Bundestag ein. Es kam zu einer Neuauflage der Großen Koalition, Angela Merkel wurde, politisch angeschlagen, wieder Kanzlerin, Vizekanzler wurde der nach Gabriels Rücktritt zum SPD-Chef gewählte Olaf Scholz. Dem Koalitionsvertrag konnte die CSU ihren Stempel aufdrücken, unter anderem stellte sie den Innenminister und den Minister für das neu geschaffene „Ministerium zur Erhaltung von Heimat und Leitkultur“. Bei der Vorbereitung zur Landtagswahl in Bayern kam es zur Kampfkandidatur zwischen Seehofer und Söder, wobei sich Letzterer durchsetzen konnte. 2018 wurde er Ministerpräsident und trieb die rechte Bundesregierung von noch weiter rechts vor sich her.

Die Wahlen schienen zunächst als Ventil für die zunehmend rechte Stimmung im Land funktioniert zu haben. Da die Zahl der ankommenden Flüchtlinge jedoch nur langsam abnahm und die Politik ihnen gegenüber drastisches Vorgehen legitimierte, radikalisierte sich die politische Landschaft weiter. Einerseits kam es zu immer mehr, immer brutaleren Anschlägen rechter Gruppen, andererseits erwachte die linke Szene langsam aus ihrer Lethargie. Tausende begannen, gegen die Asylpolitik der Regierung zu protestieren, stellten sich rechten Demonstrationen entgegen, es kam zu Zusammenstößen, die Polizei schlug hemmungslos zu. Reihenweise wurden linke Aktivisten ins Krankenhaus geprügelt, während rechte Gruppen fast ungestört durch die Innenstädte ziehen und „Heil Hitler“ rufen konnten.

Die Lage eskaliert

Gegen Mitte der Legislaturperiode dann der politische Gau: Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringens, der in der letzten Zeit zu einer Art Wortführer der Linkspartei geworden war, nachdem sich die Bundestagsfraktion seit Übernahme der Doppelspitze Wagenknecht-Bartsch sich im Klein-Klein des ausgewogenen Posten- und Positionenverteilens verloren hatte wird nach einer Anti-Nazi-Kundgebung von einer Gruppe Neonazis, die sich als Ordner getarnt hatten, mit Baseballschlägern und Messern attackiert. Drei Tage später stirbt er im Krankenhaus. Es kommt zu einem internationalen Aufschrei, die Regierung stürzt in eine tiefe Krise. Als sich herausstellt, dass Polizisten von dem geplanten Angriff gewusst und den Ministerpräsidenten absichtlich einen Moment aus den Augen gelassen hatten, eskaliert die Situation vollends. Es kommt zu Brandanschlägen auf Polizeiwachen im ganzen Land, Autonome und andere linke Gruppen attackieren Polizisten, Behörden und andere staatliche Einrichtungen. Angela Merkel muss zurücktreten, nachdem auch aus der EU zunehmend Druck kommt. Das Fehlen der Übermutter stürzt die CDU in eine Krise. Die potenzielle Nachfolgerin Ursula von der Leyen war von der politischen Bildfläche verschwunden, als sie ihren Doktortitel verloren hatte, Wolfgang Schäuble gehörte dem Kabinett nicht mehr an, Thomas de Maizière wird zum Kanzler gewählt.

Um die eskalierende Situation unter Kontrolle zu bekommen, beschließt der Bundestag einige neue Sicherheitsgesetze. Die Überwachung wird ausgeweitet, was Bürgerrechtsorganisationen auf die Barrikaden treibt, doch die meisten Deutschen sind mit den neuen Gesetzen einverstanden, angesichts der zunehmenden Gewalt. Die linke Szene verschwindet nach und nach im Untergrund, Ende 2020 kommt es zu ersten organisierten Anschlägen. Eine Bombe explodiert am 3. Oktober, dem 30. Jahrestag der Einheit, trotz verschärfter Sicherheitskontrollen im ganzen Land, vor dem Heimatministerium. Drei Menschen sterben, 22 werden verletzt. Die Regierung beruft einen Krisenstab ein, doch bevor Maßnahmen getroffen werden können, wird Bundeskanzler Thomas de Maizière nach einem Theaterbesuch angeschossen. Zu beiden Anschlägen bekennt sich eine Gruppe namens „Antinationaler Widerstand“, deren Organisationsstrukturen und Rekrutierungsumfeld weitgehend unbekannt sind. Im ganzen Land kommt es zu Razzien in autonomen Zentren, linken Cafés und in den Wohnungen bekannter AktivistInnen. Hunderte werden verhaftet.

Erbitterter Kampf um Dresden

Neonazis nutzen die Schwäche der Regierung aus und prügeln sich wieder verstärkt durch die Innenstädte. Inzwischen zeigt sich, dass die Verwicklungen mit dem Polizeiapparat enorm groß sind, in manchen Städten, vor allem im Osten des Landes, stellt sich außer einigen Bürgern fast niemand den braunen Horden in den Weg. Im Februar 2021 flieht der Bürgermeister der Stadt Dresden, als Neonazis das Rathaus stürmen wollen. Am Tag darauf wird Dresden zur „national befreiten Zone“ erklärt. Es kommt zum Straßenkampf. Linke aus dem ganzen Land kämpfen plötzlich Seit‘ an Seit‘ mit regierungstreuen Gesetzeshütern gegen Neonazis und faschisierte Polizisten. Nach zwei Wochen kann sich die geballte Staatsmacht durchsetzen und die Verwaltung der Stadt kann zurückkehren. Hunderte Neonazis werden verhaftet und vor Gericht gebracht, jedoch auch Dutzende Antifaschisten, ohne die der Sieg über die Neonazis wahrscheinlich nicht zustande gekommen wäre.

