Der Kriegsminister und die neue Gesellschaft

Bundeswehr Verteidigungsminister Boris Pistorius möchte nicht nur die Bundeswehr, sondern die gesamte Gesellschaft kriegstüchtig machen. Bundeswehrverband und Bundeskanzler applaudieren und liefern konkrete Vorschläge für den Mentalitätswandel.

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Verteidigungsminister Pistorius spricht im ZDF davon, Deutschland müsse kriegstüchtig werden – und meint damit explizit auch die Gesellschaft insgesamt. Ein Aufschrei in den Medien bleibt aus, stattdessen herrscht breite Zustimmung bei vereinzelter Kritik an der Wortwahl. Was die geforderte Neuaufstellung der Gesellschaft bedeuten könnte, verdeutlichen wenige Tage darauf der Bundeswehrverband und der Bundeskanzler.

Pistorius‘ Äußerungen im ZDF-Interview wurden weitgehend wohlwollend aufgenommen. Florian Güßgen lehnt in der Wirtschaftswoche das „Recht des Stärkeren“ zwar ab, ruft gleichzeitig jedoch dazu auf, ebendiese Position durch Behebung eigener Schwächen einzunehmen. Marco Seliger spricht für die NZZ mit einem Militärhistoriker sowie einer Friedens- und Konfliktforscherin, begrüßt Pistorius‘ Vorstoß und schwadroniert von Nationalbewusstsein sowie dem Willen zum Kampf. Christoph Schwennicke von t-online ist der Auffassung, Pistorius habe zwar das Falsche gesagt, aber das Richtige gemeint – und fasst die öffentlich-mediale Grundstimmung damit gut zusammen. Kritik, auch etwa von Seiten Rolf Mützenichs, entzündet sich weniger am Inhalt der Forderung als vielmehr an der Wortwahl.

Wenig beachtet wurde dabei bisher Pistorius‘ mehrfaches Pochen darauf, es brauche einen Mentalitätswandel nicht nur innerhalb der Bundeswehr, sondern in der gesamten Gesellschaft. Explizit spricht er davon, die Bundeswehr und die Gesellschaft im Sinne von Kriegstüchtigkeit und Wehrhaftigkeit aufstellen zu wollen. Abseits der konkreten Wortwahl ist die Forderung damit lesbar als eine nach einer grundsätzlichen Neuausrichtung gesellschaftlicher Werte.

Was das konkret bedeuten könnte, verdeutlichte nun der Bundeswehrverband. André Wüstner, der der Interessenvertretung vorsteht, brachte neben der üblichen Forderung nach mehr Mitteln für die Armee weitere hervor: Wehrpflicht und verstärkte Werbung an Schulen schweben ihm als probate Mittel der ideellen Aufrüstung vor. Auch Pistorius bezeichnete die Aussetzung der Wehrpflicht jüngst als Fehler. Das Lautwerden entsprechender Forderungen darf dabei nicht als zufällig verstanden werden. Sowohl Pistorius als auch Wüstner argumentieren explizit unter Verweis auf den Ukraine-Krieg, Pistorius weist ferner auf den Hamas-Angriff auf Israel hin. Entscheidender als die faktische Bedrohungslage, die bezogen auf die EU doch recht unspezifisch ist, ist der Kontext der allgemeinen Aufrüstungsrhetorik. Olaf Scholz‘ Rede von der Zeitenwende und die Standing Ovations, die er dafür im Bundestag erhielt, dienen als Blaupause für ein steigendes Selbstvertrauen der militärischen Fraktion. Dieses schlägt sich nun nieder in einem Auftreten, das erkennbar mehr will als das Nötigste zur Verteidigung der eigenen Ordnung im Ernstfall.

Stellten sich nach Scholz‘ Rede noch primär allgemeine Fragen zum gesellschaftlichen Selbstverständnis, werden diese mit Pistorius und Wüstner nun konkret. Wie etwa kann eine Schule glaubhaft Gewaltfreiheit vermitteln, wenn sie gleichzeitig Uniformierte einlädt, die in ihren Räumen Minderjährigen den Kriegseinsatz schmackhaft machen sollen? Wenn auf Schule oder Studium wieder eine Zwangsausbildung im Töten folgt? Wie kann Kriegstüchtigkeit Leitziel einer gesamten Gesellschaft sein, die sich gleichzeitig als liberal versteht?

Doch damit nicht genug. Pistorius wiederholte seine Forderung nach Kriegstüchtigkeit im Rahmen der Bundeswehrtagung nicht nur mehrfach, sondern schrieb sie auch als zentralen Punkt in die jüngst vorgestellten Verteidigungspolitischen Richtlinien: „Kriegsfähigkeit als Handlungsmaxime“. Während der Bundeswehrtagung wandte Pistorius sich darüber hinaus an Journalist*innen, Politiker*innen und andere zentrale Figuren des öffentlichen Lebens – mit der Forderung, zum „Mentalitätswechsel in unserer Gesellschaft“ beizutragen. Wer bis dahin an eine unglückliche Wortwahl geglaubt oder die leise Kritik für übertrieben gehalten hatte, dürfte spätestens damit eines Besseren belehrt sein: Pistorius will an den Grundüberzeugungen der Gesellschaft ansetzen und eine militaristische Ideologie vorantreiben.

Zur Konkretisierung dieser Idee trug auf besagter Tagung auch Bundeskanzler Scholz bei, der sich aus logistischen Gründen zwar gegen das Wiederaufleben der Wehrpflicht, jedoch dezidiert für einen Veteran*innentag aussprach. Hierbei soll es, das verdeutlichen entsprechende Vorhaben des Bundeswehrverbands, um „Anerkennung von Leistungen der zehn Millionen Veteraninnen und Veteranen“ gehen. Florian Hahn von der CSU, die gemeinsam mit der CDU bereits länger ein solches Vorhaben begrüßt, konkretisiert: Es gehe um Menschen, „die unter teils gefährlichen Bedingungen, persönlichen Entbehrungen sowie körperlichen und seelischen Härten für Frieden, Freiheit und die Sicherheit Deutschlands seit der Gründung der Bundeswehr einstanden und einstehen“. Diktierter Respekt für diejenigen, die sich dazu entschieden haben, blind Befehlen zu folgen. Für diejenigen, die für Deutschland zu töten bereit sind. Für diejenigen, die sich einem Verein anschließen, der aufgrund seiner Aufgabe und Struktur bekannter Anziehungspunkt und Brutstätte für Rechtsextreme, mindestens aber für stramm autoritäre Charaktere ist. Gute Zeiten für all jene, die Zucht und Ordnung über Freiheit und Verstand stellen.

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