Der die Regierungsgeschäfte führende Vizekanzler Scholz wendet sich an die EU, die jedoch stark geschwächt ist, seitdem Großbritannien ausgetreten und Frankreich unter Marine Le Pen, die die Präsidentschaftswahlen 2017 knapp für sich entschieden hatte, seine Mitgliedschaft auf Eis gelegt hat. Auch in Osteuropa sind mehr und mehr rechte Regierungen an die Macht gekommen, die europäische Idee in ihrer bisherigen Form zerfällt. Gleichzeitig kommen jedoch AntifaschistInnen aus ganz Europa in die Bundesrepublik und schließen sich den Kämpfen gegen Neonazis und den Untergrundgruppen an. In Anlehnung an den Spanischen Krieg nennen sie sich „Europäische Brigaden zur Rettung der Demokratie“.

Ein kurzes Aufatmen

Im Verlauf des Jahres scheint sich die Lage wieder zu stabilisieren, Kanzler de Maizière wird wieder gesund und verstärkt den Druck gegen beide Seiten. Der Staatsapparat wird durchforstet, Hunderte Polizisten mit rechten Kontakten entlassen und Neonazis der Prozess gemacht. Einige Mitglieder des „Antinationalen Widerstands“ werden gefasst, als sie in eine Falle des Verfassungsschutzes tappen.

In dieser Stimmung findet die Bundestagswahl statt. Sowohl CDU als auch SPD können ihre Ergebnisse wieder verbessern, der FDP gelingt zur Überraschung aller Beobachter knapp der Wiedereinzug in den Bundestag, nachdem sie große Kampagnen gegen die Angriffe gegen Bürgerrechte gestartet hatte. Die AfD konnte von der Stimmung nicht profitieren, ihr gelingt nur noch knapp der Einzug, jedoch scheitert die NPD nur noch knapp an der 5% Hürde. Auch die aus der Pegida-Bewegung hervorgegangene „Partei der Patrioten“ (PP) scheitert nur knapp. Die Ergebnisse von Linken und Grünen verändern sich kaum. Es kommt zur dritten Auflage der Großen Koalition. 2022 hält Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede, die viele bewegt, in der er den Mut aller bewundert, die sich der „extremistischen Bedrohung von Links und Rechts“ entgegengestellt haben. Außerdem zeigt er sich zuversichtlich, dass es jetzt aufwärts gehen werde. Und tatsächlich scheint es wieder ruhiger zu werden. Die Zeitungen verkünden das Ende der „schwersten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik“. Doch die Hoffnungen werden zerschlagen, als ein Jahr später Neonazis ein Asylbewerberheim in so großer Zahl angreifen, dass die Sicherheitskräfte vor Ort keine Chance haben. Das Gebäude wird angezündet, die Feuerwehr am Löschen gehindert. Erst nach Stunden gelingt es der Polizei, den Ring der Neonazis um das Gebäude zu brechen. Die Bilanz: 45 Tote, 97 Verletzte.

Der Zerfall

Gleich am nächsten Tag hagelt es Steine. „Der Mörder ist der Staat“ rufen Demonstranten und greifen erneut verstärkt Polizeiwachen an. Und es zeigt sich, dass sie nicht ganz Unrecht haben: Es stellt sich heraus, dass das Anrücken der Polizei von sehr weit oben verlangsamt wurde. Die Situation eskaliert erneut. Der „Antinationale Widerstand“ hat sich neu konstituiert und erhält wieder starken Zulauf. In Hamburg kommt es zu mehreren Anschlägen, als ein linker Aktivist bei einer Demonstration von Polizisten ins Koma geprügelt wird. Auch in München, Berlin, Köln und vor allem in ostdeutschen Städten wie Dresden, Leipzig und Magdeburg werden die Zusammenstöße zwischen Staat und Linken immer heftiger. Die Neonazis, euphorisiert von ihrem „Erfolg“, zeigen nun erstmals, wozu sie inzwischen fähig sind: In einer konzertierten Aktion greifen sie Anfang 2024 Asylbewerberheime, Parteibüros, linke Aktivisten und staatliche Behörden an. Dutzende Menschen sterben und es gibt noch mehr Verletzte. In der Folge versinkt das Land in Gewalt. Im Sommer wird der Notstand verhängt, die Bundeswehr rückt an. Zunächst scheint sich die Lage wieder zu beruhigen, doch Kanzler de Maizière stirbt an den Spätfolgen des Attentats, die geschwächte Regierung traut sich 2025 nicht, die Bundestagswahl abzuhalten, was zu scharfer internationaler Kritik führt. Neonazis erkämpfen sich in Ostdeutschland wieder „national befreite Zonen“, Asylbewerberheime und Viertel mit hohem Migrantenanteil werden von linken Aktivisten geschützt, Hand in Hand mit dem Staatsapparat, der jedoch immer mehr zerfällt, da sich Beamte weigern, zu arbeiten, angesichts der Lebensgefahr. Läden bleiben zunehmend geschlossen, die Wirtschaft bricht ein, es kommt zu Massenentlassungen. 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist die zweite deutsche Demokratie am Zerfallen. Ende des Jahres wird erstmals in der UNO diskutiert, Friedenstruppen nach Deutschland zu senden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

Leander F. Badura

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